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Die Ministerialbeamten und Redenschreiber werden es besser wissen: Bei genauerem Studium der monatlichen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit kommt man ungefähr auf die doppelte Anzahl. Allerdings haben die Beamten auf allen Ebenen den Auftrag, die Zahlen zu manipulieren, und die Mainstream-Medien greifen die frohe Botschaft begierig auf. Doch gelegentlich läßt sogar eine dpa-Meldung (zitiert auch in Provinzblättern wie den Westfälischen Nachrichten am 21. Januar) die Wahrheit erahnen. Dort hieß es, daß Ende 2008 »6,6 Millionen Menschen auf Leistungen aus Hartz IV angewiesen« waren. Und weiter: »Davon waren Dreiviertel (73 Prozent) erwerbsfähig.« Das wären immerhin schon 4.818 Millionen, bei dem restlichen Viertel handelt es sich um mitzuversorgende Familienangehörige. Wenn fast fünf Millionen Menschen, die nach den Hartz-IV-Regelungen Arbeitslosengeld 2 erhalten, als »erwerbsfähig« eingeschätzt wurden, sollten sie doch wohl auch als »arbeitslos« gelten. Hinzuzurechnen sind noch jene 1.143 Millionen, die sich im ersten Jahr ihrer Arbeitslosigkeit befinden und Arbeitslosengeld 1 erhalten, oder Ältere, die gestaffelt nach Lebensjahren noch 15 bis 24 Monate lang Anspruch auf Alg 1 haben. Von dieser Gruppe müssen wir für die Gesamtrechnung korrekterweise 123.000 wieder abziehen, weil sie neben dem geringen, für die Lebenshaltung nicht ausreichenden Alg. 1 zustäzlich Alg. 2 nach Hartz IV beantragen durften, demnach in den vorigen Zahlen doppelt enthalten sind. Die Rechnung ist nicht besonders schwer: 4.818 Millionen + 1.143 Millionen – 0.123 Millionen = 5.838 Millionen. Demnach gab es Ende 2008 schon fast sechs Millionen Arbeitslose. Heute, infolge der schleichend in die »Realwirtschaft« reichenden Krise, sind es noch einige Hunderttausend mehr. Die Statistiker in der Bundesagentur für Arbeit haben immer neue Vorgaben bekommen, wie sich die Zahl der offiziell als arbeitslos Registrierten minimieren läßt: Arbeitslose in Fortbildungsmaßnahmen zählen nicht mehr, obwohl sie weiter Bewerbungen schreiben müssen und jederzeit eine etwa auftauchende Stelle anzutreten haben. Wer einen 1-Euro-Job annehmen muß, zählt ebenfalls nicht mehr als arbeitslos. Wer vorzeitig nach der 58er Regelung in »Anpassung« gedrängt wird und Arbeitslosengeld erhält, um anschließend in vorgezogene Rente zu gehen (mit empfindlichen Abschlägen), zählt auch nicht mehr als Arbeitsloser. Ähnlich all die Minijobber und Kurzarbeiter und so weiter. Viele dieser statistischen Manipulationen sind schon in den Zeiten von Rot-Grün vorgenommen worden. Doch mit unerschöpflicher Kreativität denkt man sich immer neue Möglichkeiten aus, Arbeitslose verschwinden zu lassen. Bald werden wohl auch in der BRD – wie schon länger in den USA – all jene in der Statistik nicht mehr erscheinen, die in einem Befragungszeitraum von drei Monaten mindestens einen Arbeitstag lang (acht Stunden) gearbeitet haben. Über sechs Millionen Menschen, die selbst von den Regierungsstatistikern hierzulande als »erwerbsfähig«, aber ohne auskömmliches Arbeitseinkommen erfaßt sind, haben ein Recht darauf, endlich auch von ihren gewählten Vertretern in Parlament und Regierung als »arbeitslos« wahrgenommen zu werden. Und das gerne sich beruhigende Wählervolk sollte wenigstens die Chance erhalten, das ungeschminkte Desaster in der Arbeitsmarktpolitik zur Kenntnis zu nehmen. Schluß mit den Lügen über das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit! Wann endlich fordern auch die Gewerkschaften generelle Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich, um möglichst allen die Möglichkeit zu verschaffen, sich ihren Lebensunterhalt zu erarbeiten. Neue Massenentlassungen sind absehbar. Wir nähern uns Zuständen wie am Ende der Weimarer Republik, besonders dann, wenn die Regierungen weiterhin die heutige kapitalistische Großkrise mit »Rettungspaketen« an die Kapitalseite zu überwinden versuchen – also mit Geschenken, die einseitig von den noch Arbeitenden und auf Sozialleistungen Angewiesenen aufgebracht werden sollen. Wachsende Armut und Verzweiflung werden die Folge sein. Die Gewerkschaften müssen das Elend der Arbeitslosigkeit anprangern und für Vollbeschäftigung kämpfen. Proteststreiks in den Betrieben, die notfalls bis zum Generalstreik auszuweiten wären, gehören jetzt auf die Tagesordnung jeder Gewerkschaft, um die sich abzeichnende Agenda 2020 von Schwarz-Gelb abzuwehren. Denn noch gilt das Grundgesetz mit Artikel 20, Absatz 1: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.« Und Absatz 4 sollte uns animieren: »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.«
Erschienen in Ossietzky 3/2010 |
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