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Was ist, wenn der Minister dem Tod des Soldaten einen Sinn gibt, den dieser gar nicht will? Mit welchem Recht bemüht er einen »Stolz«, der über den Minister selbst mehr aussagt als über den von einer Mine in Stücke Gerissenen? Wer ist dafür verantwortlich, daß immer mehr junge Deutsche in Afghanistan ihr Leben lassen müssen? Die deutsche Geschichte kennt keineswegs nur die Erinnerungsvariante »Heldentod«, wie sie der Verteidigungsminister nahe legt. »Was uns so oft fehlt«, schrieb Kurt Tucholsky am 1. August 1925 in der pazifistischen Wochenzeitung Das Andere Deutschland, »ist das klare Feldgeschrei, die einfache Losung, die radikale Selbstverständlichkeit. Die heißt nicht nur: Nie wieder Krieg! Die heißt: Gefühle von Mördern bedürfen keiner Schonung. Auf die zarten Seelen von verkleideten Sanitätsräten sei keine Rücksicht genommen. Wer im Kriege getötet wurde, ist nicht zu feiern, sondern aufs tiefste zu bedauern, weil er für einen Dreck gefallen ist. Der Feind steht nicht drüben, sondern hüben.« Tucholsky bezog sich mit seinen Worten auf die Erfahrung und das Erlebnis des Ersten Weltkrieges. Und er sprach aus der Überzeugung heraus, daß Deutschland keinen Verteidigungs-, sondern einen Angriffskrieg führte und dafür die Soldaten mißbrauchte. Er hatte Recht: Die deutschen Soldaten sind nicht für die Verteidigung ihres Landes, für die Freiheit oder andere hohe Ziele gefallen, sondern für einen Macht- und Eroberungswahn, der sie dazu verurteilte, Kanonenfutter zu sein und sich in gutem Glauben auf ihre Gegner zu stürzen oder sich selbst totschießen zu lassen. Gleichwohl gab es nach 1918 Deutsche zuhauf, die »stolz« waren auf den Tod der Soldaten. Die Rhetorik des heutigen Verteidigungsministers und seine Wortwahl erinnern in fataler Weise daran, wie glorifizierend und verklärend man in Kreisen des republikfeindlichen, deutschnationalen »Bundes der Frontsoldaten« mit den sogenannten »Gefallenen« des Ersten Weltkriegs umgegangen ist. Viele deutsche Soldaten sind nach Afghanistan gegangen und haben geglaubt, dort Teil einer Schutztruppe zu sein und Aufbauhilfe zu leisten. Seit dem Sommer 2009 befinden sie sich aber nicht mehr nur in einem Verteidigungs-, sondern in einem Angriffsstatus, das heißt sie sollen Offensivaktionen starten oder sich an ihnen beteiligen und damit einen Krieg führen, auf den sie offenbar weder vorbereitet worden sind, noch den sie gewollt haben. Die neue Strategie zielt inzwischen auf eine drastische Schwächung oder die Ausschaltung des Gegners. Für den Sommer 2010 planen die ISAF-Truppen sogar große Einsätze gegen Taliban-Hochburgen, auch im Norden. Das erhöht selbstverständlich die Gefahr, selbst getroffen zu werden. Die Amerikaner wollen Teile ihrer Truppen deutschem Kommando unterstellen – was ihnen im Falle eines Scheiterns dazu verhilft, sich der Verantwortung zu entziehen. Motto: »Germans to the front!« – ganz im Sinne der militärtaktischen Weisung des britischen Admirals Seymour vor 110 Jahren in China. Die Deutschen machen nicht einmal gute Miene zu bösem Spiel, sondern fühlen sich so, wie es von ihnen erwartet wird: an ihrer »Ehre« gepackt. Und sind dabei. Wie man bei all dem noch friedliche Aufbauhilfe leisten will oder kann, bleibt ein Rätsel. Immer deutlicher setzt man auf die militärische Karte, bald sogar ausschließlich. Man will die Taliban in den nächsten Monaten vernichtend schlagen oder zumindest so entscheidend schwächen, daß man im nächsten Jahr in der Lage ist, sich aus dem Land zurückzuziehen und es sich selbst zu überlassen. Jedenfalls tut man so, als verfolgte man dort keine anderen Interessen und als führte man Krieg nur, um ihn zu beenden – wobei man Tod und Zerstörung in Kauf nimmt, ganz im Gegensatz zu dem, was noch bis zum Sommer 2009 gegolten hat. Und ob das US-Militär 2011 tatsächlich Afghanistan verlassen wird, ist längst nicht sicher. Es geht nicht weiter darum, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen und sich dabei auf die Hilfe von Truppen zu stützen. Man will den gordischen Knoten mit Gewalt durchschlagen – und vernachlässigt dabei wieder einmal die Unwägbarkeiten eines solchen Vorgehens. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg hat das zu einer katastrophalen Niederlage und zahllosen Opfern geführt. Alles spricht dafür, daß es auch dieses Mal ein böses Erwachen geben wird. Angela Merkel ist auf dem besten Wege, als Kriegskanzlerin in die Geschichte einzugehen, und schneller, als sie es sich vorzustellen vermag, könnte sie ihren »Job« verlieren. Immer mehr Soldaten werden bedauern, in Afghanistan zu sein und dort kämpfen zu müssen. Schon heute fühlen sich viele in ihrer Haut nicht wohl und fürchten, ihr Leben für einen Auftrag lassen zu müssen, der ihnen zwar vorgeschrieben ist, in dem sie aber immer weniger einen Sinn, sondern sich verheizt sehen. Auch die zivilen Opfer werden zunehmen. NATO-Truppen in Afghanistan stehen deshalb bereits unter Kritik – zum Beispiel nachdem ausländische Soldaten vor einigen Wochen in der Nähe von Kandahar einen Bus angegriffen und dabei vier Zivilisten getötet haben, achtzehn wurden verletzt. Dem Kern des Problems weichen die Befürworter von Militäreinsätzen und Offensiven aus: daß Soldaten in der »Kunst« des Tötens unterwiesen und auch in der heutigen Zeit zum Massenmord ausgebildet werden, daß Krieg und Grausamkeit unauflöslich miteinander verknüpft sind, wie es der Pazifist Hans Fülster bereits vor Jahrzehnten beschrieben hat: »Die Barbarei läßt sich nicht idealisieren; das Unmenschliche läßt sich nicht humanisieren. Der Krieg zwingt zur Unmenschlichkeit, zur Unmoral, zur Barbarei. Die Blutarbeit erstickt das Gefühl der Menschlichkeit; der Krieger wird unempfindlich gegen fremde Leiden ... Der Krieg bringt eine grundstürzende Umwertung aller sittlichen Begriffe. Er zerbricht alle geltenden Maßstäbe von Gut und Böse. Er verkehrt alle ethischen Werte in ihr Gegenteil ... Im Frieden gilt das Gesetz: Wer tötet, den trifft lebenslange Strafe. Im Kriege lautet das Gebot: Du sollst töten ... Ein unversöhnlicher Gegensatz klafft zwischen der Moral des Friedens und der Moral des Krieges.« Wie also kann man »stolz« darauf sein, wenn andere Menschen, und seien sie auch Angehörige der eigenen Nation, in einem Krieg sterben? Und für was sie auch immer »gefallen« sind, sie sind, wie Tucholsky es gesagt hat, »aufs Tiefste zu bedauern«. Und zeigt uns nicht gerade das Beispiel Afghanistan erneut, wie leicht ein Soldat bei Kämpfen in eine Situation geraten kann, in der er sich bedroht fühlt und Befehle erteilt, die Tod und Verderben bedeuten? Ist das rechtens? Und wie schnell kann es gehen, daß alle sittlichen Schranken fallen und der Soldat zum Mörder wird?! Solche Erwägungen sind den Befürwortern der Militäreinsätze fremd, und sie tun so, als wüßten sie nichts davon, daß Soldaten das Töten erlernen. Wenn vom »Frieden« die Rede ist, darf nicht Kampfeinsatz gemeint sein. Eine Politik, die sich in erster Linie auf Macht- und militärisches Denken stützt, ist zum Scheitern verurteilt. Das haben der Erste und Zweite Weltkrieg nicht zuletzt uns Deutschen vor Augen geführt. Einer, der sich im und nach dem Ersten Weltkrieg gegen eine von militärischen Gesichtspunkten geleitete Politik gewandt hat, ist der vor 90 Jahren, von rechtsradikal gesinnten Freikorpssoldaten ermordete Kapitänleutnant a.D. Hans Paasche (s. Ossietzky 11/10). In seiner 1919 erschienenen Flugschrift »Meine Mitschuld am Weltkriege« schreibt er: »Es ist so unsinnig, Menschen zu erschießen und zu erschlagen, ganz unsinnig aber, wenn sich wie immer am Ende des Krieges herausstellt, daß nicht einmal das eine sicher war: Es war dein Feind, den du tötetest! Oft töten die Krieger aus Angst um ihr eigenes Leben, um sicher zu gehen ... sie sehen Hinterhalt, sie fürchten Grausamkeit des Feindes, sie neigen dazu, sich selbst durch Abschreckung zu schützen, und Abschreckung wiederum ist ein Wahn. Eines Tages wurden wir aus dem Hinterhalt beschossen und hatten Tote. Es war nur eine Stimme: Die Gefangenen von diesem Tage müssen erschossen werden. Sofort muß das geschehen, wenn wir hier hinauskommen wollen, Schwäche würde uns und das ganze Land gefährden, und es ist so Brauch. Allen leuchtete es ein, daß es recht sei, die Gefangenen zu morden. Es gab keine Grenze zwischen Notwehr und Mord. So ist die Seelenverfassung von uns schwachen Menschen im Kriege. Scharfmacherei, Mordlust, Mitleidlosigkeit, Gereiztheit regieren.« Was Paasche beschreibt, trifft für jeden Krieg und jede militärische Auseinandersetzung zu. Es ist die Situation, in der sich Soldaten und Offiziere in einem Kriege befinden. Nicht sie beherrschen ihn, sondern sie werden von ihm, vom Freund-Feind-Denken und von der Notwendigkeit, Gewalt anzuwenden, um selbst am Leben zu bleiben, beherrscht. Als Hans Paasche mit einem Trupp von vier Unteroffizieren, zehn Matrosen und 35 Askari im afrikanischen Buschkrieg 1905 ins Landesinnere vorrückt, um bedrohte Weiße und ihre Helfer zu schützen, kommt es zu Zusammenstößen. Beim Anblick der ersten Toten fragt er sich: »Wer gab uns das Recht, auf Menschen zu schießen? Weshalb fielen gerade die und andere entkamen?« Das Gefecht erscheint ihm wie eine »Jagd«: »Menschen jagen – und von Menschen wie ein Stück Wild gesucht und gejagt werden.« Um den Gegner zu beeindrucken und weil es die eigene Sicherheit erfordere, läßt er es trotz erheblicher Bedenken zu, daß gefangene Rebellen erschossen, als Strafe Hütten geplündert und in Brand gesteckt werden. Dem Aufständischen aber war es aus seiner Sicht nicht zu verübeln, daß er sich auf die Waffen besann: »Es ist nicht schwer zu verstehen, daß diese Leute sich dem Aufstande gerne anschlossen, und man braucht nicht nach Schuld fragen, wenn man die Ursachen des Aufstandes sucht.« Als Paasche später von einem Sterbenden erfährt, er und die Toten neben ihm im Maisfeld seien fälschlich für Feinde gehalten worden, ist ihm klar, wie wenig die Begriffe Freund und Feind im Krieg auseinanderzuhalten sind. Und nie wird Paasche »die zerschossenen Menschen in der Sonnenglut zwischen den Pflanzen vergessen«. Gleiches gilt für die Tötung von Gefangenen, die man aus Vergeltung niedermacht, weil andere Krieger die Schutztruppen aus dem Hinterhalt beschossen haben. Erneut verschwimmt eine bis dahin geltende Grenze, die zwischen Notwehr und Mord, niedergerissen durch Angst, Mitleidlosigkeit, Gereiztheit, Gewaltdenken. Und je mehr sich ein Krieg ausweitet, um so notdürftiger nur läßt sich sein grausamer und verbrecherischer Charakter verhüllen. Damit einher geht unauflöslich eine Verrohung, die die zarte Pflanze des Friedens auf immer noch längere Dauer vernichtet. Alte Feindschaften werden vertieft, neu entflammter Haß und Terror verhindern Toleranz und Mitgefühl, Verständigung und Mitmenschlichkeit, und überall dort, wo die Saat des Friedens Keime getrieben hat, verkümmert sie und siecht dahin. Wer weiter die Taliban verteufelt und den Krieg in die entlegensten Winkel des Landes trägt, statt nach politischen Lösungen zu suchen, darf sich nicht beklagen, wenn sie sich später wie »Teufel« aufführen und Mordlust und Raserei regieren. Die Opfer werden viel größer sein, als sie es jetzt bei einem raschen Abzug wären, nicht auszudenken die Korrosionen auf politischem Gebiet, die seelischen Zerrüttungen und die Zementierung von Feindschaft und Haß im Innern des Landes. Der neuerliche Versuch, mit einer Politik der Stärke und Waffengewalt den Frieden zu erzwingen beziehungsweise Konflikte mit militärischen Mitteln zu lösen, ist gescheitert und kostet immer mehr Menschen das Leben und die Gesundheit. Wer den Krieg weiter unnötig verlängert, ist zur Verantwortung zu ziehen. Auch dafür, daß es in diesem Krieg immer schmutziger zugeht. Es wird Proteste und Demonstrationen geben. Deutschland steht ein heißer Sommer und Herbst bevor. Der Bremer Historiker, Publizist und Buchverleger Helmut Donat ist Träger des Ossietzky-Preises der Stadt Oldenburg.
Erschienen in Ossietzky 11/2010 |
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