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Das Bundeswahlgesetz (BWahlG) sagt in Paragraph 13, wer von der Wahl ausgeschlossen ist, nämlich »1. wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt, 2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfaßt, 3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.« Alles präzise geregelt. Stasi ist nicht dabei. Stasi kann also auch gewählt werden. Wir leben in einem Rechtsstaat. Aber nach der Wahl rufen alle, die Medien und die Abgeordneten: Stasi raus. So neuerdings Brandenburg. Ein früherer Fall war der des PDS-Bundestagsabgeordneten Professor Gerhard Riege. Er nahm sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief schrieb er: »Mir fehlt die Kraft zum Kämpfen und zum Leben. Sie ist mir mit der neuen Freiheit genommen worden. Ich habe Angst vor der Öffentlichkeit, wie sie von den Medien geschaffen wird und gegen die ich mich nicht wehren kann. Ich habe Angst vor dem Haß, der mir im Bundestag entgegenschlägt, aus Mündern und Augen und Haltung von Leuten, die vielleicht nicht einmal ahnen, wie unmoralisch und erbarmungslos das System ist, dem sie sich verschrieben haben. Sie werden den Sieg über uns voll auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen Flecken zu reinigen.« Der kluge Kandidat verzichtet deshalb von vornherein auf seine Kandidatur, oder er beichtet. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 GG) nimmt er lieber nicht in Anspruch. Er gesteht zum Beispiel, als Siebzehnjähriger, lang ist es her, einmal eine Verpflichtungserklärung der Stasi unterschrieben und der Sicherheitsbehörde berichtet zu haben, daß dieser und jener mit der DDR nichts am Hut hat; Geheimdienste der BRD und vieler anderer Staaten haben immerzu solche Informationen gesammelt. Strafbar hat sich dieser Kandidat damit weder damals noch heute gemacht. Auch hat die Stasi danach kein Verbrechen verübt. Aber schlimm ist das auch nach 20, 30, 40 Jahren noch. So einer kann oder darf ebenso wenig Volksvertreter sein wie einer, der nach § 13 BWahlG vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, weil er geisteskrank ist oder durch Richterspruch sein passives Wahlrecht verloren hat. Der Richterspruch gilt nicht länger als fünf Jahre (§ 45 Absatz 1 StGB). Stasi dagegen wirkt lebenslänglich, das ist, Grundgesetz hin oder her, Volkes Wille oder der Wille der Opfer – sagt man. Abgestimmt wurde nicht. Ist ja auch klar, denn Stasi soll furchtbare Verbrechen begangen haben, sagt selbst Klaus Lederer, Vorsitzender der Partei Die Linke in Berlin. Welche Verbrechen? Generalstaatsanwalt Schaefgen hat es, als er noch im Amt war, bekanntgegeben (Neue Justiz 2000, S. 1), und die Professoren der Humboldt-Universität kamen zum gleichen Ergebnis. Sie verkündeten, daß 143 Personen wegen MfS-Straftaten angeklagt, 20 verurteilt wurden (s. Marxen/Werle: »Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht«, Berlin/New York 1999). Zwölf von ihnen wurden zu Geldstrafen verurteilt, acht zu Freiheitsstrafen, die in sieben Fällen zur Bewährung ausgesetzt wurden. Eine Bestrafung wegen Verbrechens kann demnach höchstens in einem Fall vorgekommen sein, denn »Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind« (§ 12 Absatz 1 StGB). Amtlich wurde das Ergebnis der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung nicht bekanntgegeben. Eine Petition, die Öffentlichkeit zu informieren, wurde abschlägig beschieden. Wußte Lederer das nicht, oder sagte er bewußt die Unwahrheit? Also, Verbrechen hat Stasi nach Meinung der Professoren und des ehemaligen Generalstaatsanwalts nicht begangen. Eine Kollektivschuld aller ihrer haupt- und nebenberuflichen Mitarbeiter kann darauf also nicht gestützt werden. Ist Kollektivschuld überhaupt ein Begriff des Rechtsstaats? Wohl eher nicht. Doch alle Stasi-Angehörigen, alle IM werden behandelt, als trügen sie schwere Schuld – ohne Urteil, ohne Verteidiger, einfach kraft Bild und aller Eigentümer der Medien. Trotz Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) keine Arbeit im öffentlichen Dienst und anderswo, etwa bei der Presse. Schlechtere Rente als nach den Beiträgen begründet. Ganz gleich, ob Musiker, Arzt, Personenschützer oder Vernehmer. Mit gefangen, mit gehangen, kollektiv eben. Strafen sind das juristisch nicht, weil sie nicht von einem Strafgericht verhängt worden sind. Etwas anderes wäre nicht rechtsstaatlich. Empfunden werden diese Nicht-Strafen jedoch als Strafen, etwa die Strafrenten. Mit den Nazis, die man offiziell als Nationalsozialisten bezeichnet (vorgeblich waren sie eben auch Sozialisten), war das etwas ganz anderes. Sie konnten wie Globke rechte Hand des Bundeskanzlers werden oder wie Kiesinger selbst Bundeskanzler sein oder wie Gehlen den Bundesnachrichtendienst leiten, nachdem er auch schon den Vorgängergeheimdienst im Nazi-Reich geleitet hatte. Und Richter und Staatsanwälte und Polizisten konnten sie auch sein, sie hatten schließlich Erfahrung, wie man mit Kommunisten umgeht. Die Straftaten der Nazis wurden Zug um Zug amnestiert, am 31. Dezember 1949, am 17. Juli 1954, am 30. Juni 1956 und am 31. Dezember 1956. Die Gerichte waren ebenfalls gnädig. Der Bundesgerichtshof bekannte 1995, daß die Auseinandersetzung mit der NS-Justiz »insgesamt fehlgeschlagen« sei und »keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung verurteilt« wurde. Ein spätes, zu spätes und nur halbes Geständnis. Nicht nur die Juristen wurden nicht bestraft, wie die Amnestien zeigen. Robert M. W. Kempner, stellvertretender Hauptankläger der Nürnberger Prozesse, sprach von einem «Gnadenfieber«. Das »Fieber« hatte eine Ursache: Die Nazis wurden gebraucht. Es ging wieder gegen die Roten, für die Freiheit des Kapitals. Kempner schildert: »Das Unglückselige von meinem Standpunkt aus war, daß die Gnadenwünsche in gewissem Sinne der damaligen amerikanischen Politik gar nicht ins Gehege kamen. Das war in der Zeit, wo die Wiederbewaffnung langsam begann, der Koreakrieg drohte und bald schon anfing, so daß die Frage einer Bundesgenossenschaft mit den USA stärker in den Vordergrund trat. (...) Die Industriellen, die Krupp-, Flick- und IG-Farben-Leute kamen mit den passenden Argumenten: Wenn Deutschland wieder aufgebaut werden soll, dann müssen wir in ganz starkem Maße daran mitwirken, und unsere gefangenen früheren Chefs müssen entlassen werden.« Da konnte rechtsstaatlich nicht gezögert werden. So war und so ist das mit rechts und links im deutschen Recht und in der deutschen Politik. Nur die Linken werden gelinkt. Geendet hat das nie gut.
Erschienen in Ossietzky 1/2010 |
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