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Seit Juni 2007 ist der Gaza-Streifen von der Außenwelt abgeriegelt. Nach der 4. Genfer Konvention ist Israel als Besatzungsmacht verpflichtet, unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und den sonstigen humanitären Bedarf der Bevölkerung zu decken, ohne dafür irgendwelche Bedingungen zu stellen. Die Blockade als »Kollektivstrafe« verstößt daher gegen das humanitäre Völkerrecht dar. Bereits zu Beginn der Kriegshandlungen am 27. Dezember 2009 waren Wirtschaft, Arbeitsmöglichkeiten und Lebensmittelversorgung der Bevölkerung durch die Blockade schwer beeinträchtigt. Die Wasserversorgung war zu diesem Zeitpunkt schon dermaßen geschädigt, daß 80 Prozent des Wassers in Gaza nicht den Normen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Trinkwasser genügten. Die militärischen Operationen zerstörten dann einen weiteren großen Teil der Infrastruktur und des Ackerlandes. Arbeitslosigkeit und Nahrungsmittelknappheit stiegen dadurch dramatisch an. Laut UN-Entwicklungsprogramm-Behörde (UNDP) wurden etwa 3.350 Häuser gänzlich und 11.112 teilweise zerstört; auch 280 Kindergärten und Schulen wurden in Trümmer gelegt. Eine im April 2009 eingesetzte Kommission der Vereinten Nationen unter der Leitung des südafrikanischen Juristen Richard Goldstone untersuchte alle möglichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts und internationaler Menschenrechtsvorschriften im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen. Sie kam zu dem Ergebnis, daß der Entzug von Existenzmitteln, Arbeit, Unterkunft und Wasser sowie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung des Gaza-Streifens den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllen könnten. In ihrem abschließenden Bericht forderte die Kommission die strafrechtliche Aufarbeitung dieses und anderer mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Sollte diese Aufarbeitung innerhalb einer bestimmten Frist unterbleiben, empfiehlt der Goldstone-Bericht eine Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof durch den Weltsicherheitsrat. Daß es dazu kommen wird, ist politisch unwahrscheinlich. Auch nach Kriegsende wurde die Blockade nicht aufgehoben. Nach Angaben der Vereinten Nationen und der Vereinigung internationaler Entwicklungshilfeorganisationen in den palästinensischen Gebieten (AIDA) ist die humanitäre Situation im Gaza-Streifen desaströs. Wegen der mangelhaften medizinischen Versorgung ist die Gesundheit der 1,4 Millionen in Gaza lebenden Menschen weiterhin bedroht. Besonders über die Zukunft der 750.000 in Gaza lebenden Kinder, deren physische und psychische Bedürfnisse nicht gedeckt sind, äußern sich die Hilfsorganisationen besorgt. Die fortgesetzte Blockade betrifft auch die Einfuhr von Baumaterialien und verhindert dadurch den Wiederaufbau der Infrastruktur. Auch die Einfuhr von Lebensmitteln, Kochgas und Strom ist stark eingeschränkt. Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in den besetzten palästinensischen Gebieten bezeichnete in seinem Bericht vom Januar 2010 die Aufhebung der Blockade als den Schlüssel zur Erholung der Wirtschaft und zur Verringerung von Armut und Arbeitslosigkeit in Gaza. Die Regierungen der USA und europäischer Länder lassen die Blockade kommentarlos zu. John Ging, Leiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, äußerte sich kürzlich bei einem Besuch in Deutschland empört über die europäische Politik: »Gaza ist zum Synonym für Verletzungen des Internationalen Rechts und der Unmenschlichkeit gegen eine Zivilbevölkerung geworden. So wird das in die Geschichtsbücher eingehen. Jeder westliche Politiker trägt hier eine Mitverantwortung.« Der deutschen Initiative »Ein Schiff nach Gaza«, die sich an der internationalen Bewegung »Free Gaza« beteiligt, gehören neben palästinensischen und deutsch-palästinensischen Gruppen auch Pax Christi und die Ärzte-Organisation IPPNW an. Mit der Flottille will »Free Gaza« die stillschweigende Akzeptanz der Blockade durch westliche Regierungen anprangern und die Achtung menschenrechtlicher und völkerrechtlicher Normen einfordern, ohne deren Durchsetzung ein dauerhafter und gerechter Frieden in der Region noch lange Utopie bleiben wird. Unsere Autorin Annette Groth, die in dieser Initiative mitarbeitet, ist Mitglied des Deutschen Bundestags (Fraktion Die Linke).
Erschienen in Ossietzky 10/2010 |
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