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Endlich ein amerikanischer Präsident, der versteht, daß er den israelisch-palästinensischen Konflikt beenden muß, nicht nur um der beiden Völker willen, sondern vor allem aufgrund der nationalen Interessen der USA. Dieser Konflikt ist größtenteils verantwortlich für die Welle anti-amerikanischen Hasses, die die muslimischen Massen von Ozean zu Ozean überrollt. Die ganze Welt glaubte, eine neue Ära habe begonnen. Anstelle eines »Kampfes der Kulturen«, der »Achse des Bösen« und all der anderen idiotischen, aber verhängnisvollen Slogans aus der Bush-Ära endlich ein neuer Weg der Verständigung und Versöhnung, gegenseitigen Respekts und praktischer Lösungen. Keiner erwartete, Obama werde die bedingungslose pro-israelische Haltung der USA in eine einseitige pro-palästinensische Position umwandeln. Aber jeder dachte, die USA würden jetzt einen ausgeglicheneren Weg beschreiten und beide Seiten zu einer Zwei-Staaten-Lösung drängen. Und noch wichtiger: der ständige Strom von heuchlerischem und frömmelndem Geplapper würde von einer entschlossenen, kraftvollen, nicht provokativen, aber zielstrebigen Politik ersetzt werden. So hoch wie die Erwartungen damals waren, so tief ist die Enttäuschung jetzt. Nichts von alledem hat sich erfüllt. Es ist sogar noch schlimmer: Die Obama-Regierung zeigte durch ihre Aktionen und Unterlassungen, daß sie wirklich nichts anderes ist als die Regierung von George W. Bush. Vom ersten Augenblick an war klar, daß der entscheidende Test mit der Schlacht um die Siedlungen kommen würde. Es könnte so aussehen, als handelte es sich nur um Nebensächlichkeiten. Wenn Frieden innerhalb von zwei Jahren erreicht wird, wie Obamas Leute uns versichern, warum sich dann über ein paar neue Häuser in den Siedlungen aufregen, die sowieso aufgelöst werden? Da werden dann ein paar tausend Siedler mehr umgesiedelt werden müssen. Na und? Ein palästinensischer Anwalt drückte es kurz und anschaulich aus: »Wir verhandeln über die Teilung einer Pizza, und unterdessen ißt Israel die Pizza auf.« Die Forderung nach sofortiger Einstellung des Siedlungsbaus in der ganzen Westbank und in Ost-Jerusalem wurde zum Kennzeichen einer neuen Politik. Wie in einem Western-Film zog Obama eine Linie in den Sand und erklärte: Bis hierher und nicht weiter! Ein wirklicher Cowboy kann sich von solch einer Linie nicht zurückziehen, ohne fortan als Feigling zu gelten. Genau das ist geschehen. Obama hat die Linie, die er selbst in den Sand gezogen hat, gelöscht. Er hat seine eindeutige Forderung aufgegeben. Binyamin Netanyahu und seine Leute verkündeten stolz und laut, daß ein Kompromiß erreicht worden sei – nicht mit den Palästinensern (wer sind die schon?), sondern mit den Amerikanern. Sie haben Netanyahu erlaubt, hier und dort zu bauen – um des »normalen Lebens« willen und wegen des »natürlichen Wachstums«, um »im Bau befindliche Projekte zu beenden« und unter anderen durchschaubaren Vorwänden ähnlicher Art. In Jerusalem, der »Ungeteilten Ewigen Hauptstadt« Israels, wird es überhaupt keine Beschränkungen der Siedlungstätigkeiten geben, die in vollem Schwung weitergehen. Um der Beleidigung noch eine Kränkung hinzuzufügen, machte sich Hillary Clinton persönlich nach Jerusalem auf und überschüttete Netanyahu mit salbungsvollen Schmeicheleien: Noch nie vorher sei solch ein Opfer für den Frieden gebracht worden, katzbuckelte sie. Das war sogar für Abbas zu viel, dessen Geduld und Selbstbeherrschung legendär sind. Er zog die Konsequenzen. Sicher kann man Obama verstehen. Er steckt mitten in einem politischen Überlebenskampf an der sozialen Front, in der Schlacht um die Krankenversicherung; die Arbeitslosigkeit wächst weiter; die Nachrichten aus dem Irak sind schlecht; Afghanistan wird zu einem zweiten Vietnam. Noch vor der Preisverleihungsfeier sieht der Friedensnobelpreis fast wie ein Witz aus. Vielleicht hat er das Gefühl, die Zeit sei noch nicht reif, um die allmächtige Pro-Israel-Lobby zu provozieren. Er ist Politiker, und alle Politik ist die Kunst des Möglichen. Es wäre möglich, ihm dies zu vergeben, wenn er offen zugeben würde, daß er nicht in der Lage sei, seine guten Absichten in dieser Region zum augenblicklichen Zeitpunkt zu verwirklichen. Aber es ist unmöglich zu vergeben, was sich jetzt tatsächlich abspielt: die skandalöse Behandlung des Goldstone-Berichtes seitens der Amerikaner; Hillery Clintons ekelhaftes Verhalten in Jerusalem; die verlogene Rede über die »Zurückhaltung« bei den Siedlungsaktivitäten – zumal all dies mit völliger Nichtbeachtung der Palästinenser einhergeht, als wären sie nur Statisten in einer Oper. Obama hat nicht nur seinen Anspruch eines gründlichen Wandels der US-Politik aufgegeben; er setzt Bushs Politik fort. Und da Obama vorgibt, das Gegenteil von Bush zu sein, ist dies doppelter Verrat. Abbas reagierte mit der einzigen Waffe, die ihm noch zur Verfügung steht: der Ankündigung, er wolle die politische Bühne verlassen. Die amerikanische Politik im »weiteren Nahen Osten« kann mit einem Rezept in einem Kochbuch verglichen werden: »Man nehme so und so viel Fett, einige Eier, mische mit Zucker und Mehl …« Im realen Leben: Man nehme einen angesehenen Einheimischen, gebe ihm die Insignien der Herrschaft, führe »freie Wahlen« durch, trainiere seine Sicherheitskräfte und mache ihn zu einem Subunternehmer. Viele koloniale und Besatzungsregime haben in der Vergangenheit dieses Rezept befolgt. Was den Amerikanern besonders wichtig ist, ist die Verwendung »demokratischer« Requisiten für das Schauspiel. Selbst wenn eine zynische Welt kein Wort davon glaubt, muß man an die Zuschauer zu Hause denken. So wurde es in der Vergangenheit in Vietnam gemacht. Auf diese Weise wurden Hamid Karzai in Afghanistan und Nouri Maliki im Irak gewählt. So hielten es die USA mit Fouad Siniora im Libanon. So sollte Muhammad Dahlan im Gazastreifen installiert werden (im entscheidenden Augenblick kam ihm aber die Hamas zuvor). In den meisten arabischen Ländern ist dieses Rezept nicht nötig, da die etablierten Regime den Erfordernissen genügen. Abbas sollte diese Aufgabe erfüllen. Er trägt den Titel Präsident, er wurde in fairen Wahlen gewählt, ein US-General trainiert seine Sicherheitskräfte. In den folgenden parlamentarischen Wahlen wurde seine Partei zwar vernichtend geschlagen, doch die Amerikaner ignorierten einfach die Ergebnisse, und die Israelis verhafteten die unerwünschten Parlamentarier. Die Show muß weitergehen. Aber Abbas war nicht damit einverstanden, nur ein Ei im amerikanischen Rezept zu sein. Ich traf ihn vor 26 Jahren das erste Mal. Nach dem ersten Libanonkrieg, als wir (Matti Peled, Ya’acov Amon und ich) nach Tunis gingen, um Arafat zu treffen, sahen wir zuerst Abbas. So war es jedes Mal, wenn wir später nach Tunis kamen. Abbas war der Referent für Frieden mit Israel. Gespräche mit ihm kamen immer sofort aufs Wesentliche. Wir wurden keine Freunde wie mit Arafat. Die beiden waren von sehr verschiedenem Temperament. Arafat war extrovertiert, ein herzlicher Mensch, der persönliche Gesten und körperlichen Kontakt mit den Leuten liebte, mit denen er sprach. Abbas ist verschlossen, introvertiert und hält die Leute lieber auf Distanz. Was den politischen Standpunkt betrifft, gibt es keinen wirklichen Unterschied. Abbas hält sich an das, was Arafat 1974 konzipiert hat: ein palästinensischer Staat innerhalb der Grenzen von vor 1967 mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt. Der Unterschied liegt in der Methode. Arafat glaubte an seine Fähigkeit, die israelische Öffentlichkeit zu beeinflussen. Abbas beschränkt sich darauf, mit den Regierenden zu verhandeln. Arafat glaubte, er müsse in sein Arsenal alle Mittel des Kampfes aufnehmen: Verhandlungen, diplomatische Aktivitäten, bewaffneten Kampf, PR, trickreiche Manöver. Abbas setzt alles auf eine Karte: Friedensverhandlungen. Abbas will kein palästinensischer Marschall Petain sein. Er will nicht der Chef eines lokalen Vichy-Regimes werden. Er weiß, daß er auf einem schlüpfrigen Abhang steht, und hat entschieden, aufzuhören, bevor es zu spät ist. Ich denke, daß seine Absicht, die Bühne zu verlassen, ernst ist. Ich glaube, seine Beteuerung ist kein Verhandlungstrick. Er könnte seine Entscheidung ändern, aber nur, wenn er davon überzeugt ist, daß nach geänderten Regeln gespielt wird. Obama war vollkommen überrascht. So etwas war noch nie geschehen: Ein amerikanischer Kunde, total abhängig von Washington, rebelliert plötzlich und stellt Bedingungen. Es ist genau das, was Abbas jetzt getan hat, nachdem er erkannt hat, daß Obama nicht in der Lage ist, die wichtigste Grundbedingung zu erfüllen: das Einfrieren des Siedlungsbaus. Vom amerikanischen Standpunkt aus gibt es keinen Ersatz. Tatsächlich finden sich in der palästinensischen Führung einige gute und glaubwürdige Leute wie auch Korrupte und Kollaborateure. Aber es gibt keinen, der in der Lage ist, die ganze Bevölkerung der Westbank um sich zu scharen. Der erste Name, der einem einfällt, ist Marwan Barghouti, aber er sitzt im Gefängnis, und die israelische Regierung hat schon angekündigt, daß sie ihn nicht entlassen will, selbst wenn er gewählt würde. Es ist auch keineswegs klar, ob er unter den augenblicklichen Umständen bereit ist, die ihm zugedachte Rolle zu spielen. Ohne Abbas fällt das ganze amerikanische Rezept unter den Tisch. Auch Netanyahu war äußerst überrascht. Er benötigt inhaltslose, vorgetäuschte Verhandlungen als Tarnung für die Verschärfung des Besatzungsregimes und die Vergrößerung der Siedlungen. Ein »Friedensprozeß« als Ersatz für Frieden. Mit wem soll er »verhandeln«, wenn es keinen anerkannten palästinensischen Führer gibt? In Jerusalem besteht noch Hoffnung, daß Abbas’ Ankündigung nur ein Trick sei, und daß es genügen werde, ihm ein paar Brosamen hinzuwerfen, um seine Meinung zu verändern. Anscheinend kennen sie den Mann nicht richtig. Seine Selbstachtung wird ihm nicht erlauben, den Schritt rückgängig zu machen, wenn Obama ihm nicht ein ernsthaftes politisches Angebot macht. Von Abbas‘ Standpunkt aus ist die Ankündigung seines Rückzugs die Waffe des Jüngsten Gerichtes. Sie kann nicht zweimal benützt werden. Übersetzt von Ellen Rohlfs und Christoph Glanz; vom Verfasser autorisiert
Erschienen in Ossietzky 23/2009 |
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