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Sie muß im Hof, wo sie keiner mehr sieht, die Finger des Kindes essen.« Das ist ein Stück aus einem Roman der vor einigen Monaten weltberühmt gewordenen Dichterin Herta Müller – mit einem ersten Hinweis auf ihr Kannibalismus-Motiv. Der Weltruhm kam im vergangenen Herbst mit dem Literaturnobelpreis. Dieser Tage hat der Bundespräsident die Autorin mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet. Zuvor hatte sie – nach vorläufiger Übersicht – schon den Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung, den Ricarda-Huch-Preis, den aspekte-Literaturpreis, den Deutschen Kritikerpreis, den Kleist-Preis und den besonders hoch dotierten Joseph-Breitbach-Preis erhalten; hinzu kam von Erika Steinbachs »Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen« der Franz-Werfel-Menschenrechtspreis. Einer der Laudatoren war – besonders geeignet – Pfarrer Joachim Gauck. Darüber macht sich der Literaturwissenschaftler Wolfgang Beutin, der sich intensiv mit Herta Müller beschäftigt hat, ein bißchen lustig, und er spöttelt auch über den Literaturkritiker Wolf Peter Schnetz, der über das jüngste Werk der Vielgeehrten schrieb: »Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legt« – als ob Schnetz die Hand nicht irgendwann doch wieder für andere Zwecke brauchen würde, womöglich um nach einem anderen Buch zu greifen. Aber vielleicht ist es die Schwierigkeit, das Buch zu verstehen, die Schnetz zwingt, es so lange in der Hand zu halten. Beutin zitiert Sätze, die sich auch mir nicht erschließen: »Greise, die im Sommer sterben, bleiben eine Weile zwischen Bett und Grab über der Stadt.« – »Der Hungerengel geht offenen Auges einseitig. Er taumelt enge Kreise und balanciert auf der Atemschaukel.« – »Auch die Pflanzen, Stiele und Blätter verstehen nicht, weshalb das Kind Hände und Mund essend gegen sein Leben gebraucht. Nur die Namen der Pflanzen wissen warum: Wasserklee, Wollgras, Milchdistel (...).« – »Daß mir das lange Kleid zum Hals heraus hing, machte viel, daß ich mir wünschte, er möge immer drauf treten, bis ich nicht mehr drin bin.« – »Ilije muß scheißen. Er hebt den Kopf, er drückt. Er reißt ein Blatt vom Stiel, ein schmales, langes Maisblatt. Das Maisblatt bricht und sein Finger stinkt. Und das Maisfeld stinkt, und der Wald. Und die Nacht, und der Mond, der nicht da ist, stinkt.« – »Der Frisör steckte eine Handvoll Bonbons in seinen Mund, wenn von einem Mann so viele Haare geschnitten sind, daß sie einen Sack füllen, sagte er, einen gestampften Sack.« – »Nur Stöße im Bauch auf dem Boden des Parks. Und über ihr die Hundeaugen der Männer, die den ganzen Tag das Fallen des Waschpulvers hörten im dicken Rohr und das Röcheln der Tiere. Diese Augen brannten über Lola, weil sie den ganzen Tag erloschen waren.« – »Weißt Du, warum die Italiener immer Taschenkämme bei sich tragen, weil sie im Schamhaar ihren Schwanz nicht finden, wenn sie pissen müssen.« Ja, das muß große Literatur sein, die unsereins nicht versteht. Syntax, Logik, Plausibilität sind bei Herta Müller nicht zu haben. Von ihr dürfen wir nicht erwarten, daß sie uns Durchblick verschafft. Hier wird nicht aufgeklärt, hier wird verdunkelt, hier werden Vorurteile, Ängste und Haß gesät. Im Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien wurde dieser Literatin, die sich gelegentlich auch in der Zeit und der FAZ äußern darf, »der Politiker Scharping im Mitgefühl für die Vertriebenen durch seine persönliche Sprache zum Literaten«. Da darf sich der damalige Kriegsminister geehrt fühlen. Herta Müller ist an allen Fronten als Kriegsengel dabei. Einst an den Fronten des Kalten Krieges: Die DDR, »kalt, düster, frustriert, gnadenlos«, sei überhaupt »kein Staat« gewesen, erfahren wir von ihr. Dann zieht sie in die Bombenkriege der Gegenwart. Über Serbien weiß sie in der FAZ zu berichten, dort grassiere der Nationalismus, und wer ihm nicht anhänge, der werde »aus der Rasse ausgeschlossen. Der Rassenwahn hat auch die serbische Opposition besetzt. Auch die orthodoxe Kirche.« Das tut uns Deutschen gut, wenn uns die große, weltberühmt gewordene Dichterin bescheinigt, daß wir gegen den Rassenwahn kämpfen – es hilft uns vor allem deswegen, weil kein Wort davon wahr ist. Ihre dichterische Sendung ist es eben, das zusammenzuphantasieren, was wir zum Kriegführen brauchen. Beutin: »Es ist ein Grundzug aller Schriften der Verfasserin, ihrer belletristischen ebenso wie erörternden, daß in ihnen der Leserschaft Feindbilder eingetrichtert werden sollen, und zwar exakt in Entsprechung zur Hauptangriffsrichtung des deutschen Imperialismus ...« Bomben genügen dem Kriegsengel nicht, sondern: »Um die Serben an der Vernichtung des Kosovo zu hindern, hätte die Nato gleichzeitig mit dem ersten Tag der Luftangriffe Bodentruppen ins Kosovo schicken müssen. [...] dennoch könnten nur Bodentruppen die von den Serben wer weiß wo internierten jungen Männer und die Hundertausende Versteckten aus den Wäldern retten (...) Und nur Bodentruppen könnten die Serben am Verwischen der Spuren hindern (...) Das Denkverbot ›Bodentruppen‹ kommt aus der Angst vor dem nächsten Schritt, wenn Milosevic im Schutt seiner Infrastruktur die Mordkommandos im Kosovo herrisch weiterarbeiten läßt, wie es heute schon der Fall ist.« Das übertrifft noch die Greuelmärchen, die Scharping während des Krieges verbreitete. Beutin: »Kriegsfurie! Sie selber wollte diejenige sein, auf deren Befehl hin die Mordkommandos, sprich: NATO-Bodentruppen Serbien verheeren sollten.« Die simple Kunst der Haßpropagandistin besteht darin, alles ins Gegenteil zu verkehren. Sie selbst ist es, die »rassistisch hechelnd« (Beutin) die Serben und gleich danach die Russen bezichtigt: »Zu rasseln begann diese Kette in Belgrad, und Milosevic hält sie in der Hand, und sie rasselt bis Moskau. Das Slawische und das Panslawische, das angeblich ›gleiche Blut‹, bewegt sich. Auch in Rumänien rasselt diese Kette. Aber auch in Griechenland.« Wieso »auch in Griechenland«? Etwa weil dort Massenproteste gegen den NATO-Überfall bis hin zur Blockade von Waffentransporten stattfanden? Auch in Rumänien, das seit dem Mittelalter eine gemeinsame Grenze mit Serbien hat, ohne daß es von diesem Nachbarn, wie Beutin anmerkt, jemals angegriffen wurde, war die Sympathie mit den Überfallenen groß, was der Dichterin offenbar mißfiel. Und: »In Rußland hört man hinter dem slawischen Rasseln das Rasseln der Großmacht, die wieder auf den Sattel steigt ...« Die Völkerrechtswidrigkeit des Angriffskriegs stört die Haßraßlerin nicht im geringsten. Die UN-Charta, die den Angriffskrieg verbietet, ist für sie »ein Stück Papier«. Sie attackiert »die Diktaturen dieser Welt«, die man »nicht einfach gewähren lassen« dürfe, und fordert: »Denken Sie an China, jetzt Gast auf der Frankfurter Buchmesse. (...) Oder denken Sie an Iran ...« (Oktober 2009 in Die Zeit). »Denn bis heute gibt es Diktaturen aller Couleur, manche dauern schon ewig und erschrecken uns gerade wieder aufs neue wie der Iran.« (Dezember 2009 in der FAZ) Es gibt also noch viele Kriege zu führen! Und während sie gegen Milosevic, den Verteidiger des zum dritten Mal innerhalb eines Jahrhunderts überfallenen Serbien, dessen Vater einst von Faschisten ermordet worden ist, nicht oft genug das Wort »Mord«, »Morden«, »Massenmörder« verwenden kann, schreibt sie über ihren Vater, den SS-Mann, er habe »Friedhöfe gemacht«. Wie schön! Ich bin Wolfgang Beutin dankbar, daß er mir durch gründliche Lektüre geholfen hat, das Werk der weltberühmt gewordenen Dichterin zu ergründen. Das Ergebnis seiner Arbeit ist so umfangreich, daß es in dieser Zeitschrift nicht genug Platz fände. Zur Gänze kann man es beim Autor per E-Mail anfordern (Adresse: huw.beutin(at)web.de).
Erschienen in Ossietzky 10/2010 |
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