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Die Marktwirtschaft wird heilen, was »40 Jahre Planwirtschaft« hinterlassen haben: »ein bis in seine Grundfesten zerstörtes Land«. Nachzulesen ist diese tieftraurige Folge der DDR-Planwirtschaft, auch gern »Kommandowirtschaft« genannt, im Schlußbericht der sogenannten Eppelmann-Kommission, der vom Bundestag 1995 eingesetzten »Enquete-Kommission ›Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit‹«. Diese nach selbstverständlich streng wissenschaftlichen Untersuchungen gewonnene fundamentale Erkenntnis wurde in den zurückliegenden Jahren zigtausendmal wiederholt. Folgerichtig fand sie auch Eingang in den richtungsweisenden Beschluß des Stuttgarter CDU-Parteitages im Dezember 2008 »Geteilt. Vereint. Gemeinsam«, mit dem die Gedenk- und Jubelfeiern zu den 20. Jahrestagen von Mauerfall und »Wiedervereinigung« propagandistisch vorbereitet wurden und in dem sie sich, leicht ausgeschmückt, so wiederfand: »Die sozialistische Planwirtschaft ... hatte vollkommen versagt und tief greifende Erblasten für Mensch und Natur, Wirtschaft und Gesellschaft hinterlassen.« Solche Behauptungen zielen auf den Nachweis, daß es zur kapitalistischen Marktwirtschaft mit ihrem Profithunger, ihrer Ellbogenmentalität und sozialer Ausbeutung keine Alternative gibt, schon gar keine, die sozialistische Züge trägt. Zuweilen scheuen sich die Marktapologeten nicht, zur Beweisführung selbst den ungeliebten Wladimir Iljitsch Lenin zu zitieren, der die Arbeitsproduktivität als ausschlaggebend für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung verstanden habe, um darauf hinzuweisen, daß die planwirtschaftlich geführte Ökonomie der DDR gerade auf diesem Gebiet weit hinter der BRD lag. Damit haben sie nicht Unrecht, aber haben sie auch Recht? 1989 betrug das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, dessen Höhe wesentlich, wenn auch nicht allein von der Produktivität bestimmt wird, in der DDR rund 56 Prozent des bundesdeutschen Niveaus. Das war ein enormer Rückstand mit letztlich fatalen Folgen. Ist er tatsächlich auf ein Versagen der sozialistischen Plan- und die Überlegenheit der kapitalistischen Marktwirtschaft zurückzführen? Während die Marktfetischisten, alt- und neoliberale, diese Frage lauthals bejahen, sprechen die Fakten eine andere Sprache: 1950, vor Beginn des ersten Fünfjahrplans, hatte das Bruttoinlandsprodukt der jungen DDR noch lange nicht 56, sondern lediglich 38 Prozent des BRD-Niveaus erreicht. Die Ausgangslage im Osten war miserabel: gewaltige Kriegszerstörungen, enorme Reparationleistungen, Demontagen, ökonomische Disproportionen nach der Spaltung, Mangel an Roh- und Brennstoffen, vor allem an Steinkohle, unterentwickelte osteuropäische Wirtschaftspartner, erbarmungsloser Wirtschaftskrieg und Technologie-Embargo seitens des Westens, Abwanderung und Abwerbung von Fachkräften. Trotz alledem verringerte sich der Abstand zu dem mit dem Marshall-Plan gestarteten westdeutschen »Wirtschaftswunderland«. Das durchschnittliche Wirtschaftwachstum war beständig höher als in der Bundesrepublik, selbst in den kritischen 1980er Jahren um 0,6 Prozent. Von stürmischer Aufholjagd konnte zwar nicht die Rede sein, aber der Abstand verringerte sich dank der ökonomisches Neuland beschreitenden Planwirtschaft, obwohl sie sich keinesfalls optimal entwickelte und das Kopieren fragwürdiger sowjetischer Erfahrungen sowie voluntaristische Entscheidungen von Wirtschaftskommissaren vom Schlage eines Günter Mittag sie zusätzlich beeinträchtigten. Die These von einer haushohen Überlegenheit der kapitalistischen Marktwirtschaft läßt sich nicht verifizieren. Diejenigen, die noch immer darauf pochen, haben bis heute keine Antwort auf die – nicht nur von mir – wiederholt gestellte Frage gegeben, welche Ergebnisse die Bundesrepublik erzielt hätte, wenn auf ihrem Territorium die Kriegsschäden größer und die durch die Spaltung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Disproportionen wesentlich stärker als die im Osten gewesen wären, wenn sie, statt Marshallplanhilfe zu erhalten, die riesige Reparationsschuld für ganz Deutschland hätte abtragen müssen, wenn sie statt der aus dem Krieg gestärkt hervorgegangenen USA sowie Großbritanniens, Frankreichs und der anderen hochentwickelten westeuropäischen Länder die vom Krieg zerstörte Sowjetunion und die weit zurückgebliebenen Länder Osteuropas über Jahrzehnte als Wirtschaftspartner an ihrer Seite gehabt hätte, wenn ihr durch Embargomaßnahmen der gleichberechtigte Zugang zum Weltmarkt und zur Hochtechnologie versperrt gewesenen wäre und eine ökonomisch potenter Nachbarstaat nichts unversucht gelassen hätte, ihr das Lebenslicht auszublasen. Freilich, das ist eine hypothetische Frage. Real ist, daß mit dem Anschluß die Marktwirtschaft wieder in den Osten einzog und ihre Wunderkraft entfaltete. Um dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, wurde erst einmal Tabula rasa gemacht, das Volkseigentum wurde privatisiert, mit Hilfe der Treuhand wurde die sich selbst tragende Wirtschaft zerstört, innerhalb nur eines Jahres verringerte sich die Industrieproduktion um zwei Drittel, das Bruttoinlandprodukt sank ins Bodenlose. Nun aber sollte es endlich losgehen, das von Genscher vorausgesagte »deutsche Aufbauwunder«, der »Aufschwung Ost«. Schließlich hatte der Kanzler der Einheit bereits am 2. Oktober 1990, am Vorabend des »Tages der Deutschen Einheit«, über Funk und Fernsehen den »lieben Landsleuten« verkündet, daß »durch die Politik der Sozialen Marktwirtschaft ... schon in wenigen Jahren aus Brandenburg, aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Sachsen, aus Sachsen-Anhalt und aus Thüringen blühende Landschaften geworden sein (werden)«. Doch das verhießene marktwirtschaftliche Wunder blieb aus. Ganzer 15 Jahre bedurfte es, ehe die ostdeutsche Industrieproduktion mit Müh und Not wieder das Niveau von 1989 erreichte. Fest auf die der kapitalistischen Marktwirtschaft innewohnenden Kräfte vertrauend, befleißigten sich Politiker und Publizisten, die von Kohl vorgegebene Frist (»in wenigen Jahren«) leicht zu variieren. Gerade einmal 15 Jahre nach diesen Verheißungen erklärte der Ostbeauftragte der Schröder-Regierung, Manfred Stolpe, »daß der Aufbau Ost 30 Jahre dauert«. Und drei Jahre danach relativierte dessen Nachfolger Wolfgang Tiefensee diese mutige Voraussage: »Wenn es uns gelingt, das Geld richtig einzusetzen, dann werden wir gut 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, also 2020, mindestens in einigen Wachstumsregionen eine stabile Wirtschaft haben.« Gute Marktwirtschaft will eben Weile haben, eine ziemlich lange Weile. Und diese streckt sich in die Länge. Nun also soll die Angleichung der ostdeutschen Wirtschaftsleistung an das Westniveau laut dem renommierten Hallenser Institut weitere 50 Jahre dauern. Mit anderen Worten: 70 Jahre nach dem Anschluß und der Restauration des Kapitalismus. Ein überzeugender Beweis für die Allgewalt der Marktwirtschaft und frohe Kunde zugleich! Ob sie in Erfüllung geht, weiß nicht einmal der Herrgott. Schließlich ist es töricht anzunehmen, daß der Gierkapitalismus die nächsten 50 Jahre überlebt. Ob es seinen Apologeten paßt oder nicht, allein schon aufgrund schwindender Rohstoffreserven und des Klimawandels, aber vor allem angesichts seiner Widersprüche und Gebrechen stößt der Kapitalismus mit seinem Wachstums- und Profitwahn an seine Grenzen. Die Systemfrage steht. Wann die letzte Stunde des Kapitalismus schlägt, kann niemand exakt voraussagen. Sicher aber ist, daß ihm eine ökonomische Ordnung folgt, die mehr Züge einer demokratisch entwickelten nachhaltigen Planwirtschaft – mit marktwirtschaftlichen Elementen – tragen wird als die einer chaotischen, immer mehr von Krisen geschüttelten kapitalistischen Marktwirtschaft.
Erschienen in Ossietzky 24/2009 |
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