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Als in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in meiner Gästewohnung der Fernseher noch nicht angeschlossen war, blieb mir nur mein Küchenradio und dessen einziger Sender, der allerdings auch mit Abstand der meistgehörte ist: Fox News. Natürlich weiß man, daß Obama es schwer hat und von allen Seiten angegriffen wird. Aber das Ausmaß der Desinformation und vor allem der Tonfall der Attacken sind unvorstellbar. Auch hätte man meinen sollen, daß sein Sieg in der ihm so zentralen Health Care Reform seine Position gefestigt hätte und die Gegner etwas kleinlauter geworden wären. Das Gegenteil war der Fall. Die rechten Medien, allen voran der durchgeknallte Glenn Beck in meinem Küchenradio, überschlugen sich: »Obama hat mit diesem Gesetz Amerika einer Gehirnwäsche unterzogen. Es verletzt die Verfassung, und somit hat der Kongreß gerade eine Diktatur errichtet. Es geht gar nicht um Gesundheit, sondern darum, die USA grundsätzlich zu zerstören. Wenn das Gesetz tatsächlich gilt, wird Amerika nie mehr das sein, was es seit seiner Gründung war.« In der Tat, es würden nicht mehr 45.000 Bürger jährlich sterben, weil sie nicht versichert sind und sich die nötige Behandlung nicht leisten können. Allerdings treten die wesentlichen Bestimmungen überhaupt erst 2014 in Kraft. Bis dahin sind noch mehrere Wahlen zu überstehen, weshalb die »Tea Party« (s. »Die Teebeutel-Kampagne«, Ossietzky 8/10) und ihre Sprecher vorsichtshalber schon jetzt zum Umsturz aufrufen. Ungeachtet der Tatsache, daß sich Obama mit der Idee einer staatlichen Versicherung nicht durchsetzen konnte und alles in privater Hand bleibt, malt Beck die Horrorvision des totalen Staates aus: »Dieses Gesetz zerstört die privaten Versicherungsgesellschaften. Mit dem Ergebnis, daß sich niemand mehr sicher sein kann. Denn wenn er zu alt ist oder zu teuer, kann der Staat die Behandlung ablehnen. Das passiert überall, wo es staatliche Versicherungen gibt. Nicht der Doktor entscheidet, sondern ein staatliches Gremium, das Sie als Budget-Nummer betrachtet. Obama ist nicht an Ihrer Freiheit interessiert, sondern daran, sie Ihnen zu nehmen.« In Gesprächen habe ich erlebt, daß selbst gebildete Leute, wie der Computer-Fachmann einer Universität, dies glauben. Glenn Beck lädt in seine Shows Gäste, die erklären dürfen, weshalb sie diesen Präsidenten hassen. Zum Beispiel, weil er »mit meinen Steuergeldern Abtreibungen finanziert, sogar für illegal ins Land Gekommene«. Davon steht zwar kein Wort im Gesetz, aber wen schert das schon. Zur amerikanischen Vorstellung von Freiheit gehört, daß jeder sagen kann, was er will. Somit ist auch jede Tatsachenverdrehung erlaubt, jede Schmähung und Verleumdung. Ein Presserecht, mit dem man auf Unterlassung klagen könnte, gibt es nicht. Folgerichtig wird Obama abwechselnd beschimpft als Baby-Killer, Chef-Parasit, Hitler, Stalin, Marxist, der seine Ideen von der Kommunistischen Partei der USA eingeflößt bekommt und aus dem Land der Freiheit eine Neo-Sowjetunion machen will. Außerdem ist er je nach Bedarf palästinensischer Agent, Muslim, Kenia-Geborener, in jedem Fall Lügenmaul und Betrüger. »Gebt diesem Mann keine Macht, nur weil er eine Wahl gewonnen hat.« Eine interessante Empfehlung aus dem Musterland der Demokratie. Man könnte es auch Volksverhetzung nennen. Obama sei anzuklagen und zu entthronen. Was die Fundamentalisten der »Tea Party« nicht anders interpretieren, als ihn im Fadenkreuz darzustellen. Orientierung für den Schützen? Die Anhänger Obamas fürchten um seine Sicherheit. Sie sei nicht so, wie sie sein sollte, Unbefugte konnten ins Weiße Haus eindringen, man müsse besorgt sein. Was diesem Präsidenten zugemutet werde, habe ihn aufgerieben, er sei in einem Jahr sichtlich gealtert und bekomme schon graue Haare. Mir wurde sogar berichtet, Rassisten hätten in der »Tea Party« auf ihren Plakaten die Obamas als Schimpansen-Familie dargestellt. Erlaubt ist, was gefällt. Und Rassismus gegen alle anderen gefällt vielen Weißen wieder gut. Glenn Beck: »Kaufen Sie nicht in Geschäften, die die Auslage spanisch, koreanisch, chinesisch oder französisch beschriften, weil wir in Amerika sind und mit Dollar bezahlen. Das ist die Wahl, die wir noch haben.« Was mich, die ich mit einem Vortrag über 20 Jahre Mauerfall durchs Land reiste, besonders irritierte: Wir haben damals Basis-Demokratie gefordert – die »Tea Party« ist von Demagogen angefeuerte Basis-Demokratie. Und zwar die einzige im Land. Die Wortspiele in ihren Slogans sind nicht ohne Wortwitz, so wie einst auf dem Alexanderplatz. »Put the Red out of the White House«. »Nobama«. Glenn Beck macht derweil Reklame für seine »listening tour«, er wird in Stadien auftreten, in denen er vor 850.000 Leuten sprechen kann, nur einige wenige Karten sind noch verfügbar. Dort wird er seine eigentliche Botschaft predigen: »Ich bin hier, um meine Freiheit zu verteidigen. Und wenn Sie das auch möchten, müssen Sie diesen Kerl seines Amtes entheben (you have to impeach this guy). Und mit ihm seine verrückte Idee, daß Sozialismus funktioniert und Kapitalismus nicht. Er spricht wie Castro und Chávez, wenn er behauptet, wir hätten unseren Wohlstand durch die Ausbeutung der dritten Welt und imperialistische Kriege errungen. Das ist die Code-Sprache der untergegangenen Sowjetunion. Sagt ihm: Capitalism works, free market economy works …«> Schwer zu sagen, wie viele der 15 Millionen Arbeitslosen, der vielen Millionen überschuldeten Hauseigentümer und Opfer von Zwangsversteigerungen diese Beschwörungen noch glauben. »Das Maß an Wut und Angst ist unvergleichbar mit allem, was ich während meiner Lebenszeit erfahren habe«, sagte Noam Chomsky vor 1000 Zuhörern, als er im April eine Auszeichnung der Universität Wisconsin für seinen lebenslangen Beitrag zu kritischer Lehre bekam. Die kolossalen Kosten der »institutionalisierten Verbrechen des Staatskapitalismus«, die die Menschen an den Rand drängen, schürten Empörung und Zorn. »Die Menschen erwarten Antworten«, sagte Chomsky, »aber sie bekommen sie nur aus einer Richtung: Fox, Talk Radio und Sarah Palin.« Deshalb sei es ein ernster Fehler, deren »Tea Party« zu verhöhnen oder zu unterschätzen. Die Verbitterung habe eine materielle Basis. Chomsky verwies darauf, alt genug zu sein, um sich noch an Hitlers Reden im Radio erinnern zu können. Nicht an Worte, aber an den Tonfall. Die Deutschen seien anfällig gewesen für Hitlers Beschwörungen nationaler Größe und der Notwendigkeit, sie zu verteidigen, zur Erfüllung der »Vorsehung«. Und das in einem Land, das in den 1920er Jahren als »Spitze der westlichen Zivilisation«, als »Modell für Demokratie« gegolten habe. »Keine Analogie ist perfekt«, sagte Chomsky, aber der Widerhall des Faschismus sei noch wahrnehmbar. Die historischen Lektionen müßten bedacht werden. Daß dies keine vereinzelte Stimme von links außen ist, hat mir eine nicht minder pessimistische Äußerung des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugmann verdeutlicht: »Der amerikanische Traum ist noch nicht tot, aber er stirbt.« Was kommt danach? Wird Obama eine Antwort geben können?
Erschienen in Ossietzky 10/2010 |
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