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Immerhin brachte Stephanie zu Guttenberg ein bißchen Entlastung: Sie »bezauberte beim Bambi« (Welt am Sonntag), wo sie ihren gestreßten Gatten bei der Laudatio auf den Fußballer Uli Hoeneß vertrat, mit der Ansage: »Denken Sie sich einfach den Verteidigungsminister in dieses Abendkleid« – eine Verfahrensweise, die freilich beim Einsatz niederer Chargen im Militärwesen nicht so leicht anzuwenden ist. »Hoffnung verbreitet die Neue« im Kabinett (WamS), Kristina Köhler. Schon ich ihrem Abituraufsatz hat sie versprochen, Ehe, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen, nämlich unter ihren, und niemals Feministin zu werden. In knapper Zeit hat sie den Aufstieg von der Jungunionistin zur Bundestagsabgeordneten geschafft und nebenher noch eine Doktorarbeit geschrieben, in der sie die Wertewelt von CDU-Politikern und CDU-Mitgliedern würdigt. Jetzt ist sie, 32 Jahre jung, ganz oben angelangt und heiratet noch dazu einen Staatssekretär aus dem Bundesinnenministerium, ebenfalls CDU. Im WamS-Interview gibt sie Proben ihres Scharfsinns. Soll das Ehegattensplitting auch gleichgeschlechtlichen Partnern zugestanden werden, fragt die WamS. Kristina Köhler räumt in ihrer Antwort erst einmal ein, daß »auch in homosexuellen Lebensgemeinschaften Werte gelebt werden«, und nicht nur das: »oft sehr konservative Werte«. Aber eine völlige Gleichstellung mit der Ehe lehne sie ab, denn: »Aus einer Ehe können Kinder hervorgehen, aus einer gleich-geschlechtlichen Lebenspartnerschaft nicht.« Wer hätte das gedacht. Marja Winken VerzichtspolitikerinBerthold Kohler, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wird langsam ärgerlich – noch immer ist Erika Steinbach als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen nicht in den Beirat der »Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung« berufen. Dabei habe sich doch dieser Verband unter ihrer Führung »zu einer fast lammfrommen Interessenvertretung gewandelt«. Im übrigen sei von den deutschen Vertriebenen schon immer »der Gedanke der Versöhnung hochgehalten« worden. Zum Beleg zitiert Kohler den ersten Satz der »Charta der Heimatvertriebenen« aus dem Jahre 1950: »Wir verzichten auf Rache und Vergeltung.« Kohler konstatiert »polnische Blickverengung«, was das Verhältnis zu Frau Steinbach angeht. Ja diese Polen. Froh könnten sie doch sein, daß auch die heutige Vertriebenenpräsidentin nicht rächen und nicht vergelten will, großmütig wie sie ist. Peter Söhren BeweglichkeitWer mit wem in Nordrhein-Westfalen – diese Frage wird bis Mai nächsten Jahres die Politik-Analysten bundesweit beschäftigen, schließlich steht eine Koalitionsentscheidung im größten Land der Republik an (s. auch Ossietzky 24/09). Jetzt hat auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Sylvia Löhrmann, ihre Vorliebe für ein Regierungsbündnis mit der SPD in Frage gestellt und Schwarz-Grün als eine Option gewertet: »Sollte es nur mit den Grünen gehen, wird Machtpolitiker Rüttgers sich beweglich zeigen.« An der Beweglichkeit der Grünen besteht ohnehin kein Zweifel. Beachtlich sei, so Löhrmann, wieviel die Grünen im Saarland beim Pakt mit den Schwarzen erreicht hätten. Andererseits hofft der Parteivorsitzende der SPD auf eine Koalition mit den Grünen in NRW, notfalls unter Beiziehung der Linkspartei. Er sei zuversichtlich, so Sigmar Gabriel, daß die NRW-PDL, wenn es ums Regieren geht, von »Verstaatlichungsorgien« und anderen »verrückten Forderungen« ablassen werde. Beweglichkeit – wohin man blickt? Da kann es den Wählerinnen und Wählern schwindlig werden. Arno Klönne ErfolgreichDer Bundesverband der Verbraucherzentralen und das Magazin Ökotest haben die Effekte der Riester-Rente untersuchen lassen. Ergebnis: Sie ist ihr Geld nicht wert. Der Milliardenzuschuß aus öffentlichen Mitteln für diese Zusatzversorgung nütze unterm Strich nicht den Versicherten, sondern den Versicherern, also der privaten Finanzwirtschaft – so die verblüffte Kritik in der Presse. Aber was ist da erstaunlich? Das Riester-System zeigt exakt die Wirkung, an der seinen Erfindern gelegen ist. M. W. Die Arbeitslosen sind schuldIn der Universitätsstadt Göttingen kursiert seit einiger Zeit ein Witz: Wenn man in ein Taxi steige, solle man den Fahrer oder die Fahrerin auf jeden Fall mit Herr oder Frau Doktor begrüßen. Grund: die massenhafte Akademikerarbeitslosigkeit. Die Nachdenklicheren wußten es schon seit längerem: Mehr Bildung führt nicht zu weniger Erwerbslosigkeit. Bildung erhöht die Qualifikation der Arbeitsplatzbewerber, sie schafft aber keine einzige neue Stelle für sie. Wenn bei einem Wettrennen alle Läufer eine Sekunde schneller rennen als bisher, gibt es nicht mehr Sieger als vor dieser allgemeinen Qualifikationssteigerung. Die »Generation Praktikum« könnte Endlos-Geschichten erzählen über ihre Weiterqualifikationen. »Fortbildung« erhält den Sinne von »Wegbildung«. Eine kürzlich vorgelegte Studie des DGB zur Arbeitslosigkeit zeigt zudem einen Strukturwandel innerhalb der Arbeitslosigkeit. Der bundesdeutsche Arbeitsmarkt benötigt anteilig immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte und schafft immer mehr Arbeitsplätze für Geringqualifizierte. Die Wirtschaft organisiert sich in der Weise um, daß sie mehr Mindestlöhner braucht. Die wieder und wieder von den Hartz-IV-Parteien vorgebrachte Behauptung, Bildung schaffe Beschäftigung (mit deutlicher Beschuldigung an die Adresse der arbeitswilligen Zwangsuntätigen, sie täten zu wenig für ihre »Wiedereingliederung in das Arbeitsleben«), ist nichts anderes als Diffamierung der Betroffenen, ein zynischer Selbstentlastungsversuch des herrschenden Kapitalismus, der verantwortlich zeichnet für Massenarbeitslosigkeit und millionenfaches Massenelend. Holdger Platta Zwei DrohungenIn der Stuttgarter Zeitung finde ich zwei kleine Artikel in der Art des heute üblichen Verlautbarungsjournalismus, das heißt der abgeschriebenen Pressemitteilungen. Der erste teilt mit, daß die Prorektoren der hiesigen Medienhochschule wiedergewählt wurden. Ob das von weiterreichender Bedeutung ist, steht dahin, die Presseabteilung wird es als Erfolg feiern, wenn ihre Hochschule nur in die Zeitung kommt. Der Rektor sieht das Rektoratsteam »gut aufgestellt, um die künftigen Herausforderungen zu meistern«. Das ist die Sprache der Werbung, die sich von der Sport-Phraseologie nährt: Eine Mannschaft sei gut aufgestellt, also die Spieler seien gut plaziert und für ihre Aufgaben vorbereitet. In dem »Aufstellen« schwingt aber auch das Wieder-Aufrichten des Umgefallenen mit. Wer seine Mannschaft gut aufgestellt wähnt, hat sie wohl anders vorgefunden, und nimmt für sich in Anspruch, ein guter »Trainer« zu sein. Wenn das neue Team freilich das alte ist, muß es ja auch vorher schon gut aufgestellt gewesen sein, und die Wahl zeigt nur, daß alles beim Alten bleibt, was gut oder schlecht sein kann. Aber wie bei den Wahlen, die nie etwas ändern, darf man das dem Publikum nicht sagen. FDP/CDU/CSU machen weiter, wo SPD/CDU/CSU aufhörten, die schon weitermachten, wo Grün/SPD aufgehört hatte. Und alle waren und sind immer gut aufgestellt. Ich schlage vor, die Phrase vom »gut aufgestellten Team« in die Liste der gefährlichen Wörter aufzunehmen, die signalisieren, daß sich nichts bessert und alles so weiter geht; das ist die Drohung in diesem Satz. Die zweite Meldung besagt, daß der Intendant des Südwestfunks einen rigiden Sparkurs angekündigt hat. Das ist nichts Neues und wundert doch sehr, da schon seit Jahren in diesem und anderen Sendern gespart wird – nicht unbedingt beim Fußball und den für die Volksverdummung besonders wichtigen Sendungen, vielmehr bei den kritischen, falls es da noch irgendwo eine gibt, und beim niederen Personal. So wird der Sender Pionier bei der Schaffung prekärster Arbeitsverhältnisse: Für um die zehn Euro darf qualifizierte Arbeit von »geringfügig Beschäftigten« geleistet werden; die haben weder Anspruch auf Urlaubs-, noch auf Krankengeld, noch wird für deren Rente eingezahlt. Freilich beherrscht der Intendant die Phrasen, die sein Sender täglich ausstrahlt: Die Krise als Chance! So sieht er die Chance, das Programm noch stärker auf den »öffentlich-rechtlichen Auftrag« auszurichten, womit er uns sagt, daß genau das Gegenteil stattfinden wird: eine weitere Verflachung nicht der Hierarchien in den Sendern, sondern des ohnehin seichten Programms und eine stärkere Ausrichtung auf den deformierten Massengeschmack. Der »Auftrag« im eigentlichen Sinne freilich ist einer der Herrschenden, denen schon lange nichts mehr an Aufklärung liegt. Sie wünschen ein kleines Programm für Ihresgleichen, eines für die technische Intelligenz und eines für die pauperisierte Masse, der man mit aller Gewalt weismachen muß, daß sie selbst an ihrem Elend schuld ist. Die Krise als Chance ist die schlimmste Drohung, die ich kenne. Hans Buchhalter Zur Sanierung der StaatsfinanzenDer neuen Regierungskoalition fehlt noch immer ein Konzept zur Gegenfinanzierung der beschlossenen Steuersenkungen für Unternehmen. Um so verwunderlicher ist es freilich, daß der Staat einige einfache und auf der Hand liegende Möglichkeiten für den Finanzausgleich ungenutzt läßt. Zumindest folgende Steuern sollten unverzüglich eingeführt werden: die Atemluft-, die Luftverdrängungs- und die Nichtunternehmenssteuer. Allzu viel Naturgut wird gegenwärtig von den Bürgern kosten- und verantwortungslos genutzt. Dazu zählt die Luft, eine Ressource, die nicht unbeschränkt zur Verfügung steht. Wie oft müssen Bürger spontan feststellen: »Die Luft wird knapp.« Wir müssen deshalb mit solchen Gütern verantwortungsvoll umgehen, und die verantwortlichste Art des Umgangs ist ihre Besteuerung. Besteuerung leitet das Geld direkt in die Staatskassen. Außerdem muß eine neue Steuer-Meßtechnik entwickelt und an die Nutzer verkauft werden. Da Deutschland 82 Millionen Einwohner hat und sich zusätzlich mehrere Millionen Touristen und Geschäftsreisende aus dem Ausland hier aufhalten, ergibt sich daraus ein erheblicher Wirtschaftsanschub. Alle Geräte sind technisch leicht herstellbar. Das Luftzuteilungsgerät wird in zweifacher Ausführung erhältlich sein. Erstens als Nasenklammer mit tragbarem Münz-Automaten (NAKLAMAU). Bei Münzeinwurf öffnet sich die Nasenklammer für eine bestimmte Zeit, und man kann problemlos die Luft nutzen. Es empfiehlt sich allerdings, immer ausreichend Kleingeld mit sich zu führen, da ein Wechselgeld-Automat die Kosten unnütz in die Höhe treiben würde. Zweitens als käuflich erwerbbare modische Preßluftflasche mit Atemmaske (PRAMA), besonders praktisch für Kraftfahrer; sie kann aber in verschiedenen eleganten Ausführungen auch auf Parties getragen werden. Für die Luftverdrängungssteuer (LUST) benötigt man einen elektronischen Sensor (LUSTOR), der ständig das Körpervolumen (ohne Kleider) mißt und die Daten an eine Zentralstelle (unter Beachtung des Datenschutzes) weiterleitet. Die Zentralstelle errechnet das jährliche Durchschnittsvolumen und bucht den darauf erhobenen Steuersatz automatisch ab. Die Nichtunternehmenssteuer (NIMS) rückt ein Unrecht gerade. Bisher subventioniert der Staat in grundgesetzwidriger Weise Millionen von Nichtunternehmern. Die Arbeitslosengelder (Hartz IV!) sind eine staatlich erlaubte Steuerhinterziehung, ein Selbstbetrug des Staates, der bisher nicht bestraft wird. Das widerspricht jeder Logik, denn wenn es zutrifft, daß die privaten Unternehmen die Quelle des Reichtums sind, kann man nicht gleichzeitig diejenigen subventionieren, die nichts unternehmen. Das gesetzwidrige Nichtunternehmertum ist die Quelle des Staatsruins. Die Nichtunternehmenssteuer ist daher unabdingbar, zumal die Nichtunternehmen statistisch mehr werden. Die Steuer wird zweckmäßigerweise an den Industriellen Verweigerungsqualifikationen (IQ) des jeweiligen Steuerbürgers gemessen. Mangelndes berufliches Wissen wird als Qualifikationsverweigerung mit Freizeiterzwingung eingestuft und steuerlich bewertet. Die am geringsten Qualifizierten kommen jeweils in die höchste Steuerklasse. Höher qualifiziertes Nichtstun wird geringer besteuert. Spitzenqualifikationen, über die arbeitslose Bankdirektoren, Bundeskanzler oder Fußballstars verfügen, sind von der Steuer freigestellt, weil sie ohnehin zu nichts zu gebrauchen sind. Gerhard Müller Vorhersagen eines HistorikersVon der Demokratie redet man gewöhnlich so, als hätten wir sie und als verstände sich das von selbst. Eric Hobsbawm widerspricht und hat genug Beispiele zur Hand: Wie, fragt er, kam in den Musterdemokratien USA und Großbritannien die Entscheidung für den massenmörderischen Irak-Krieg zustande? Die Völker und die Parlamente hatten damit wenig zu tun, außer daß sie getäuscht wurden. Transnationale Unternehmen, deren Macht wächst und wächst, fragen nicht nach politischer Legitimation und Gemeinwohl. Immer mehr staatliche und kommunale Dienste werden privatisiert und dadurch demokratischer Planung und Kontrolle weitgehend entzogen; zu ihrer Hauptaufgabe wird die Profitmaximierung. Der Kapitalismus untergräbt die Demokratie. Kein Wunder, daß immer weniger Menschen zur Wahl gehen, wenn Parlamente permanent an Macht verlieren oder von vorn herein so machtlos konstruiert werden wie das Europaparlament. Aber gerade die USA und die westeuropäischen Staaten mit ihren wachsenden Demokratiedefiziten führen Kriege, mit denen sie in anderen Weltgegenden angeblich die Demokratie verankern wollen. Hobsbawm, der Verfasser einer großen Geschichte des 20. Jahrhunderts, blickt in seinem neuen Buch, zu dem er mehrere Aufsätze zusammengestellt hat, pessimistisch ins 21. – auch angesichts der Kombination von Regierungsgewalt und Medienmonopolmacht, deren Wirksamkeit, so sieht er voraus, noch weit über das hinausgehen wird, was Italien heute unter Berlusconi erlebt. Hat der hellwache Historiker im 93. Lebensjahr keine Hoffnung zu vermitteln? Nicht ausdrücklich. Aber er scheint zu hoffen, daß das US-Imperium sich in seinem Größenwahn selber schwächt, so daß andere Kräfte in der Welt größeren Handlungsraum gewinnen könnten. Was aber auch nicht automatisch dazu führen dürfte, daß Demokratie und Frieden gedeihen. E. S. Eric Hobsbawm: »Globalisierung, Demokratie und Terrorismus«, Deutscher Taschenbuchverlag, 176 Seiten, 14.90 € ders.: »Zwischenwelten und Übergangszeiten«, PapyRossa, 240 Seiten, 18 € Walter Kaufmanns LektüreDies ist ein Roman, den man gegen Ende hin langsamer liest, weil man ihn auskosten, sich nicht trennen will von den Wegen all dieser Menschen, die hier auftreten, nicht vom Schauplatz New York, dem Manhattan Island mit all seinem Licht und Schatten, nicht vom Milieu der siebziger Jahre, das so plastisch geschildert wird. Der Ire Colum McCann hat diese Zeit als Journalist, Farmarbeiter und Lehrer durchlebt. Daß er sich in New York auskennt, hat er längst mit seinem Roman »Der Himmel unter der Stadt« bewiesen, in dem er die Arbeitswelt Manhattans über und unter Tage zum Thema machte und die Welt der Obdachlosen auch. Mehr noch: Der Vielgereiste kennt sich in der Welt aus. Das zeigten die späteren Romane »Der Tänzer« und »Zoll« – der eine über Rudolf Nurejew, der andere über eine slowakische Roma, die zur berühmten Dichterin aufsteigt. In beiden werden voneinander weit entfernte Schauplätze unverwechselbar dargestellt: in Rußland, der Slowakei, Italien, England und den Vereinigten Staaten. Mich fesselte McCann schon mit seinen frühesten Erzählungen über eine irische Kindheit. Sein neuer Roman »Die große Welt« ist ein großer Wurf. Wieder so einer, der den Leser nicht losläßt, der mich nicht losließ – dieser Stil, diese Sprache, diese Beobachtungsgabe, dieses geradezu raffinierte Gegenüberstellen unterschiedlichster Lebensbereiche. McCann gelingt es, von dem Umfeld zumeist schwarzer Huren, die Lastwagenfahrer auf Parkplätzen in der Bronx bedienen, eine Brücke zu einem feudalen Penthouse in Manhattans Park Avenue zu schlagen: Die kleinen Töchter der tödlich verunglückten Hure Jazzlyn kommen in die Obhut der superreichen Claire Soderberg; die Geliebte des Malers, der den tödlichen Unfall verursacht hat, gerät in die Elendsviertel der Bronx und ins Umfeld der Huren; fünf New Yorkerinnen aus sehr unterschiedlichen Bereichen finden zueinander, weil jede von ihnen Angehörige im Vietnamkrieg verloren hat; ein irischer Ordensbruder, den es nach New York verschlagen hat, bricht aus Liebe zu einer Frau aus Guatemala sein Gelübde der Keuschheit (für mich eine wahrhaft ergreifende Liebesgeschichte) und verläßt für sie sein Umfeld in der Bronx; ein New Yorker Strafrichter, Ehemann der reichen Claire Soderberg, wird sich um den Vorsitz des Prozesses gegen einen Hochseiltänzer bemühen, der widerrechtlich ein Stahlseil zwischen die Türme des World Trade Center gespannt hatte und bei seinem waghalsigen Akt über tiefstem Abgrund von so gut wie allen Protagonisten des Romans beobachtet worden war – wieder so ein Umstand, der alle auf die eine oder andere Weise zusammenführt. Fabelhaft, im besten Sinne des Wortes ... »Was will McCann nach dieser herzzerreißenden Symphonie von einem Roman denn noch komponieren?« fragt sein irischer Schriftsteller Kollege Frank McCourt. Ich wage zu antworten: Colum McCann ist erst in den Vierzigern und auf der Höhe seiner Kunst. Von ihm wird noch viel kommen. W.K. Colum McCann: »Die große Welt«, Deutsch von Dirk von Gunsteren, Rowohlt Verlag, 537 Seiten, 19.90 € Schoko-KohlWoran erkennt man das Weihnachtsfest? Sie können sich diese Frage leicht beantworten, indem Sie Ihre Tür öffnen, egal welche Tür, und nachsehen, wer davor steht: »Und wieder steht Weihnachten vor der Tür.« Weihnachten steht immer vor der Tür, um uns zu sagen, daß es nicht etwa das Fest der Liebe ist, sondern das Fest der Kaufzwänge und der Weihnachtsschokolade, welche vorwiegend nach Äpfeln und Krümeln von Haselnüssen oder Walnußschalen-Splittern sowie Kerzenduft schmeckt. Der Grafiker Klaus Vonderwerth entdeckte schon vor Jahren, daß moderne deutsche Schokolade nicht wie Schokolade schmeckt, sondern wie Kreide. Diese Köstlichkeit wird auf Rügen (Stubbenkammer) abgebrochen, in Worpswede gemahlen und in der Stollen-Metropole Dresden (Elbflorenz) verpackt. Die Weihnachts- und Silvester-Spezialitäten-Karte der Brasserie des »Reinhard’s im Kempinski« am Kurfürstendamm in Berlin offeriert »Nougat-Zimt Crème Brûlée mit Backpflaumenparfait in Kaffeelikörschaum« und »Duett von Sanddorn und Zartbitter-Valrhona-Schokolade«. Valrhona, Herrschaften, Valrhona! Um die kaum zu beschreibenden geschweige denn aussprechbaren süßen Delikatessen literarisch aufzuwerten, zitiert der Brasserie-Chef den stark weihnachtlichen Rainer Maria Rilke: »Der Abend kommt von weit gegangen ...« Schon schön! Noch schöner, wenn der Vers mit etwas Likörschaum nebst »Duett von Sanddorn und Zartbitter-Valrhona-Schokolade« verziert, und noch leckerer, wenn er von einem delikaten Druckfehler gekrönt wird: »Der Abend kommt von weit gegangen / durch den verscheiten weißen Tann.« Nicht gescheit, aber verscheit. Verscheit wie Valrhona, Sandbitter und Zartdorn! Ein vielfaches Kling-Klang-Kloria wünscht Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 25/2009 |
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