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Wir argumentierten (und verrieten damit nichts Neues, aber lange Verdrängtes): Wenn sich die Arbeitszeit nicht entsprechend dem Produktivitätsfortschritt verringert, steigen zwangsläufig die Arbeitslosenzahlen; es entsteht ein Überangebot an Arbeitskräften. Die Unternehmer nutzen dieses Überangebot – und die Angst der Beschäftigten, ebenfalls arbeitslos zu werden – dazu aus, die Arbeitnehmerrechte einzuschränken, die Löhne zu drosseln. Je höher die Arbeitslosigkeit, desto geringer wird der Preis der Arbeitskraft. Das Interesse der Unternehmer an maximalem Kapitalertrag gebietet ihnen geradezu, die Arbeitsfähigen gegeneinander ausspielen, um die Personalkosten zu senken, und wo die Solidarität bröckelt, da verlieren die Gewerkschaften an Durchsetzungskraft. Wir wiesen darauf hin, daß es Handel und Wandel lähmt, wenn Millionen Menschen auf ein Minimum an Kaufkraft reduziert sind; daß die Probleme der Kranken- und Altersversicherung direkte Folgen der Massenarbeitslosigkeit sind, weil Beitragseinnahmen fehlen; daß sich das gesellschaftspolitische Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit unerträglich zugunsten der ohnehin Mächtigen ändert; und wir erinnerten daran, daß nach 1945 weithin Konsens darüber bestanden hatte, niemals wieder Massenarbeitslosigkeit aufkommen zu lassen, damit nicht nochmals die Demokratie daran zerbreche. Gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund der Zerstörung der Weimarer Republik hat die UNO das Recht auf Arbeit als allgemeines Menschenrecht deklariert. Wir klagten die Politiker an, die mit immer neuen »Sparprogrammen« im öffentlichen Dienst in den vergangenen Jahren Millionen Arbeitsplätze vernichtet haben, zum Beispiel in Bildung, Gesundheit und Pflege, obwohl gerade hier der Bedarf an Arbeitskräften wächst, und wir machten auf andere üble Folgen dieser Politik aufmerksam: daß das verbliebene Personal überfordert ist und daß sich die Versorgung der Bevölkerung verschlechtert. Nicht zuletzt versuchten wir, den Zynismus einer Propaganda bloßzustellen, die permanent den Arbeitslosen selber die Schuld an ihrem Elend zuschiebt – als wären jetzt zum Beispiel die »Quelle«-Beschäftigten für das Ende des Unternehmens verantwortlich. Unsere Appelle richteten sich an Gewerkschaften und politische Parteien, die aber weghörten und, statt sich um die dringend notwendige Arbeitszeitverkürzung zu bemühen, sogar an Arbeitszeitverlängerung mitwirkten – per Gesetz oder Tarifvertrag. Auch Wissenschaftler, die einst die Forderungen der IG Metall und der IG Druck und Papier nach der 35-Stunden-Woche unterstützt hatten, wurden merkwürdig still. Immerhin machte vor zehn Jahren die Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch einmal unter dem Titel »Weniger Arbeit – weniger Demokratie?« (Offizin Verlag) deutlich, was sie von der damals auf die Bühne tretenden rot-grünen Koalition vorrangig erwarteten; aber Gerhard Schröder, der eifrige Gehilfe der Bosse, hatte längst ganz anderes im Sinn. Jahrelang haben wir vorgerechnet, was dem heutigen Stand der technischen Entwicklung und den sozialpolitischen Erfordernissen entspricht: die Vier-Tage- und 28-Stunden-Woche. Alles vergeblich? Nein. Inzwischen hat die Memorandum-Gruppe kritischer Wirtschaftswissenschaftler diese Forderung aufgegriffen und sich zu eigen gemacht. Auch attac nahm sich des Themas an; Ergebnis ist das Buch: »Schritte aus der Krise«, herausgegeben von Stephan Krull, Mohssen Massarrat und Margarete Steinrücke (VSA-Verlag), dessen Autoren allerdings zumeist noch nicht selbstbewußt genug sind, eine Wochenarbeitszeit unter 30 Stunden zu fordern. Aber jüngst sprachen sich die drei Herausgeber in einem Beitrag für die Wochenzeitung freitag ebenfalls für die 28-Stunden-Woche aus. In der Oktober-Ausgabe der linksparteinahen Zeitschrift Sozialismus zogen deren Herausgeber Frank Deppe und Redakteur Richard Detje sieben Lehren aus der »großen Krise«; die erste Lehre lautet, daß die Arbeitszeit verkürzt werden müsse; dazu seien »neue arbeitszeitpolitische Initiativen erforderlich«. Ja – wobei aber auch von vornherein klar sein muß, daß zur Arbeitszeitverkürzung der volle Lohnausgleich gehört. Wenn den Lohnabhängigen, die in den vergangenen Jahren etliche Prozent ihres Reallohns verloren haben, eingeredet würde, sie müßten Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverzicht bezahlen, wären sie schwerlich dafür zu gewinnen. Nein, zahlen müssen die, die sich den ganzen technischen Fortschritt als Profit angeeignet haben. Wenn die Gewerkschaften nicht endlich mit einer überzeugenden Forderung in die Offensive gehen, wenn Die Linke zu bange ist, den Ton angeben zu wollen, dann wird sich, wie Udo Klitzke (IG Metall) im selben Sozialismus-Heft schreibt, die neoliberale Politik weiterhin in allen Gesellschaftsbereichen durchsetzen. Und der unausbleibliche soziale Protest kann sich scharf nach rechts wenden. Was jetzt zu tun ist, kann jede und jeder bei jeder Gelegenheit tun: klarstellen, daß die Agenda 2010, die die Reichen immer noch reicher und die Armen ärmer gemacht hat, nicht mehr gilt. Das Jahr 2010 beginnt in wenigen Wochen, und mit ihm muß eine neue Agenda beginnen. Wir müssen dafür sorgen, daß sich das Selbstverständliche überall herumspricht. Es gilt, in allen Vereinen und Verbänden, Gewerkschaften und Parteien Anträge zu stellen, Diskussionen anzustoßen, Beschlüsse zu fassen, daß die 28-Stunden-Woche eingeführt werden muß, und zwar schnell, also nicht etwa in kleinen Schritten, die uns nicht voranbringen. Die zehn Medienkonzerne, die in Deutschland die Interessen des Großen Geldes und damit ihre eigenen Interessen zur Geltung bringen, werden mit all ihren Mitteln (Verschweigen, Ablenken, Diffamieren) darauf antworten; das hat jeder einzukalkulieren, der die Macht der Mächtigen antastet. Die Massenarbeitslosigkeit und die Verdummungsmedien sind die beiden stärksten Waffen des Großen Geldes; aller Erfahrung nach wird es sie nicht kampflos aus der Hand geben.
Erschienen in Ossietzky 23/2009 |
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