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Mai mit Vertretern westdeutscher Banken zusammen, die mit ihm Tacheles redeten. Eine Kreditgewährung an die noch von der Modrow-Regierung geschaffene Treuhandanstalt machten sie von deren Ausrichtung auf Privatisierung der volkseigenen Betriebe abhängig. Eine Woche später forderten die Großbanken auf einem weiteren Treffen mit dem noch zögernden de Maizière ein entsprechendes Volkskammergesetz. Am 17. Juni 1990 wurde es verabschiedet. 20 Jahre danach steht der DDR-Übergabe-Premier zu seiner Kapitulation vor den Banken und Konzernen und begründet sie vor dem Fernsehpublikum sogar philosophisch: Von der Modrow-Regierung sei die Anstalt »mit einer anderen Philosophie erfunden worden. Sie hatte noch die Überschrift ›Treuhandanstalt zur Bewahrung des Volkseigentums‹. Wir haben eine andere Philosophie gewählt, nach § 1 ist sie dazu da, zu privatisieren und umzustrukturieren.« Bei der Verteidigung dieser Kehrtwende bedient er sich allerdings recht eigenartiger Argumente, die die Sendung zu einem typischen Beispiel der üblichen Geschichtsklitterung machen. So sagt er, daß es in der DDR »hundert Lehrbücher (gab), in denen man nachlesen konnte, wie man vom Markt zum Plan kommt, aber leider Gottes gab es kein einziges für den umgekehrten Weg ...« Eigentlich hat er Recht, in der DDR gab es ein solches Buch tatsächlich nicht. Dafür lagen in den Tresoren in Bonn die detaillierten Pläne des »Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands« zur Restauration des Kapitalismus im Osten, mit deren Ausarbeitung der Beiratsvorsitzende Friedrich Ernst, ehemaliger Reichskommissar Hitlers zur Verwaltung des »feindlichen Vermögens«, auf Geheiß Adenauers schon 1952 begonnen hatte und über die sein Nachfolger Johann Baptist Gradl 1969 sagte: »Wenn es einmal zur realen Wiedervereinigungsarbeit kommt, finden sich die Problematik und eine Skala praktikabler Verfahrensweisen aufbereitet vor.« Zu diesen gehörte zuvörderst die Gründung einer Treuhandanstalt (»Oberste Behörde«). Offenkundig möchte de Maizière, daß Tatsachen, die nicht in seine Philosophie passen, in Vergessenheit geraten. Sonst würde er zum Beispiel in der Sendung nicht zu der längst widerlegten Lüge greifen, der »relative Wohlstand« in der DDR sei schon in den 70er Jahren mit einer »Verschuldung und Kreditüberziehung« erkauft worden (s. dazu Ossietzky 13/2009). Überhaupt nimmt er es mit der Wahrheit nicht allzu genau. Als sein freundlicher Widerpart in der Talkshow, Gregor Gysi, unter anderem darauf hinweist, daß der DDR-Maschinenbau »totgemacht« wurde, da er eine nennenswerte Konkurrenz für diesen Industriezweig in der BRD war, wirft der Last-Minute-Premier eine »grundsätzliche Frage« auf, die er so formuliert: »Die DDR-Wirtschaft war zu 60 Prozent Exportwirtschaft. Und von diesen 60 Prozent gingen 90 Prozent an die Sowjetunion. Die gesamte Hochseefischereiflotte ist von uns gebaut worden. Die gesamte Wolgaschiffahrtsflotte ist von der DDR gebaut worden. Alle diese Notstromaggregate, alle Chemieanlagen sind von der DDR gebaut worden. Und fast alle Waggons der Sowjetskaja Shelesnaja Doroga, der Staatseisenbahn, sind in Ammendorf gebaut worden. Und die waren allesamt als Abnehmer weg. Die Sowjetunion war zahlungsunfähig.« Das klingt überzeugend und gut. Letzteres, weil die DDR-Industrie offenbar angesichts solcher Exportleistungen doch nicht ganz so »marode« gewesen sein kann, wie sie heutzutage gern dargestellt wird. Auch stimmt es, daß die Sowjetunion wichtigster Außenhandelspartner war. Nur die Behauptung, 90 Prozent des DDR-Exportes seien auf sie entfallen, spricht nicht gerade von großer Sachkenntnis eines DDR-Premiers, auch wenn er in jeder Hinsicht der letzte war. Die Tatsachen sehen anders aus: 1988 erreichte der Außenhandelsumsatz bei weitgehend ausgeglichenem Ex- und Import 177,3 Milliarden Valutamark, davon entfielen 66,5 Milliarden auf die SU, das sind nach Adam Riese 37,5 und keinesfalls 90 Prozent, wie de Maizière dem Publikum weismachen will. Unbestreitbar brach der Außenhandel mit der Sowjetunion 1990 zusammen, aber das war nicht die Folge angeblicher Zahlungsunfähigkeit Moskaus, sondern der Währungsunion, mit deren Ankündigung vor der Volkskammerwahl de Maizière ins Amt gehoben wurde. Vor der Währungsumstellung erhielten die DDR-Exportbetriebe für einen transferablen Rubel 4,67 Mark der DDR, danach 2,34 DM. Die Exporterlöse halbierten sich, und der DDR-Außenhandel nahm schweren Schaden. Selbst der ehemalige Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl meinte: »Das war eine Roßkur, die keine Wirtschaft aushält.« Einer der Kurpfuscher war de Maizière, der sich jetzt dümmer stellt, als er ist. Dafür ist er ein exzellenter Märchenerzähler. Als einer der Mit-Talker, der Schriftsteller Thomas Brussig, einwendet, kein Mensch könne ihm erklären, »warum Flugzeuge der Interflug für eine Mark das Stück verkauft werden mußten«, gibt er folgende Geschichte zum besten: »Die Flugzeuge der Interflug waren durchgängig TU-Maschinen, die keinerlei Landegenehmigungen auf den deutschen Flugplätzen hatten ... Es gab zwei oder drei Airbusse, aber die eigentliche Flotte ... waren TU- und Jakowlew-Maschinen ...« Eine weiteres Märchen, denn die Interflug verfügte über kein einziges Fluggerät vom Typ Jakowlew, dafür aber unter anderem über elf IL-62, acht IL-18, drei A 310 und achtzehn TU 134, eine Maschine, die noch lange Zeit weltweit, auch im EU-Raum, unterwegs war. So bindet de Maizière dem Publikum einen großen russischen Bären auf. Und sollte er wirklich vergessen haben, daß noch im März 1990 zwischen dem Verkehrsministerium der DDR, der Interflug und der Deutschen Lufthansa eine »Absichtserklärung« über eine Beteiligung der DLH an der Interflug in Höhe von 26 Prozent der Kapitalanteile unterzeichnet worden war, die auf eine langfristige Kooperation zielte? Mit der Treuhand veränderte sich die Lage. Die Interflug, potentieller Konkurrent der Lufthansa, wurde liquidiert. Ob der Fabulierkunst des Treuhand-Verteidigers war die Sendung kurzweilig, auch wenn ein paar Kleinigkeiten zum Thema – die entschädigungslose Enteignung des Volksvermögens, die Deindustrialisierung Ostdeutschlands, die Vernichtung von mehr als zweieinhalb Millionen Arbeitsplätzen, die Restauration kapitalistischer Produktionsverhältnisse – unerwähnt blieben. Wozu auch? Es war doch nur eine Show, eben eine Talkshow.
Erschienen in Ossietzky 7/2010 |
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