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Als mit einem weltweiten Aufatmen Netanjahus erste Amtszeit zu Ende ging, war der Boden bereitet für das Doppelspiel Ehud Baraks: Allein schon die Erleichterung über das Abtreten seines Vorgängers machte ihn zum Hoffnungsträger. So hatte er leichtes Spiel, das Besetzungsregime zu zementieren und den Siedlungsbau zügiger voranzutreiben als alle Regierungen vor ihm, zugleich aber mit dem Nimbus des Friedensbringers aufzutreten und scheinbar generöse Angebote zu machen, die für Arafat unannehmbar waren, so daß dessen vermeintlicher Halsstarrigkeit das kalkulierte Scheitern der Gespräche angelastet werden konnte. Jetzt, nach wenig mehr als einem Jahr Amtszeit, hat es Netanjahu, assistiert vom Scharfmacher Lieberman als Außenminister, schon wieder geschafft, als das Hauptfriedenshindernis dazustehen und damit die Illusion zu nähren, daß ohne ihn und seine Regierung der Frieden in greifbarer Nähe wäre. Mit gezielten Brüskierungen hat er ausgetestet, wie belastbar beim neuen US-Präsidenten Obama die Hemmschwellen sind, und ihn damit diskret an die Macht der Israel-Lobby erinnert, einen Kurswechsel Amerikas in der Nahostpolitik zu sabotieren. Scheinbare Ungeschicklichkeiten sind taktisches Kalkül: Es ist kein Zufall, wenn die Genehmigung neuer Siedlungsbauten in Ost-Jerusalem ausgerechnet während des Israel-Besuchs des US-Vizepräsidenten bekanntgegeben wird; man gewinnt so die Gelegenheit, sich für eine »Unhöflichkeit« zu entschuldigen und damit die Sturheit in der Sache ein wenig zu kaschieren. Was mein istEine alte und vielfach getestete zionistische Methode: Wenn ein inoffizieller Konsens über die Teilung eines Stücks Boden zwischen Israel und Palästina erreicht wird, sagt die israelische Regierung: Okay, jetzt, wo es ein Abkommen über den Boden gibt, den wir bekommen, laßt uns über den Rest des Bodens reden. Was mein ist, ist mein – laßt uns jetzt über das verhandeln, was Euch gehört. Die bestehenden jüdischen Stadtteile sind schon unser. Dort können wir frei und ohne Einschränkungen bauen. Wir müssen jetzt nur noch über die arabischen Stadtteile entscheiden, wo wir auch bauen wollen. Uri Avnery Solche Hardliner-Zwischenspiele stützen die Fiktion, daß Israel grundsätzlich friedenswillig ist, der »Friedensprozeß« aber, bedingt durch die Peripetien des demokratischen Kräftespiels, unvermeidlicherweise Phasen der Stagnation, ja des Rückschlags durchläuft. Einen echten jüdischen Friedenswillen hat es immer gegeben, vor wie nach der Staatsgründung. Soweit mit Friedenswille aber mehr gemeint ist als der Wunsch, seine Ruhe zu haben, soweit damit die aktive Bereitschaft zu Kompromissen gemeint ist, zum versöhnenden Ausgleich mit den arabischen Nachbarn, zur fair geteilten gemeinsamen Nutzung des Landes und seiner Ressourcen, war dies immer der Wille einer Minderheit und hatte auf die Politik des Staates Israel zu keinem Zeitpunkt einen bestimmenden Einfluß. Ziel dieser Politik, nach außen mit vager Friedensrhetorik verbrämt, aber unverhüllt erkennbar in den internen Debatten, war vielmehr seit jeher, für das jüdische Volk mit allen Mitteln, auch denen der nackten Gewalt, so viel Land wie nur irgend möglich zu gewinnen, das ganze mythische »Erez Israel« eben (das für manche zionistische Wortführer sogar über die heutigen Grenzen Palästinas hinausreicht), und auf diesem erweiterten Territorium möglichst wenig arabische Bevölkerung zu haben. Einer solchen Perspektive erscheint jede Friedenslösung vor dem Erreichen des Endziels als partielle Selbstaufgabe, also als etwas, das unbedingt verhindert werden muß. Erreichbar war das Ziel aber nur, wenn es gelang, die Weltöffentlichkeit zu beschwichtigen. Dazu mußte der Blick auf die Realität durch Mythenbildung verstellt, mußte das Verhältnis von Täter und Opfer umgekehrt werden. Der Mythos lautete: Nicht das hochgerüstete Israel strebt die Eroberung Gesamtpalästinas an, sondern ein tapferes kleines Volk der ewig Verfolgten, das sich endlich einen Hafen der Sicherheit verschafft zu haben glaubte, sieht sich bedroht von einer feindlichen Übermacht, die es »ins Meer werfen«, ihm einen »zweiten Holocaust« bereiten will, und kann, da die nackte Existenz auf dem Spiel steht, in der Wahl der Mittel zur Selbstverteidigung nicht zimperlich sein. Dieses Mythengebilde in der westlichen Welt weithin durchzusetzen, war eine grandiose Propagandaleistung. Längst ist dieses Gebilde durch die (vor allem jüdische) historische Forschung dekonstruiert, doch es beherrscht weiterhin die öffentliche Meinung und die Berichterstattung der Medien. Wir wissen oder könnten wissen, daß die Juden Palästinas zur Zeit des UNO-Teilungsplans und dann der Staatsgründung nicht ernstlich bedroht waren, sondern umgekehrt Ben Gurion die Gunst der Stunde nutzte, um eine Dreiviertelmillion Palästinenser mit brutaler Gewalt aus ihren Häusern zu vertreiben und Hunderte von Dörfern dem Erdboden gleich zu machen. Wir wissen oder könnten wissen, daß 1967 nicht Nasser den Krieg wollte und Israel ihm mit einem Präventivschlag zuvorkam, sondern Nasser intensiv um Frieden bemüht war, Israel aber Vorwände für Eroberungen suchte. Wir könnten wissen, daß Israel nach dem raschen Sieg, wenn es denn Frieden wollte, die einmalige Chance hatte, ihn aus einer Position der Stärke heraus zu erzwingen, daß aber nur ein einziger Knesseth-Abgeordneter, nämlich Uri Avnery, den Mut und den Weitblick hatte, die Rückgabe des eroberten Landes im Austausch gegen verläßliche Friedensgarantien zu fordern. Wir wissen, daß der dann bald einsetzende und zunehmend beschleunigte Siedlungsbau nichts anderes war und ist als Annexion, Schritt für Schritt. Wir wissen im Grunde, daß Israel seit Jahrzehnten einen schleichenden Eroberungskrieg führt, und wagen trotzdem nicht, am Mythos ernsthaft zu kratzen. Die Fortdauer des Mythos ist Israels einzige halbwegs glaubhafte Rechtfertigung für seine gefährliche Politik. Darum mußten in Berlin und München die Auftritte des jüdischen Politologen und Historikers Norman G. Finkelstein unbedingt verhindert werden, der die pro-israelische Mythenbildung mit schonungsloser Gewissenhaftigkeit analysiert und dekuvriert hat. Wer israelische Greueltaten anprangert, dem kann immer noch entgegengehalten werden, daß es im Abwehrkampf gegen eine Vernichtungsdrohung leider auch zu Überreaktionen kommt, die man nicht entschuldigen muß, aber verstehen kann. Wer aber die wahren Motive der israelischen Politik bloßlegt, der ist wirklich gefährlich, denn er zerstört den Kern der Rechtfertigungsideologie. Solange der Mythos vom israelischen David, der sich mit seiner Steinschleuder gegen den bösen arabischen (und iranischen) Goliath wehrt, geglaubt wird, scheint Frieden nicht möglich: Goliath liegt ja noch nicht am Boden. Die Einsicht in die historische Wahrheit aber kann den Frieden erzwingen. Erst wenn die Wahrheit sich durchsetzt, kann auch die späte Erkenntnis des US-Nahost-Oberbefehlshabers Peträus politisch wirksam werden, daß Israels Politik den US-amerikanischen Sicherheitsinteressen schadet. Ich empfinde es als heikel, als Deutscher an diese Dinge zu rühren. Nie werde ich das namenlosen Entsetzen vergessen, mit dem ich, ein halbes Kind noch, kurz nach dem Krieg die ersten Berichte über Auschwitz las, und ein Gefühl von Scham und schwer faßbarer Mitschuld hat mich seitdem nie verlassen. Zwischen dem Holocaust und der Politik Israels gibt es aber keinen ursächlichen, sondern allenfalls einen psychologischen Zusammenhang. Der Holocaust-Schock hat die Staatsgründung lediglich beschleunigt. Niemand dachte aber schon an Hitler, als die zionistische Bewegung die Frage zu diskutieren begann, was der künftige jüdische Staat mit den Palästinensern machen solle (die Illusion »ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land« war früh zerstoben), und die Verfechter einer »Transfer«-Lösung (Vertreibung beziehungsweise »Aussiedlung«) die Befürworter eines Vereinbarungsfriedens rasch marginalisiert hatten. Im übrigen kann die Konsequenz aus der historischen Schuld nicht bedingungslose Solidarität mit Israel sein (gar als »Staatsraison«, wie Kanzlerin Merkel meint), sondern nur entschiedene Parteinahme gegen Entrechtung und Unterdrückung jeder Art. Immer wieder muß an die mahnenden Worte des Juden Albert Einstein erinnert werden: »Sollten wir unfähig sein, einen Weg der ehrlichen Zusammenarbeit und der ehrlichen Vereinbarungen mit den Arabern zu finden, dann haben wir absolut nichts gelernt aus unserem zweitausendjährigen Leiden und verdienen alles, was da auf uns zukommen wird.« Einstein schrieb dies 1929 an Chaim Weizmann – Jahre vor Hitlers Machtantritt. Es war offenbar damals schon nötig. Und ist es noch immer.
Erschienen in Ossietzky 9/2010 |
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