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Regionale Blätter und Sender zeigen Verständnis: Der Protest sei nachvollziehbar, denn die Molkereien zahlten zum Beispiel in Deutschland für den Liter Milch nur 23 Cent, die Erzeugerkosten lägen hier aber, je nach Betriebsausstattung, zwischen 25 und 31 Cent. Die Bauern müßten also zuzahlen. Auf die Dauer könne das keiner. Richtig. Hungere Dich gesund!»Preise für Nahrungsmittel haushoch«, titelt die indische Zeitung Hindustan Times. In den vergangenen Monaten sind die Preise steil angestiegen. Das gilt besonders für Grundnahrungsmittel wie Zucker (seit März um 30 Prozent), Weizen, Milch und Gemüse (im selben Zeitraum um 85 Prozent), während die Einkommen stagnieren. Für die Masse der indischen Bevölkerung bedeutet das weitere Härten, für viele sogar, daß sie hungern müssen. Nach seriösen Schätzungen liegt das Einkommen eines Drittels der über eine Milliarde zählenden Bevölkerung, also annähernd 330 Millionen Menschen, unterhalb der Armutsgrenze. Im Staate Uttarakhand im Norden Indiens, den ich gerade besucht habe, gilt das sogar für mehr als 70 Prozent der Bevölkerung. Durch die globale Rezession – so fürchtet man hier – wird sich die Lage in Indien noch weiter verschlechtern. Und die Times of India verhöhnt die Hungernden auch noch. Das konservative Blatt teilt seinen gewöhnlich nicht unter Armut leidenden Lesern mit, die Rezession sei gut für die Gesundheit, denn in verschiedenen Ländern sei festgestellt worden, daß sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Gesundheitszustand der Bevölkerung verbessere. Konsequenz: Hungere Dich gesund! Manfred Uesseler Der Abnahmepreis, den die Molkereien zahlen, schwankt. Derweil nimmt aber die Milchproduktion ständig zu. Die Bauern entkommen dem Wettbewerb nicht. Kleinere Betriebe gehen unter. Gewinner des EU-finanzierten Irrsinns ist die Molkereiwirtschaft (Jahresumsatz: 22,3 Milliarden Euro), hierzulande sind das Konzerne wie Müller-Milch, Hansa-Milch, Ammerland-Milch. Auch die Discounter profitieren, von Aldi über Metro bis Tengelmann. Der Bauernprotest richtet sich gegen sie alle und gegen die EU-Agrarreform »Health Check« von 2007, deren Ziel es ist, die Milchproduktion zu erhöhen. Die nationalen Kontingente sollen jährlich um ein Prozent steigen. Daran hält die EU-Kommission unbeirrbar fest. Die EU ist zwar längst weltgrößter Milchexporteur (also vor den USA), strebt aber nach immer mehr Marktmacht. Das nützt den EU-Bauern nichts, aber den Handelsketten, vor allem den weltmarkt-aktiven Konzernen Metro, (Deutschland), Carrefour (Frankreich), WalMart (USA) und Tesco (Großbritannien). Die deutsche Molkereiwirtschaft besteht aus 100 Unternehmen mit 274 Betriebsstätten. Das gute Dutzend der größten Konzerne diktiert die preise. Dagegen sind die Bauern machtlos. Der Deutsche Bauernverband (DBV) ist selbst mit der Molkereiwirtschaft eng verbandelt (deren Organisationen sind Mitglied im DBV!). Deshalb haben inzwischen mehr als 34.000 der (noch) 98.000 Milchbauern ihren eigenen Verein aufgemacht, den Bundesverband deutscher Milchviehhalter. Anders als der größere DBV wünscht er keine höheren Milchquoten und Subventionen aus Brüssel, sondern eine Verringerung der Milchproduktion. Nach au§en ist der übersättigte europäische Milchmarkt abgeschirmt. Intern regeln nationale Quoten die Milchproduktion. Sie verhindern keine Überschüsse, sondern regeln letztlich nur die nationalen Exportanteile an der Gesamtproduktion. Die EU erzeugt bereits elf Prozent mehr Milch, als in ihr verbraucht wird, insgesamt 148 Millionen Tonnen. Die Produktionskosten sind in der EU höher als in anderen Ländern (mit am höchsten in Deutschland) und erst recht höher als der Weltmarktpreis. Um die teuer produzierten Überschüsse loszuwerden und noch mehr Weltmarktanteile zu erobern, bietet die EU die Milch zu niedrigeren Preisen an, als sie selbst dafür bezahlt hat (Dumping). Das kostet mehr als zwei Milliarden Euro jährlich. In der EU wird um die »Milchquote« gerungen, die Menge, die Brüssel aus den einzelnen Mitgliedsländern aufkauft und entweder sofort auf den Weltmarkt bringt oder einlagert. Auch der »Interventionspreis«, zu dem die EU aufkauft, ist Streitgegenstand im Agrarministerrat. Je höher die Quote, desto mehr Milch können die Bauern produzieren und verkaufen. Je niedriger aber der Literpreis, desto mehr Milch müssen sie produzieren, um zu bestehen. Vergrößert wurden deshalb der Milchkuhbestand (in Deutschland zuletzt innerhalb eines Jahres um 2,7 Prozent auf 4,2 Millionen Tiere) und die Milchproduktion, abgenommen hat hingegen als Folge der Finanzkrise der Pro-Kopf-Verbrauch (-1,3 Prozent). Wir sehen, warum hierzulande monatlich 250 Milchbauern aufgeben und warum die verbleibenden Betriebe ständig wachsen, ihr Erlös aber stagniert. wir ahnen das Ausmaß des Markt- und Systemversagens. Die EU greift ein und kauft Milch auf, wenn der Marktpreis unter ein politisch festgelegtes Niveau fällt. Das nennt man Preisintervention, einst als Schutz vor extremen Schwankungen der Nachfrage gedacht. Inzwischen hat sie längst den ursprünglich angenommenen Haushaltsrahmen gesprengt, ein »Milchsee« ist entstanden. Ende Juni 2009 lagerte die Europäische Union 81.300 Tonnen Butter und 203.000 Tonnen Milchpulver. Zu hohe Quoten, zu viel amtlicher Milchaufkauf, Lagerung und Exportsubvention zusammen kosteten im vorigen Jahr 4,9 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum preßte die EU zu Dumpingpreisen 53.000 Tonnen Milch in den Weltmarkt, 65.000 Tonnen Milchkonzentrat, 40.000 Tonnen Milchpulver, 117.000 Tonnen Käse und 15.000 Tonnen Butter sowie 7.000 Tonnen sonstige Milchprodukte. Sie riskierte einen Handelskrieg mit den USA und schädigte die schwächeren Landwirtschaften weltweit. Zu schweigen von der Naturzerstörung hierzulande, von Arbeitsplatzverlusten oder vom ruinösen Kampf zwischen Molkereien, Supermärkten und Einzelhandel. Der Europäische Agrarmarkt ist Wahnsinn mit Methode. nur ein Austritt aus dem EU-Plutokratenklub schüfe Abhilfe. Utopisch, denn die Unionspolitik steckt im eisernen Griff der Konzerne. Reformieren? Das hieße, die Überschußpolitik zu beenden, weniger Milch, weniger Getreide, weniger Fleisch und weniger Zucker anzubieten. Reformieren hieße auch, das EU-Dumping auf dem Weltmarkt zu stoppen und die Produktionsmengen so zu begrenzen, daß die Bauern zu Hause kostendeckende Preise erzielen. Es hieße außerdem, bevorzugt die ökologischen, arbeitsintensiven, grünlandorientierten Höfe zu subventionieren statt die Agrarfabriken und Massentierhalter. Nicht nur der EU wäre eine solche Reform zu wünschen, auch der Welthandelsorganisation WTO. Damit sie den Globalisierungswahn beendet und allen Ländern ermöglicht, ihre Märkte und heimischen Landwirte mittels Zöllen vor subventionierten Billigimporten zu schützen – im Interesse der arbeitenden Menschen. Und der Natur. Ein Traum unter dem Augurenlächeln der Bilderberger.
Erschienen in Ossietzky 24/2009 |
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