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Zwar propagiert Barack Obama verbal eine »globale Atomabrüstung«, aber eine verbindliche Selbstverpflichtung der atomaren Großmächte ist nicht in Sicht. Eine neue Herausforderung für die auf ihre Souveränität bedachten lateinamerikanischen Staaten ist die Absicht des Pentagon, sieben Militärbasen auf kolumbianischem Staatsgebiet zu errichten. Zwar sollen dort, so wird versichert, keine Atomwaffen gelagert werden, aber das wird sich nur schwer kontrollieren lassen, wenn überhaupt. Die Regierung in Brasilia sieht vor allem deswegen eine Gefahr, weil die Westgrenze Brasiliens aus undurchdringlichem Dschungel besteht und daher kaum zu überwachen ist. In diesem Gebiet lagern Erdöl und viele verlockende Mineralien. Robert Gates, Verteidigungsminister von George W. Bush und jetzt von Barack Obama, verkündete im vergangenen Jahr die Absicht, die Vierte Flotte zu reaktivieren, jene schwimmende Invasionsbasis der US-Navy vor den Küsten ihres Hinterhofs; damit würde Brasilien auch von Osten her in Gefahr geraten. Seit dem Staatsstreich in Honduras fürchtet man auf dem Subkontinent, daß das Weiße Haus das Arsenal der 1970er Jahre aus der Mottenkiste hervorkramen will. Offensichtlich haben die USA das geänderte Kräfteverhältnis der multipolaren Welt nicht zur Kenntnis genommen und wollen mit dem atomaren »Big Stick« die Monroe-Doktrin neu beleben, also für sich wieder die Rolle der Vormacht ganz Amerikas beanspruchen. Das Flugzeug, das im Juni den honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya im Schlafanzug ins Ausland abschob, war vorher auf einer Militärbasis, auf der US-Streitkräfte stationiert sind, zwischengelandet. Daß Brasilien dann seine Botschaft in Tegucigalpa zur Verfügung gestellt hat, damit Zelaya dort in Sicherheit wohnen und auf die Rückkehr in den Präsidentenpalast hinarbeiten kann, ist ein deutliches Zeichen, daß es Militärputsche – erfahrungsgemäß von den USA geplant oder unterstützt – nicht toleriert. Der Gedanke, daß sich die lateinamerikanische Großmacht (»la gran potencia«) atomar bewaffnen will, ist nicht neu. Vor zwei Jahren hatte schon der Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, José Benedito de Barros Moreira, diese Forderung erhoben. Alencar erläuterte nun in dem Pressegespräch in Brasilia, daß der Besitz der Atombombe auch armen Ländern wie Pakistan Machtpositionen verschafft habe, die sie sonst niemals erhalten hätten: »Sie setzen sich an den Tisch der Mächtigen, nur weil sie die Nuklearwaffe besitzen.« Nach seinen Wünschen soll auch der brasilianische Wehretat massiv und an das Bruttosozialprodukt gekoppelt werden. Alencar, früher selbst Verteidigungsminister, sprach von drei bis fünf Prozent. Der amtierende Minister Nelson Jobim spielte Alencars Überlegungen herunter: »Internationale Verträge wie auch die eigene Verfassung verbieten die Herstellung und den Gebrauch von Atomwaffen.« Alencar konterte, Verträge seien »verhandelbar«. Ob und wie auch die Verfassung veränderbar sei – dazu äusserte er sich nicht. Ein Plebiszit gegen die USA als einzige Atommacht Amerikas würde vermutlich eine große Mehrheit finden. Seit zwei Jahren erlebt die brasilianische Atomwirtschaft einen Boom, mehrere neue Atomreaktoren sollen gebaut werden, beschloß die Regierung. Und im Februar 2008 wurde ein bilaterales Abkommen mit Argentinien über den Bau einer Fabrik zur Anreicherung von Uran unterschrieben. Für Heriberto José Boada, Sprecher der Nationalen Atomkommission in Buenos Aires, ist das »ein Meilenstein in den Beziehungen beider Länder«. Über Jahrzehnte hinweg haben sie miteinander um die Vorherrschaft auf dem Subkontinent konkurriert, selten saßen sie an einem Tisch. Heute wehen andere Winde, Winde der Kooperation, denn sie haben einen gemeinsamen Feind: die Vereinigten Staaten, die aufs Säbelrasseln nicht verzichten wollen. Da die USA ihre politische und kulturelle Vorherrschaft verloren haben, bleibt ihnen nicht viel anderes übrig. In einer multipolaren Welt soll »ein neues Zentrum von Anbietern der Atomtechnologie entstehen«, so Boada. Im großen Maßstab bieten zur Zeit vor allem drei Länder diese Technologie an: Frankreich, die USA und Rußland. »Aber sie sind wegen der hohen Nachfrage völlig überfordert. Wenn wir in Zukunft Atomtechnologie anbieten, freuen sich darüber vor allem die Entwicklungsländer.« Lange stritten sich die Südamerikaner mit den Industrieländern über Agrarsubventionen, Patentrecht, Finanzpolitik und die Handhabung des Schuldenproblems. Der Norden zeigte sich beinhart. Provokant wirkte es auch, daß die Bush-Administration ihre Militärhilfe von dem Versprechen der Empfängerstaaten abhängig machte, US-Soldaten während ihres Aufenthaltes auf latein-amerikanischem Boden Immunität zu gewähren und sie dem Zugriff des Internationalen Strafgerichtshof zu entziehen. Fast alle Regierungen lehnten dies ab, einzige Ausnahme waren Kolumbien und das damals von der rechten Colorado-Partei regierte Paraguay. Zur Strafe entzog das Pentagon den Unwilligen die Militärhilfe. Aber die grämten sich nicht. Denn China sprang in die Bresche und bot Waffen und Offiziersausbildung an. Die Südamerikaner errichteten ein neues Verteidigungsbündnis: UNASUR, ohne die USA. Kolumbien ist UNASUR-Mitglied, wie lange noch, ist ungewiß, da es der US-Army sein Territorium für Stützpunkte zur Verfügung stellt. Washington winkt mit einem Freihandelsabkommen, die Südamerikaner bieten kontinentale Integration an. Besonders der Handelsaustausch mit Venezuela ist für die Regierung in Bogotá verlockend. Nicht nur mit den Chinesen unterhalten die Lateinamerikaner glänzende Wirtschaftsbeziehungen. Letztes Jahr verabredeten in Buenos Aires die Außenminister der südamerikanischen und der arabischen Länder eine »strategische Allianz«. Konkrete Projekte wurden nicht bekannt, aber schon heute treibt man regen Handel, auch mit dem Iran. Südamerika produziert Getreide und Fleisch im Überfluß und verfügt über Mineralien. Die arabischen Länder müssen Lebensmittel und viele Rohstoffe importieren. Seit Jahren hat die Regierung von Hugo Chávez mit den Ländern des Nahen Ostens im Rahmen der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) enge Bande geknüpft, Iran baut in Venezuela mehrere Fabriken und fördert im Orinocodelta Erdgas. Und auch für den Aufbau einer Atomtechnologie haben Venezuela und der Iran im vergangenen Jahr ein Kooperationsabkommen unterzeichnet. In Uruguay errichtet Teheran eine Zementfabrik und läßt sich dafür mit Reislieferungen bezahlen. In Bolivien hilft der Iran bei der Suche nach Erdgas und erhält dafür die Lizenz für ein landesweites Fernsehen. Technisch sind die Latinos schon lange in der Lage, Kernwaffen zu produzieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sowohl brasilianische wie argentinische Militärs heimlich an der Atombombe gebastelt. Besonders erfolgreich war Argentinien, nicht zuletzt wegen der nach 1945 dort untergetauchten deutschen Nazi-Wissenschaftler, die ihre in der Bundesrepublik verbotene Forschungsarbeit fortsetzen konnten. Zwischen 1960 und 1964 lieferte Buenos Aires über 116 Tonnen Uranerz (Yellow Cake) nach Israel und erhielt im Gegenzug Plutonium aus dem israelischen Atomforschungszentrum Dimona. Was damit geschehen ist, wurde offiziell nie erklärt. Ab Mitte der 1980er Jahre gaben die Argentinier ihre Atomwaffen-Träume auf, seitdem haben die Militärs massiv an Einfluß verloren. Das ging weniger auf »Überzeugungsarbeit« aus dem Norden zurück als auf Entwicklungen der südamerikanischen Gesellschaft. 1991 unterschrieb Buenos Aires den Atomwaffensperrvertrag. Inzwischen exportiert Argentinien Atomkraftwerke in alle Welt, auch nach Europa. Das traditionelle Mißtrauen zwischen Brasilien und Argentinien wurde überwunden. Beide Staaten gründeten eine binationale Behörde für die Kontrolle von nuklearem Material: ABACC inspiziert sämtliche Waffenarsenale und Atomeinrichtungen beider Länder, inklusive der Lagerung des nuklearen Materials. Südamerika hatte gute Gründe, die weiterhin gelten, sich dem atomaren Rüstungswettlauf fernzuhalten. Aber es ist nationaler Konsens nicht nur in Brasilien, die Rohstoffe zu sichern. Werden die Brasilianer zur atomaren Trumpfkarte greifen, um Aggressoren abzuschrecken? Alencars Worte sind eine Warnung.
Erschienen in Ossietzky 22/2009 |
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