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So jedenfalls ist der Beitrag überschrieben, mit dem ein Flug nach Pristina, der Hauptstadt Kosovos, empfohlen wird. Da heißt es: »Pristina, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Republik Kosovo, bleibt für Berliner auch in diesem Winter nur etwa zweieinhalb Stunden entfernt ... Seit der Kosovo im Februar 2008 seine Unabhängigkeit erklärt hat, herrscht in der neuen Republik Aufbruchstimmung. An jeder Ecke in der 550.000 Einwohner zählenden Metropole werden neue Cafés, Bars und Clubs eröffnet. Für das junge, hippe Publikum gibt es neue Hinterhof- und Szeneclubs. Wer es etwas gediegener mag, trifft sich auf ein Glas Wein zu Livemusik im Jazzcafé. Pristina ist zwar keine Großstadt wie London oder Berlin, aber ein internationaler Ort, in dem Tausende junge Leute aus der ganzen Welt stationiert sind. Leider wurde Pristina während der jugoslawischen Zeit stark modernisiert und im Kosovo-Krieg ziemlich zerstört. Trotzdem kann man sich auf Spurensuche begeben und alte Baudenkmäler ... aus osmanischer Zeit finden.« Ein schöner Text. Allein schon die Tatsache, daß sich die Entfernung zwischen Berlin und Pristina nach der Abspaltung Kosovos von Serbien nicht verändert hat, ist erfreulich und wissenswert wie der ganze Beitrag. Allerdings könnte er durch kleine Ergänzungen an Informationswert gewinnen und die Reiselust steigern. Begriffe wie »Land im Aufbruch« und »Aufbruchstimmung« – beide wurden 2008 bereits vom Tagesspiegel geprägt – würden noch überzeugender wirken, wenn sie zum Beispiel mit der Tatsache illustriert würden, daß das Bruttoinlandsprodukt 2008 mit 1759 Euro pro Kopf immerhin ein Zwanzigstel des deutschen erreichte und das monatliche Durchschnittseinkommen bei 220 Euro liegt. In extremer Armut, von 90 Cent am Tag, lebt nur jeder siebte der 2,1 Millionen Einwohner. Obwohl die Arbeitslosigkeit 60 Prozent beträgt, läßt es sich leben, und zwar, wie ein Pressesprecher der »Kosovo Force« (KFOR) feststellte, »von drei Dingen: den Überweisungen der Familie aus dem Ausland, der Kriminalität und der KFOR«, der die dankbaren Kosovaren als Gärtner, Dolmetscher, Reinigungskräfte, Küchenhilfe, Autowäscher dienen. Über sexuelle Dienstleistungen gibt es keine Angaben. »Neue Cafés, Bars und Clubs« gibt es tatsächlich zur Genüge. Das »junge, hippe Publikum« zieht es mehrheitlich aber vor, an der frischen Luft zu flanieren, denn gerade die Einwohner unter 30 Jahren, sie machen 70 Prozent der Bevölkerung aus, sind größtenteils arbeitslos. Die hier stationierten »Tausende junge Leute aus der ganzen Welt«, darunter 14.000 KFOR-Soldaten vor allem aus NATO-Staaten, erfüllen laut Bundeswehrführung den ehrenvollen Auftrag, »ein multiethnisches, friedliches, rechtsstaatliches und demokratisches Umfeld mit aufzubauen und dies militärisch abzusichern«. Zur Sicherung des multiethnischen Umfelds gehört selbstverständlich der Schutz der albanischen Bevölkerung vor den bösen Serben. In Pristina sind daher von den ehemals 40.000 serbischen Einwohnern nur noch ein paar Dutzend zurückgeblieben. Die anderen gehören zu den 300.000 Nichtalbanern, die seit dem NATO-Krieg 1999, der sich bekanntlich gegen »ethnische Vertreibung« richtete, aus der südserbischen Provinz vertrieben wurden. Offenkundig zu Recht, denn »leider wurde Pristina«, wie das Airport Magazin beklagt, »während der jugoslawischen Zeit stark modernisiert«. So etwas macht man nicht, wenn es gilt, mittelalterliche Zustände zu erhalten. Anders verhält es sich mit den Zerstörungen im »Kosovo-Krieg« dank des heldenhaften Einsatzes der NATO-Piloten, die im Frühjahr 1999 Pristina 280 mal angriffen und verständlicherweise im Stadtbild ihre Spuren hinterließen. Bei der »Spurensuche«, auch das bleibt leider unerwähnt, sind außerhalb der Stadt noch manche anderen Folgen der Befreiung der Kosovo-Albaner zu besichtigen, darunter mehr als 150 zerstörte orthodoxe Gotteshäuser und Klöster, von denen nicht wenige in der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO standen. Auch in der Stadt sind mehr als nur die erwähnten wenigen Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Allein schon das auf einem Hügel am westlichen Stadtrand gelegene kleine Städtchen mit seinen massiven Gebäuden im Blockhausstil, Terrassen und Geschäften ist eine Augenweide. Leider kann der Tourist es nicht besuchen, denn es ist das streng bewachte Hauptquartier der KFOR. Entschädigung findet er in anderen Stadtteilen, in denen die vom serbischen Joch Befreiten ihre Dankbarkeit gegenüber den USA zum Ausdruck bringen, so mit der Miniatur der Freiheitsstatue auf dem Dach des Hotels »Victory« oder mit dem Bill-Clinton-Boulevard oder dem Café »Hillary«, geschmückt mit »Stars und Stripes«. Glanzpunkt ist ein drei Meter hoher Sockel im Stadtzentrum, auf dem eine ebenso hohe Bronzestatue mit zum Gruß ausgestreckter Hand thront: Ex-US-Präsident Bill Clinton. Ein Denkmal für andere Befreier, namentlich für Schröder, Fischer, Scharping und Steinmeier, die doch wesentlich zur Vertreibung der Serben und zur Abtrennung Kosovos von der Republik Serbien beigetragen haben, sucht man vergeblich. Undank ist der Welt Lohn! Dabei hat sich gerade der Ex-Außenminister und heutige Oppositionsführer Steinmeier um die 2008 proklamierte Unabhängigkeit der Republik Kosovo verdient gemacht. Vielleicht liegt es daran, daß es mit der Unabhängigkeit nicht weit her und das kleine Land in Wahrheit das einzige Protektorat in Europa ist, in dem die EU-geführte Polizei-, Justiz- und Rechtstaatsmission EULEX, die UNMIK-Mission der Vereinten Nationen und die sogenannte Quint, das Gremium der Botschafter der USA, der BRD, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens, letztlich das Sagen haben. Der Raketen- und Bombenkrieg gegen Jugoslawien war nicht umsonst. Keiner weiß das besser als eben Steinmeier. Als er die neuerliche Verlängerung des KFOR-Mandats der Bundeswehr begründete, rief er dazu auf, »uns selbst immer wieder Rechenschaft darüber abzulegen, was wir erreicht haben«, um selbst den wunderbaren Satz zu prägen: »Das Gespenst des Krieges – das ist das Entscheidende – wurde gebannt.« Das 79tägige Bombardement Jugoslawiens, von Uneinsichtigen als völkerrechtswidrige Aggression diffamiert, war nicht nur der erste Krieg in Europa nach 1945, sondern auch der erste in der Welt, um das Gespenst des Krieges zu bannen. Ein Zauberkrieg! Eigenartigerweise sehen das die Serben ein wenig anders. Ihr Ex-Präsident Kostunica meinte gar, »daß die USA und die NATO Serbien grausam und rechtswidrig bombardiert und ihre Streitkräfte in das Gebiet geführt haben, um 15 Prozent des Territoriums unseres Landes zu rauben«. Und sein Nachfolger Tadic läßt nun vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) gegen die Unabhängigkeitserklärung des zu Serbien gehörenden Autonomen Gebietes Kosovo klagen, da sie eine »schwere Herausforderung der internationalen Rechtsordnung« darstelle. Irgendwie haben sich die Serben immer noch nicht damit abgefunden, daß sie aus weiten Teilen ihrer Provinz vertrieben wurden und Kosovo mittlerweile »ein Land im Aufbruch« ist, in dem eine bombige »Aufbruchstimmung« herrscht.
Erschienen in Ossietzky 1/2010 |
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