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Immer nur von Europa sprechen ...Mario Tal Deutschland macht heute Außenpolitik »Bekommt Deutschland jetzt, nachdem es friedlich und zivil geworden ist und mit dem Ende des Kalten Krieges seine Einheit im internationalen Einvernehmen zurückerhalten hat, all das, was ihm Europa, ja die Welt, in zwei großen Kriegen erfolgreich verwehrt hat, nämlich eine Art ›sanfter Hegemonie‹ über Europa, Ergebnis seiner Größe, seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner Lage und nicht mehr eines militärstrategischen Potentials?« In Frageform äußerte Joseph Fischer, Berater großer Unternehmen wie BMW, RWE und Siemens, seit 2007 Vorstand einer Beratungsgesellschaft mit dem stolzen Namen European Council on Foreign Relations, schon 1995 in einem Brief an Die Grünen eine Überlegung, die 1993 Klaus Kinkel als damaliger Bundesaußenminister in der FAZ so formuliert hatte: »Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht.« Noch bündiger Edmund Stoiber (CSU) 1992: »Kohl vollendet, was Kaiser Wilhelm und Hitler nicht erreicht haben.« In dieser Kontinuität konnte Günther Gloser (SPD) als Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt 2007 vor bayerischen Gymnasiasten dozieren: »Wir haben in der jüngeren Geschichte dreimal sehr viel Geld investiert, und nur einmal ist eine positive Dividende herausgekommen.« Daß solche Äußerungen keine Ausrutscher waren, erklären Werner Biermann und Arno Klönne in ihrem jüngsten Buch »Ein Spiel ohne Grenzen«. Aus diesem prägnanten Abriß der Großmachtambitionen in Deutschland von 1871 bis heute kann auch der historisch bewanderte Leser noch viel Erkenntnis und Anregung gewinnen, und ebenso erhält das junge Publikum ein Nachschlagewerk, das es zwischen Diercke-Atlas und dtv-Lexikon stellen kann. Die Expansionsideen aus der Kaiserzeit, denen die Autoren nachgehen, führten seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu Plänen für einen mitteleuropäischen Wirtschaftsverbund, in dem die deutsche Industrie dank ihrer ökonomischen Überlegenheit eine Hegemonie gegenüber ihren »Partnern« erlangen würde, um so gestärkt das eigentliche Ziel, die Beherrschung des Weltmarktes, ansteuern zu können. 1940 lauteten die Pläne dann so (formuliert vom NS-Wirtschaftsexperten Werner Daitz): »Eine kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft unter deutscher Führung muß in ihrem letzten Friedensziel sämtliche Völker des Festlandes von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern umfassen, mit ihren natürlichen kolonisatorischen Ausstrahlungen in den sibirischen Raum und über das Mittelmeer nach Afrika hinein. ... Wenn wir den europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, ... müssen wir grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem ... Schwergewicht Deutschlands.« Nach 1945 ist es der Bundesrepublik Deutschland gelungen, ihre Weltmarktanteile stetig auszubauen, wobei Europa als Hebel diente. Ein Kapitel über die Treuhandanstalt und deren Wirken in den Jahren 1990 ff. ist sehr informativ; zu diskutieren wäre stellenweise die Interpretation des Zahlenmaterials. So wird im Zusammenhang mit der »Strukturanpassung« der ostdeutschen Wirtschaft auf die gigantischen Gewinne westdeutscher Unternehmen verwiesen, die sich »nach dem Anschluß durchschnittlich verdoppelten, und zwar von 345 Milliarden DM jährlich zwischen 1980 und 1989 auf 653 Milliarden für 1995«. Dabei dürfte aber auch in Rechnung zu stellen sein, was die FAZ 1992 den Historiker Ernst Nolte fragen ließ: »Zeigt sich nicht, daß sogar Hitlers Vorstellung vom ›Lebensraum‹ keine bloße Phantasie war, da doch ganz Osteuropa heute der Tätigkeit der deutschen Wirtschaft offenzustehen scheint?« Von aktuellem Interesse sind die Ausführungen zur neuen Rolle der Bundeswehr und zur europäischen Aufrüstung. Bekannte Eckpunkte der deutschen und europäischen Entwicklung sind die verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 (Zugang zu Rohstoffen als deutsches Interesse) und die vertragliche Verpflichtung aller EU-Staaten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Doch auch weniger bekannte Fakten sind dem Buch zu entnehmen. Drei Beispiele: Hintergründe der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, in deren Beirat neben wichtigen Think Tanks auch die Evangelische Kirche und der DGB vertreten sind; die Verzahnung der Rüstungsindustrie auf dem neuen Markt der Inneren Sicherheit; Strategiepapiere aus der EU, in denen etwa die »Energieabhängigkeit der EU« in Zusammenhang mit militärischer Vorausplanung gebracht und die Bereitschaft der EU-Staaten zum militärischen Erstschlag verlangt wird. Sehr sanftmütig sind die Interessen nicht, über die Biermann/Klönne berichten. Gleichwohl sprechen die außenpolitischen Akteure stets von Friedenssicherung, niemals von Imperialismus. Werner Biermann, Arno Klönne: »Ein Spiel ohne Grenzen. Wirtschaft, Politik und Großmachtsambitionen in Deutschland von 1871 bis heute«, PapyRossa Verlag, 293 Seiten, 17.90 €.
Erschienen in Ossietzky 23/2009 |
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