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Finanzminister Schäuble befürwortete bekanntlich den Ankauf von Raubkopien durch die Bundesrepublik, die von dem Fernsehzyniker Peter Sloterdijk bereits den Namen Kleptokratie erhalten hat. Durch diese Datenträger erfahren die Staatsanwaltschaften der Länder mit den Namen auch die Adressen und Kontostände wohlhabender und reicher Steuerbetrüger. Das paßt Westerwelle, seiner Partei und deren großzügigen Sponsoren ebenso wenig in ihre Steuersenkungsoffensive wie das Urteil des BVG, das den Berechnungsmodus der »Hartz IV«-Regelsätze vor allem für Kinder für verfassungswidrig erklärte. Die riesigen Summen, die unsere diebischen Leistungseliten am Fiskus vorbei zur Erhöhung ihrer leistungslosen Einkommen auf Nummernkonten ihrer Banken in der Schweiz verschwinden ließen, widerlegten nicht nur die Dringlichkeit von Steuersenkungen, sondern überhaupt deren Notwendigkeit. Sie bewiesen: Geld ist mehr als genug da. Es ist allerdings nicht dort, wo es nach geltendem Recht hingehört. Und dieses viele Geld wird nicht etwa investiert, wie man uns zur Rechtfertigung hoher Profite immer weiszumachen versucht, sondern nach allem, was wir wissen, wird damit auf Teufel komm raus spekuliert. Das BVG bestätigte mit seinem Urteil in letzter Instanz, daß das »Hartz IV«-Gesetz eine der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot widersprechende Ungerechtigkeit enthält. Daß das Gesetz als Ganzes dem Grundgesetz widerspricht, wovon ich überzeugt bin, war nicht Gegenstand der Klage. Das vorliegende Urteil verwundert niemanden, der weiß, daß dieses Gesetz seinen Namen einem wirtschaftskriminellen VW-Manager verdankt. Zum Glück für Westerwelle und seine Partei war Peter Hartz, was viele zunächst nicht glauben konnten, kein Freidemokrat, sondern, was schließlich der SPD die verdiente Niederlage eintrug, ein Sozialdemokrat und Freund des Bundeskanzlers Schröder. Nun verlangt das höchste deutsche Gericht von der Bundesregierung, die inzwischen von CDU/CSU und FDP gebildet wird, bis Ende 2010 verfassungskonforme Korrekturen an dem Gesetz. Das Urteil gab also – zumindest auf den ersten Blick – all jenen Recht, die vorher schon der Meinung waren, daß die »Hartz IV«-Leistungen unbedingt aufgestockt werden müßten. Das war – neben der »Steuersünderdatei« in Händen der Steuerfahnder – ein weiterer harter Schlag ins siegessichere Gesicht der bundesdeutschen Steuersenkungspartei. Dieser Schmerz trieb Guido Westerwelle – und damit kommen wir zum dritten großen Aufreger – zu seinem selbstverräterischen Angriff auf die angeblich zu spätrömischer Dekadenz einladenden Sozialisten und leistungsunwilligen Sozialschmarotzer. Da der Vizekanzler und Außenminister das BVG nicht offen kritisieren konnte, griff er nach bewährter Manier die üblichen Verdächtigen an, eben die »Sozialisten« aller Parteien und Verbände, die aus dem BVG-Urteil den einzig logischen Schluss zogen, nun müßten die »Hartz IV«-Leistungen für Kinder erhöht werden. So geriet Westerwelle ausgerechnet vor bundespolitisch so wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zwischen die Fronten. Die Oppositionsparteien, die schon mit der Kritik fragwürdiger Spenden aus der Hotelbranche an die FDP punkten konnten, verstärkten wegen der heranrückenden Wahl ihre Angriffe gegen die Steuersenkungsversprechen der FDP, indem sie Steuerhinterziehung und soziales Unrecht an Kindern thematisierten. Auch die Koalitionspartner im Bund, vor allem die CSU, schonten Westerwelle nicht. Denn dessen Siegeszug war ja hauptsächlich zu Lasten der Unionsparteien gegangen, auch wenn der FDP-Vorsitzende schon am Wahlabend die Leihstimmen-Theorie weit von sich gewiesen hatte. Schon während Westerwelles – ihm selbst unaufhaltsam erscheinendem – Aufstieg war zu erkennen, daß er ein zum Größenwahn neigender Leichtmatrose ist und, wenn die bürgerliche Demokratie auch nur noch partiell ihre Funktionen erfüllt, bald wieder abstürzen wird. Nun, da einige Hindernisse für seinen erhofften Durchmarsch sichtbar geworden sind, läßt er sich zu demagogischer Polemik gegen Sozialleistungsberechtigte hinreißen, die ihm Anzeigen wegen Volksverhetzung eintrug. Die deutsche Geschichte lehrt, wie skrupellos die Mächtigen der Wirtschaft auf Forderungen nach mehr demokratischer Kontrolle reagieren können, wie gefährlich es für die Demokratie ist, wenn die Opfer und die Kritiker des Mißbrauchs von Wirtschaftsmacht zu Tätern erklärt werden, und in welchem Ausmaß diese Demagogie, reichlich finanziert, Wähler mobilisieren kann.. Die wirklichen Gefahren für demokratischen Fortschritt gehen nicht von der Straße aus – Demonstrationen und Streiks treiben ihn eher voran –, sondern von den demokratiefreien Chefetagen großer Konzerne und denen, die in Politik, Medien und Wissenschaften für die Konzerne den Klassenkampf von oben organisieren; dafür werden sie von Konzernchefs wie Mätressen zu Zeiten des Feudalabsolutismus ausgehalten. Wenn jetzt Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, laut Hamburger Abendblatt den Rechtsdrall bei der FDP entdeckt und vor dieser Entwicklung warnt, ist das zwar reichlich spät, läßt aber hoffen, daß die Gewerkschaften endlich begreifen, dass die Kapitalseite die »Sozialpartnerschaft« nie ernst genommen hat. Sie war ein strategisches Konzept des Kalten Krieges, mit dessen Ende auch der soziale Scheinfrieden beendet war. Seitdem wird der Klassenkampf von oben unter Pseudonymen wie Privatisierung, Deregulierung, Flexibilisierung fortgesetzt. Sommers Vorwurf, die FDP gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt, trifft bei dieser Partei ins Leere. Sie hatte selten – die sozialliberale Periode mit dem Generalsekretär Karl Hermann Flach ist lange vergessen – ein anderes strategisches Ziel, als die Gesellschaft zu spalten. Westerwelle hat sich sicher nicht ganz zufällig mit den spätrömischen Dekadenten befasst. Deren Machterhaltungskonzept hieß divide et impera, und da der FDP-Vorsitzende verlangt, daß man in Deutschland deutsch spricht, hier meine Übersetzung: Teile Deine Feinde und Du beherrschst sie. Übrigens hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen in einem anderen Verfahren geurteilt, daß Aufwendungen für Kinder durch die »Hartz IV«-Leistungen gedeckt sind und daher nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden können. In dem Urteil heißt es: »Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verlangt (...) keine Sozialleistungen, die den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf für Kinder in gleichem Maße berücksichtigen wie das Steuerrecht.« Damit hat das höchste deutsche Gericht die Hoffnungen der »Sozialisten aller Parteien« zerschlagen und ihnen in letzter Instanz bescheinigt, was ihnen Westerwelle mit seiner Polemik klar zu machen versuchte: Die Berechnungsgrundlage muß zwar geändert werden, aber mehr Geld wird es nicht geben.
Erschienen in Ossietzky 9/2010 |
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