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So urteilte Anfang März das Bundesverfassungsgericht über das noch von der Großen Koalition verabschiedete Gesetz, gegen das fast 35.000 Bundesbürger Beschwerde erhoben hatten – die größte Massenbeschwerde in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Das Urteil stärkt endlich wieder das arg gebeutelte Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses und stärkt damit auch die Informationelle Selbstbestimmung und den Datenschutz. Das Gericht hat dem Gesetzgeber nicht, wie so oft, eine Nachbesserungsfrist eingeräumt, um ein neues Gesetz unter Beachtung der Kriterien des Gerichts zu erlassen; vielmehr hat es die der Vorratsspeicherung zugrunde liegenden Gesetzesregelungen sogleich für nichtig erklärt und eine unverzügliche Löschung aller gespeicherten Vorratsdaten verlangt. Offensichtlich stufte es den Verstoß gegen die Verfassung und die Verletzung von Grundrechten als besonders gravierend ein. Die Beschwerdeführer haben erreicht, daß die Vorratsdatenspeicherung so lange zu unterbleiben hat, bis ein neues – verfassungskonformes – Gesetz beschlossen wird. Das kann – zum Leidwesen mancher Polizeifunktionäre – dauern, denn die Befürworter in der Regierungsfraktion CDU/CSU, namentlich Bundesinnenminister Thomas de Maizière, stoßen (noch) auf Widerstände in der FDP, vorneweg der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die mit ihrer FDP selbst zu den Beschwerdeführern gehörte. Eine Sicherheitslücke wird dadurch nicht entstehen, schließlich können Verbindungsdaten, die von den Providern – den Unternehmern dieser Branche – zu Abrechnungszwecken zwei oder drei Monate lang gespeichert werden, wie eh und je im Verdachtsfall von der Polizei angefordert werden. Selbst bei Flatrate-Tarifen werden die Daten etwa eine Woche lang gespeichert. Trotz aller spontanen Begeisterung wurden die Erwartungen der Beschwerdeführer teilweise enttäuscht. Die große Hoffnung war, daß das Bundesverfassungsgericht der massenhaften, die gesamte telekommunizierende Bevölkerung erfassenden Sammlung von Daten auf Vorrat einen wirksamen Riegel vorschiebt. Das ist allerdings nur zum Teil geschehen. Angesichts der Tatsache, daß die Vorratsdatenspeicherung tief in Grundrechte der Betroffenen eingreife und damit ein diffus bedrohliches Gefühl des Überwachtwerdens entstehe, so die Verfassungsrichter, müßten diese Art von Speicherung und die Auswertung der auf Vorrat gespeicherten Daten an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft werden, die das Gericht dem Gesetzgeber diktierte. So müssen die Telekommunikationsanbieter, die gleichsam als Hilfspolizei des Staates verpflichtet sind, die Daten vorrätig zu halten, den strengen Anforderungen der Datensicherheit genügen: Sie müssen die Daten getrennt speichern, wirksam verschlüsseln sowie Datenzugriffe protokollieren und kontrollieren. Die Sicherheitsbehörden dürfen die Daten nur unter nur unter erheblichen Einschränken nutzen. Die Vorratsdaten dürfen – anders als es das Gesetz bislang erlaubte – nur zur Ermittlung und Aufklärung besonders schwerer Straftaten verwendet werden. Insoweit rügte das Gericht, daß der Gesetzgeber weit über die EU-Richtlinie hinausgehe, die die EU-Mitgliedsstaaten zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet. Das bedeutet: Die Weitergabe der Verbindungsdaten an Staatsanwaltschaften und Polizeien darf nur zur Aufklärung schwerer Straftaten wie Mord, Totschlag, Geiselnahme, Raub, Erpressung, Kindesmißbrauch oder Hochverrat erfolgen, nicht bei mittelschweren oder leichteren Straftaten. Allerdings soll die personenbezogene Zuordnung von Computer-Adressen zur Identifizierung von Internetbenutzern schon bei einem hinreichenden Tatverdacht auf eine noch so geringe Straftat oder auf schwere Ordnungswidrigkeiten möglich sein – sogar ohne Richtervorbehalt. Zur Gefahrenabwehr dürfen Vorratsdaten nur dann an die Polizei übermittelt werden, wenn es gilt, eine konkrete »dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person« oder für die Sicherheit des Staates abzuwehren. Damit würden Geheimdienste in Zukunft kaum noch Zugriff auf die Vorratsdaten erhalten. Kontakte etwa zu Aids- und Drogenberatungsstellen dürfen den Sicherheitsbehörden nicht gemeldet werden. Das Gericht verlangt Regeln zur Verfahrenssicherung, also Transparenz und Kontrolle der Datenverwendung, Benachrichtigungspflichten sowie einen wirksamen Rechtsschutz. In solchen Begrenzungen hält das Gericht die Vorratsdatenspeicherung prinzipiell für vereinbar mit dem Grundgesetz und hat sie deshalb nicht gekippt. Die entsprechende EU-Vorgabe sei verfassungskonform. Gerade mit dieser Vorgabe scheint sich das Gericht allerdings nicht allzu kritisch auseinandergesetzt zu haben. Die mit der prinzipiellen Zulassung von Vorratsdatenspeicherungen verbundenen Gefahren sind nicht gebannt. Auch wenn es gelänge, die Bedingungen noch strenger zu fassen, könnten mit Hilfe riesiger Datenreservoire Bewegungsprofile einzelner Personen erstellt, ihre geschäftlichen Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden. Wie schnell das passieren kann, zeigen Mißbrauchsfälle bei der Telekom, die für die Sicherheitsbehörden Daten vorrätig halten mußte. Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden bleiben möglich. Insgesamt sind also freie Kommunikation und Privatheit, aber auch Berufsgeheimnisse und Pressefreiheit weiterhin bedroht, sollte es zu einem neuen Gesetz kommen. Und auch die Mißbrauchsgefahr ist dann keinesfalls gebannt, denn wo viele brisante und in ihrer Kombination durchaus auch intime Daten gesammelt werden, lassen die Begehrlichkeiten nicht lange auf sich warten. Man denke nur an die kürzlich aufgetauchten Kompaktdisketten mit Steuerdaten, um die Gefahren möglichen Mißbrauchs zu erahnen, zumal nicht ersichtlich ist, wie die privaten Telekommunikationsanbieter aufwendige Datensicherheit gewährleisten können. Spezielle Vertrauensverhältnisse, etwa zwischen Anwalt und Mandant oder zwischen Journalist und Informant, werden sich unter den Bedingungen der Vorratsspeicherung schwerlich garantieren lassen. Wenn Verkehrsdaten aller Bürger sechs Monate lang ohne Anlaß zwangsweise zu speichern sind, verstößt das meines Erachtens gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, und das gilt auch für alle anderen Vorratsdatensammlungen, also auch für ELENA, die neue Arbeitnehmer-Datei, die als nächste einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden muß. Das Bundesverfassungsgericht hat in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe von Antiterror-Gesetzen und Sicherheitsmaßnahmen ganz oder teilweise für verfassungswidrig erklären müssen. Das Gericht rügte dabei eindringlich die besorgniserregende Tendenz, daß sich Regierungen und Parlamente bereit fanden, unveräußerliche Grund- und Bürgerrechte, die Menschenwürde und den Kern privater Lebensgestaltung einer vermeintlichen Sicherheit zu opfern. Damit bestätigte sich, daß das Verfassungsbewußtsein der politischen Klasse besonders im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes erheblich gelitten hat. Aus all diesen Gründen muß nun auf die Politiker hierzulande und in der EU eingewirkt werden, nicht etwa einfach ein neues Gesetz nach den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts zu schneidern, sondern die verpflichtende EU-Vorgabe zu kippen und die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ersatzlos zu streichen. Schließlich sprechen sich 70 Prozent der Bundesbürger gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Staaten wie Österreich, Schweden und Rumänien verweigern sich ihr bis heute. Einzelne EU-Funktionäre haben inzwischen die entsprechende Richtlinie zur Überprüfung und sogar zur Disposition gestellt; und die EU-Parlamentarier haben nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages zu neuem Selbstbewußtsein gegenüber EU-Kommission und Ministerrat gefunden – siehe ihre Entscheidung über das SWIFT-Bankdaten-Abkommen mit den USA, das rasch gekippt wurde. All das sind gute Voraussetzungen, um Schwung in die Debatte zu bringen. Rolf Gössner war einer der Beschwerdeführer. – Online-Formular zum Unterzeichnen der Verfassungsschutzbeschwerde gegen ELENA (s.o.) und weitere Informationen sind im Internet erhältlich unter https:petitionen.foebud.org/ELENA oder http://stoppt-elena.de (Frist zum Unterzeichnen: 25.3.2010)
Erschienen in Ossietzky 6/2010 |
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