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Denn wahrhaft archaisch – so wie Militärs dieses Wort verstehen – war in jener nächtlichen Feuerhölle das Zerfetzen, Verstümmeln, Verbrennen von mehr als 140 Menschen im Flußbett des Kunduz River. Die GBU-38-Bomben fanden mit chirurgischer Präzision ihr Ziel – lasergesteuert aus dem Cockpit zweier satellitengestützt navigierender Hochleistungskampfflugzeuge, deren Besatzungen von Fliegerleitoffizieren geführt wurden, die weitab vom Geschehen in der aseptischen Atmosphäre klimatisierter Gefechtsstände an ihren Digitalfunkgeräten und Computermonitoren saßen. Auf dem langen Marsch der Bundeswehr von Himmerod zum Hindukusch waren die Söhne und Enkel, die heutzutage in den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland dienen, spätestens mit diesem Bombenmassaker dort angekommen, wo ihre Väter und Großväter in der Uniform der Großdeutschen Wehrmacht dereinst aufgehört hatten: nämlich mitten im Krieg. Dabei hatten jene Gründungsväter der Bundeswehr, die sich auf Geheiß Konrad Adenauers im Eifelkloster Himmerod einfanden, um die neuen deutschen Streitkräfte zu konzipieren, das genaue Gegenteil im Sinn gehabt. Konstitutiv für den Auftrag der Bundeswehr nämlich sollte die Friedenssicherung durch Abschreckung und, notfalls, Verteidigung sein. Namentlich Wolf Graf von Baudissin, der Spiritus Rector der Inneren Führung mit ihrem Leitbild vom »Staatsbürger in Uniform«, wollte die zukünftigen Vaterlandsverteidiger vor allem als »Soldaten für den Frieden« verstanden wissen. Auch der vor mittlerweile neun Jahren begonnene Bundeswehreinsatz im fernen Afghanistan begonnen wurde, sollte dieser Maxime folgen und laut Gerhard Schröder eben kein »militärisches Abenteuer« sein. Politik, Öffentlichkeit und Streitkräfte waren sich damals einig, daß im Rahmen jener »International Security Assistance Force« (ISAF), die der UN-Sicherheitsrat im Dezember 2001 mandatiert hatte, lediglich »zivil-militärische Zusammenarbeit«, Brunnenbohren, Schul- und Brückenbau unter der Obhut internationaler Schutztruppen, ein bißchen bewaffnete Entwicklungshilfe sozusagen, gefragt sei. Dementsprechend blieb die deutsche Militärmission anfänglich sowohl quantitativ als auch qualitativ streng limitiert. Bis zu 1.200 Bundeswehrsoldaten wurden in die Hauptstadt Kabul und Umgebung entsandt. Deren Vorgehensweise gestaltete sich eher defensiv, reaktiv, stabilisierend – eben ganz im Sinne eines neuen Verständnisses vom Soldaten, dessen Auftrag »Schützen, Helfen, Retten« lautet. Trotz vereinzelten Gegrummels vor allem aus Kreisen konservativer Heeresoffiziere, die immer schon den »Ernstfall Krieg« propagiert hatten, stieß die Rollenvorstellung von der Bundeswehr als eines »bewaffneten Technischen Hilfswerks« auch in der Truppe weithin auf Sympathie. Erste Risse bekam diese vor allem seitens der politischen Entscheidungsträger inbrünstig gepflegten (Auto-)Suggestion, als die ersten Bundeswehrangehörigen verwundet, verstümmelt, traumatisiert oder gar tot in ihre Heimat zurückkehrten. Aber auch die stetig steigende Zahl ziviler Opfer des eskalierenden Konflikts sorgte für immer tiefere Irritationen, und diese Entwicklung konnte nicht überraschen, hatte doch die NATO mit dem Segen des UN-Sicherheitsrats ihre zu-nächst auf Kabul und Umgebung beschränkte ISAF-Mission bis Oktober 2006 auf das gesamte Land ausgeweitet. Zugleich wurden deutsche Soldaten immer zahlreicher auf den Konfliktschauplatz entsandt – momentan liegt die Mandatsobergrenze bei 4.500. Mit der Expansion des Besatzungsregimes einher ging der Wandel des Einsatzprofils der ISAF hin zu immer offensiveren Taktiken, die darauf abzielen, den afghanischen Widerstand zu bekämpfen und zu vernichten. Dessen ungeachtet beschied noch im Juli 2008 der damals amtierende Verteidigungsminister Franz Josef Jung eine kritische Reporterfrage mit den Worten: »Ich will Ihnen eindeutig widersprechen, daß in Afghanistan Krieg ist – es ist dort eine andere Situation.« Argumentative Schützenhilfe leistete ihm die damalige Verteidigungsausschußvorsitzende Ulrike Merten von der SPD. Sie gab zu Protokoll: »Es ist ganz eindeutig, daß wir in Afghanistan nicht nach Kriegsrecht operieren, es ist kein Krieg, in dem wir dort handeln.« Während sich die Politik solchermaßen in Selbst- und Wählertäuschung übte, pflegte das Militär längst eine deutlichere Sprache. »Auch wenn wir irgendwann sagen können, die Schlachten in Afghanistan oder woanders sind beendet, wird der Kampf gegen den Terrorismus ewig weitergehen ... Wir sind stark genug, ... und ... werden den Krieg gegen diesen Feind gewinnen«, hatte Heeresinspekteur Budde schon im Dezember 2006 versichert. Mochte die Halluzination vom Endsieg im ewigen Krieg sprachlogischer Schwachsinn sein, so traf der Verweis auf die kriegerische Realität den Nagel auf den Kopf. Zugleich spiegelte sich in solchen Sentenzen die allmähliche Transformation der Bundeswehr von einer Armee für den Frieden zur Truppe für den Krieg. Mit der von US-Präsident Obama betriebenen Eskalation des Krieges am Hindukusch wurde auch hierzulande der Ton immer martialischer. »Die bisherige Taktik war hit and run, schießen und wegrennen. Das ist jetzt etwas anders«, ließ Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan im Mai 2009 anläßlich der von der Bundeswehr geführten Offensiven im Raum Kunduz verlauten, bei denen erstmals schwere Waffen (Schützenpanzer »Marder« und 120-Millimeter-Mörser) eingesetzt wurden. Sein Verteidigungsminister gab derweil markig zu Protokoll: »Jeder, der unsere Soldaten und die unserer Alliierten in Afghanistan angreift, muß wissen, daß er bekämpft und zur Verantwortung gezogen wird.« Flankiert wurde solch bellizistische deutsche Prosa vom Nationalen Sicherheitsberater der USA, James Jones, der anläßlich mehrerer mörderischer US-Luftangriffe auf afghanische Dörfer kommentierte, man könne von den USA nicht erwarten, daß sie mit einer auf den Rücken gebundenen Hand kämpfen würden. Offenbar stieß in den Reihen der westlichen Verbündeten solche Parole von jenseits des Atlantiks durchaus auf Widerhall. Denn nach dem Bombenmassaker von Kunduz postulierte Theo Sommer, ehemaliger Leiter des Planungsstabes unter Verteidigungsminister Helmut Schmidt und Autor der Zeit, prompt: »Wer will, daß die Bundeswehr in Afghanistan bleibt, darf ihr nicht einen Arm auf dem Rücken festbinden.« Angesichts dessen sah sich Jungs Amtsnachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg schließlich zur rhetorischen Frontbegradigung genötigt: In Teilen Afghanistans herrschten »fraglos kriegsähnliche Zustände« und, so Deutschlands neuer Kriegsminister, er könne jeden Soldaten verstehen, »der sagt: In Afghanistan ist Krieg«. Völkerrechtlich präzise auf den Punkt brachte Jurist Guttenberg den Sachverhalt mit seiner Verlautbarung, »daß es sich in Teilen Afghanistans um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt handelt.« Damit fand die von mehreren Bundesregierungen über Jahre geübte Praxis der Realitätsverleugnung ihr Ende. Die Ernennung eines kriegserfahrenen Offiziers zum neuen Generalinspekteur der Bundeswehr, dessen Karriere wesentlich durch herausragende Verwendungen im Rahmen von NATO-Operationen auf dem Balkan und in Afghanistan, zuletzt als Chef des Stabes im ISAF-Hauptquartier in Kabul, geprägt ist, mag da nicht mehr zu verwundern. Dabei verweisen selbst konservative und extrem NATO-loyale Analysten wie der in der Wolle gefärbte Atlantiker Lothar Rühl darauf, daß es keinerlei militärische Siegaussichten gibt und daß folglich »der strategische Rückzug der internationalen Truppen aus Afghanistan in den nächsten Jahren unvermeidlich ist« (FAZ vom 21. Januar 2010). In den mehr als acht Jahren seit dem Einfall in Zentralasien sind die Erfolgsaussichten für eine militärische Niederwerfung des Feindes nicht etwa besser geworden, sondern kontinuierlich gesunken. Inzwischen ist das Ziel des westlichen Engagements heruntergeschraubt worden: Statt Nation-Building-Ambitionen zu verfolgen, will man nurmehr die Voraussetzungen für einen gesichtswahrenden Rückzug schaffen. Aber dieser Strategiewechsel genügt nicht. Es gilt, hysterische Bedrohungsvorstellungen von den »radikalislamischen Terrorkriegern« am Hindukusch zu überwinden. Man muß endlich unterscheiden zwischen autochthonen aufständischen Kämpfern gegen die bis ins Mark korrupte, hochgradig kriminelle Zentralregierung in Kabul und deren Ableger in den Provinzen einerseits und den arabischen Terroristen der Al Qaida. Dazu Rühl: »Auch kann nicht wie bisher einfach vorausgesetzt werden, daß die verschiedenen Taliban und sonstigen Aufständischen für eine Rückkehr von Al Qaida nach Afghanistan kämpfen oder diese auch nur wollten … Die schematische Gleichsetzung von Afghanistan, Al Qaida, Taliban und Terror ist weder für die Politik im Orient noch für die Strategie in Südwestasien nützlich.« Da aufgrund der Disparität des afghanischen Widerstandes ein kompetenter, zuverlässiger Partner für Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen nicht verfügbar ist, bleibt der NATO nach Auffassung Rühls im Grunde nur eine einzige realistische Option, um sich aus dem Schlamassel am Hindukusch herauszuwinden, und er nennt dafür drei Elemente: »Erstens: Abstützung auf Kräfte mit regionaler Autonomie in einer lockeren Konföderation Afghanistan, verbunden mit der Unterstützung regionaler Milizen. Zweitens: Verzicht auf großangelegte Operationen, deren Erfolg die Aufständischen nur nach Westpakistan drängen und dort die Sicherheit weiter schwächen, das Risiko für den Staat Pakistan weiter erhöhen würde; dies gilt ebenso für die Fortsetzung der Luftangriffe in Pakistan. Drittens: Fortsetzung des Aufbaus der afghanischen Sicherheitskräfte mit Schwerpunkt auf regionalen, möglichst ethnisch homogenen Organisationen.« Betrachtet man die neue Afghanistan-Strategie, die Kanzlerin Merkel mit Verve präsentiert hat, sowie die auf der Londoner Afghanistan-Konferenz gefaßten Beschlüsse, so spricht wenig für die Hoffnung, daß am Hindukusch nunmehr die große Wende zum Guten bevorsteht. Im Gegenteil: US-Präsident Obama läßt die feigen und verheerenden Drohnenangriffe auf Pakistan mit gesteigerter Intensität fortführen, und die vollmundigen Zusagen, mehr Geld für den zivilen Aufbau zu zahlen, bedeuten noch längst nicht, daß die Mittel wirklich fließen werden oder überhaupt in sinnvolle, erfolgversprechende Entwicklungsprojekte investiert werden können, solange die westlichen Besatzungsmächte ihren unsinnigen »Krieg gegen den Terror« weiterführen. Zudem wird auch durch die jüngsten Entscheidungen das extreme Mißverhältnis zwischen dem Ressourcenaufwand für den militärischen und den zivilen Sektor nicht durchgreifend korrigiert. Schließlich kann schon ein Blick zurück in die Geschichte alle strategischen Schönfärber Lügen strafen: Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist in Südvietnam genau das mißlungen, was nun am Hindukusch erneut versucht werden soll. Die Ausbildung von kampfkräftigen und vor allem auch zum Kampf motivierten einheimischen Streitkräften durch ausländische Militärinstrukteure unter den Bedingungen des Krieges ist dort ebenso kläglich gescheitert wie das parallel dazu betriebene Nation Building á la USA. Das Menetekel von Saigon sollte nicht nur dem »Bürgermeister von Kabul«, Karsai, sondern auch allen siegerpichten Militärschranzen eindringliche Warnung sein. Unser Autor Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr a. D., ist als nunmehr freier Staatsbürger ohne Uniform nicht mehr gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen vertritt. Die gegen ihn wegen seiner in Ossietzky vertretenen persönlichen Auffassungen eingeleiteten Disziplinarverfahren laufen aber weiter.
Erschienen in Ossietzky 3/2010 |
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