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Weil er nicht nur ins Visier gewaltbereiter Rechtsradikaler rückt, sondern obendrein auch noch systematisch von Amts wegen drangsaliert wird. Mouctar Bah hat zahlreiche Bedrohungen erfahren, weil er den Tod seines Freundes Oury Jalloh nicht stumm hinzunehmen bereit ist: den Feuertod in einer Polizeizelle, den Oury Jalloh erlitten hat, gefesselt an Händen und Füßen. Wie Oury zu Tode gekommen ist oder zu Tode gebracht wurde, ist bis heute nicht geklärt. Denn das Schwurgericht Dessau hat die verantwortlichen Polizeibeamten der Dessauer Wache Ende 2008 freigesprochen. Ich war mehrmals in Dessau als Gast bei Mouctar Bah. Es ist eine deutsche Stadt mit einem Ausländeranteil unter zwei Prozent. Früher eine Stadt der Fürsten, bis heute eine Stadt der Parks, eigentlich eine recht schöne Stadt. Keine Stadt der Industrie mehr, sondern seit der Vereinigung eine des wirtschaftlichen Niedergangs: Seit Kohls Deklaration der »blühenden Landschaften« hat Dessau ein Viertel seiner Bewohner verloren. Die Industrie brach vollkommen weg, die Arbeitslosigkeit stieg, die offiziellen Zahlen liegen über 15 Prozent, nicht mitgerechnet all die Ein-Euro-Jobs, sinnlosen Weiterbildungs- und öden Wartemaßnahmen der Arbeitsagenturen. Ein soziales Desaster. Dennoch phantasieren viele Dessauer von einem »ethnischen« Problem und einer »Überfremdung«. Und meinen an den Migranten ihren Frust und Haß abreagieren zu können. Es gibt allerdings auch das andere Dessau: Hier stand das Bauhaus mit Künstlern wie Klee, Kandinsky und Mies van der Rohe. Kurt Weill wurde hier geboren, der Komponist, der mit Bertolt Brecht zusammenarbeitete. In Dessau kämpft seit Jahren unermüdlich und tapfer eine Opferberatungsstelle gegen rechte Gewalt. Es gibt eine alternative Jugendkultur, eins ihrer Zentren wurde mehrfach von Rechtsradikalen überfallen, es gibt aktive Antifaschisten. In Dessau lebt auch seit langem Mouctar Bah. Und Oury Jalloh lebte hier. Die Dessauer Justiz hat über zwei Jahre gebraucht, um ein Verfahren gegen die Polizeibeamten zu beginnen, die für den Tod von Oury Jalloh Verantwortung tragen. Zustande gekommen ist der Prozeß nur deshalb, weil die Öffentlichkeit ihn erzwungen hat. Mouctar Bah hat daran einen erheblichen Anteil, und dafür gebührt ihm großer Dank. Er fordert eine gerechte und lückenlose Aufklärung und hofft jetzt darauf, daß der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren auf den Weg bringt – das wird sich in diesen Januartagen entscheiden. 2003 ist Mouctar Bah nach Dessau gezogen, da lebte er schon 13 Jahre in Deutschland. 1990 war er als 22-Jähriger mit Abitur und sportlichen Ehren – als Schwimmer war er der erste in der Nationalmannschaft von Guinea – nach Deutschland gekommen, um bei seinem Onkel zu wohnen, mit frischem Mut und der Hoffnung eines jungen Mannes auf eine gute Zukunft. Seine Familie blieb in Conakry, Mutter und vier Geschwister. Es war klar, daß er ihnen von Deutschland aus helfen würde. Sein Vater, ein Arzt, war 1983 früh verstorben. Mouctar lernte in Deutschland bald seine Frau kennen, wurde selber Vater. In Dessau gab es schon lange eine kleine schwarze Gemeinschaft. Ein schwarzer Dessauer, der Mosambikaner Alberto Adriano, wurde im Juni 2000 von drei Rechtsradikalen totgeschlagen. Zwanzig Jahre hatte Adriano in dieser Stadt gelebt. Die rassistischen und rechtsradikalen Gewalttaten haben in Dessau bis heute nicht nachgelassen: Noch im vergangenen Herbst wurde ein 24-jähriger Afrikaner im Stadtzentrum erst mit ausländerfeindlichen Parolen beleidigt und anschließend mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Ähnlich erging es zwei Wochen später einem jungen Mann, der an seiner Kleidung als Antifaschist erkennbar war: Zwei unbekannte Täter beleidigten ihn verbal und schlugen dann auf ihn ein. Er erlitt eine schwere Kopfverletzung. 2009 dokumentierte die Opferberatungsstelle schon in den ersten fünf Monaten mehr als zehn Übergriffe, von denen sich mehrere auch gegen alternativ lebende Jugendliche und aktive Antirassisten richteten. Nötigung, Bedrohung, schwere Körperverletzung sind die hauptsächlichen Straftaten. Dessau hat sich zu einem Schwerpunkt rechtsradikaler Gewalt in Sachsen-Anhalt entwickelt. Unter diesen erschwerten Bedingungen kämpft Mouctar Bah um Gerechtigkeit. Den Dessauer Behörden blieb die Entschiedenheit nicht verborgen, mit der Mouctar Bah für Migranten eintrat und nach dem Tod seines Freundes Oury Jalloh die Aufklärung der Vorgänge in der Polizeizelle forderte. Mouctar Bah tat das von seinem Internetcafé aus, das er 2003 eröffnet hatte. Es wurde zu einem Treffpunkt von Schwarzen und Migranten. Ich selbst war dort mehrmals zu Besuch, allerdings inkognito in meiner Rolle als Schwarzer. Ich wurde sehr gastfreundlich aufgenommen und erlebte das Café als eine wirklich alternative Begegnungsstätte. Hier lebenden Schwarzen wird zum Vorwurf gemacht, sie gründeten eine Parallelgesellschaft. Aber darüber soll sich niemand wundern. Wenn man als Schwarzer, ich habe es mehrfach erlebt, in ein normales Café geht, dann wird man nicht nur scheel angesehen, sondern manchmal sogar angepöbelt. Das Ordnungsamt der Stadt entzog Mouctar Bah Ende 2005 die Gewerbeerlaubnis unter dem Vorwand, er sei nicht entschieden genug gegen einzelne Drogenhändler unter seinen Gästen vorgegangen. Zwar hatte er mehrmals vermeintliche Dealer bei der Polizei angezeigt, doch das entlastete ihn in den Augen der Behörde nicht. Genausowenig, daß er selber bis heute in kein einziges Verfahren verwickelt war. Die Lizenz für das Café wurde ihm entzogen. Das Dessauer Verwaltungsgericht bestätigte Anfang 2006 den Willkürakt des Ordnungsamtes. Die paradoxe richterliche Begründung: Mouctar Bah habe Dealer angezeigt, um sich am Ende selber reinzuwaschen. Als Mouctar Bah nach einem Jahr erneut die Lizenz beantragte, verweigerte das Ordnungsamt sie ihm mit einer Begründung, die an Unverfrorenheit und Willkür kaum zu übertreffen ist. Ich zitiere sie wörtlich: »Ein Verhalten, das wiederholt polizeiliche Ermittlungen notwendig macht, läßt unabhängig vom Ergebnis der Ermittlungen auf große charakterliche Mängel Ihrer Person und offensichtlich fehlende Akzeptanz der Normen und der Gesetze der Bundesrepublik Deutschland schließen.« Erneut ging es nicht um Ermittlungsverfahren gegen ihn, sondern um Ermittlungen gegen zwei seiner Gäste. Sie hätten gegen die Residenzpflicht verstoßen, eine in Europa einzigartige deutsche Vorschrift, die Asylbewerbern bei Strafe verbietet, den ihnen zugewiesenen Aufenthaltsort zu verlassen. Zwei weitere Anzeigen hatte ein Nachbar gestellt, ein ortsbekannter Rechtsradikaler, der die Gäste des Internetcafés bezichtigte, die Straße zu verschmutzen. Unter dem Vorwand derartiger Anzeigen verweigerte das Ordnungsamt Mouctar den Gewerbeschein und brachte ihn damit um seine Existenzgrundlage. Das nenne ich institutionellen Rassismus, das ist in meinen Augen Rechtsbeugung im Amt aus niederen Beweggründen und offenbart in der Tat »große charakterliche Mängel«, allerdings nicht bei Mouctar, sondern der Behörde. Aber trotz solch rassistisch bornierter und scheinbar übermächtiger Gegner hat Mouctar Bah nicht aufgegeben. Das ist bewundernswert unter solchen Verhältnissen. Nach zweieinhalb Jahren Kampf, Öffentlichkeitsarbeit, Demonstrationen, Presseerklärungen, Eingaben und der Organisierung internationaler Unterstützung begann der Prozeß gegen die Polizeibeamten der Wache in Dessau, in der Oury Jalloh gefesselt auf einer Pritsche lebendigen Leibes verbrannt war. Er bestätigte, wie tief der Rassismus in den Polizei- und Justizapparat dieser Stadt eingesickert ist. Von Anfang bis Ende Lügen, Erinnerungslücken und Vertuschungen, die schließlich im Freispruch endeten (Rolf Gössner hat in Ossietzky ausführlich darüber berichtet; Red.). Silas Nkanunu, Rechtsanwalt aus Südafrika und Präsident der Nationalen Vereinigung Demokratischer Rechtsanwälte, war Mitglied der Internationalen Delegation, die den Prozeßverlauf beobachtet hat. Er schrieb damals: »Die massive Polizeipräsenz und das Verhalten der Beamten erinnerten mich stark an die Prozesse gegen die Freiheitskämpfer in Südafrika vor 1990. Zu der Zeit wurde die Menschenwürde, die Privatsphäre und die Sicherheit einer Person, insbesondere einer schwarzen, mit Füßen getreten.« Hier in Deutschland haben wir seit 1945 kein erklärtes Apartheidsregime mehr. Dennoch ist es nicht verwegen, wenn ich sage: Mouctar Bah ist ein Freiheitskämpfer gegen die unerklärte Apartheid in unserem Land. Er kämpft mit unerschütterlicher Offenheit und Freundlichkeit; Haß kennt er nicht, er wirkt so, als würden die Beleidigungen und Drohungen an ihm abprallen. Solche Menschen müßten als Entwicklungshelfer von uns angeworben und angesiedelt werden. Wir sollten stolz sein, daß er unter uns lebt. Während das Dessauer Ordnungsamt in seiner dumpfen Beschränktheit meint, »die von Ihnen beantragte Gewerbeausübung muß Ihnen zum Schutz der Allgemeinheit versagt bleiben«, bin ich im Gegenteil der Ansicht, daß Mouctar Bah alles verdient hat, was einem Menschenrechtsaktivisten zusteht. Nicht nur den Gewerbeschein, den auch. Mehr aber noch öffentliche Anerkennung und Dankbarkeit. Ich finde, eigentlich müßte er die Ehrenbürgerschaft der Stadt Dessau erhalten. Und posthum Oury Jalloh. >Da halte ich mich an den Spruch »Sei Realist, fordere das Unmögliche!« Die Zeiten ändern sich – manchmal überraschend schneller, als wir es jetzt für möglich halten. Ich habe Mouctar Bah, diesen sympathischen und klugen Menschen, kennengelernt, als er mir in meiner Rolle als Schwarzer zur Seite stand. Er hat von den Demütigungen erzählt, die für Schwarze Alltag sind, er hat mir verraten, worauf ich achten müsse als Schwarzer, der ich vorgab zu sein. Wir waren uns schnell einig, daß jeder auf seine Weise den Rassismus in diesem Lande bekämpfen muß. Mouctar Bah tut es auf eine bewundernswerte Art, die Hartnäckigkeit mit Gelassenheit verbindet – in seinen Gesprächen, in Diskussionen mit Schülern, bei Hilfestellungen für Freunde, Bekannte und ihm Unbekannte. Seine aufrechte Verteidigung der Menschenwürde gegen die Rassisten der Straße und der Behörden verlangt auch seiner Frau und den Kindern viel ab. Vier Tage, nachdem im Herbst die Internationale Liga für Menschenrechte mitgeteilt hatte, daß sie Mouctar Bah mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2009 auszeichnen werde, stürmte ein weiteres Mal die Polizei sein Geschäft. Nun ja, nicht seines, er arbeitet in seinem ehemaligen Internetcafé nur noch zeitweise als Angestellter. Sieben Polizeiwagen fuhren vor: Hausdurchsuchung wegen angeblicher »Hehlerei einer Markenjeans«. Die Behörden entblöden sich nicht und scheuen vor keiner Absurdität zurück. Manche der beteiligten Beamten werden vielleicht, so hoffe ich jedenfalls, Skrupel gehabt haben bei solch dreist zur Schau gestellter amtlicher Willkür und Dummheit. So oder so: Die Polizisten durchsuchten die Geschäftsräume und fuhren unverrichteter Dinge wieder ab. Das Gleiche in der Woche nach der feierlichen Ehrung im Berliner Haus der Kulturen der Welt: neuerliche Hausdurchsuchung, wieder ein Willkürakt ohne Grund, ohne Anlaß, ohne Erfolg. Mouctar Bah kommentiert: »Wir haben nichts zu verbergen, wir, also die Leute, die hier seit Jahren etwas gegen Rassismus machen. Wir machen Probleme sichtbar, vor die sich nun die Behörden gestellt sehen. Manche Probleme sind für sie die Folge unserer Tätigkeit. Aber das motiviert uns auch, weiterzumachen in der Bewegung für Gerechtigkeit.« Dafür braucht Mouctar unser aller Unterstützung. Neben Mouctar Bah wurde im Dezember auch Kapitän Stefan Schmidt, der 37 schwarze Flüchtlinge aus Seenot im Mittelmeer gerettet hatte und deswegen in Italien vor Gericht gestellt worden war, mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille geehrt; einbezogen in die Ehrung wurden auf Schmidts Wunsch zwei tunesische Seeleute, die ebenfalls Flüchtlinge gerettet hatten und in Italien immer noch mit Strafe wegen angeblicher Beihilfe zu illegaler Einreise bedroht sind. Günter Wallraff sprach in der Feierstunde. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch ist kürzlich sein neues Buch »Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere« (325 Seiten, 13.95 €) erschienen, in dem er auch über seine Erfahrungen in der Rolle eines Schwarzen in Deutschland berichtet. Red.
Erschienen in Ossietzky 1/2010 |
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