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Darum sind Schauspieler in der ersten halben Stunde der Aufführung nicht sichtbar. Hinter einem dünnen Vorhang verborgen lesen sie den Lessing-Text an Pulten wie in einem Hörspielstudio. Irgendwann hebt sich der Vorhang, die Lesepulte bleiben. Gespielt wird nicht in historischen Kostümen – vorerst nicht. In die klassischen Verse bricht etwas ein, das stört, irritiert: ein Antidrama von Elfriede Jelinek, »Abraumhalde«. Das, was im »Nathan« nicht ausgesprochen wird, um die schöne Utopie von allgemeiner Verbrüderung erglänzen zu lassen, Jelineks bittere Satire nennt den Haß, das Leiden, die Habgier, den religiösen Wahn. So konfrontiert Nicolas Stemann den bekannten Text mit der Gegenwart. Rechts der jüdische Menora-Leuchter, links die christlichen Altarkerzen und ganz vorn an der Rampe: Goldbarren. Dazwischen die Schauspieler, die dann doch alte Kostüme, wie als Zitat, tragen, aber auswechselbar scheinen: Jeder kann jeden spielen. Ein junger und ein alter Nathan mit Bart und langem Gewand nebeneinander auf der Bühne, das ist hier möglich. Eindringlich und ergreifend spricht Katharina Matz als die alte Daja die Erfahrung aus: »Das Leiden siegt immer, die Habsucht.« Große Pappköpfe vom Papst, von Osama bin Laden und einem karikierten Juden mit Dollar-Ohrringen erscheinen. Alle drei greifen gierig nach den Goldbarren, tanzen damit. Die Schauspieler werden zu Terroristen, die mit der Maschinenpistole hantieren. Kämpfen für den richtigen Gott oder um Land. »Egal, woran sie glauben, sie kriegen es nicht. Sie kriegen Krieg. Sie kriegen nichts mit«, erklärt eine Stimme. Auf der Leinwand im Hintergrund: Selbstmordattentäter, die heilige Jungfrau, Klageweiber, viel Blut – nicht Verbrüderung, Haß ist das Thema. Die Ring-Parabel: abgewürgt. Das Haus, das brannte, und der verbrannte Jude. Daja klagt, sie klagt an. Christus sei Frieden? Nein. Ein schmerzhaftes Dröhnen in der Luft macht taub. Keiner hört mehr. Am Schluß ist Nathan tot. Das Leiden siegt. Hier fällt nicht wie bei Lessing »unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen« der Vorhang. Die Schauspieler stehen wieder vor ihren Pulten. * Das zweite Stück im Thalia-Theater unter Stemanns Regie: »Die Kontrakte des Kaufmanns« von Elfriede Jelinek. Die Voraufführung in Köln war anders, für Hamburg schrieb Jelinek vierzig Seiten dazu und aktualisierte. Die Schauspieler als »schnelle theatralische Eingreiftruppe« müssen auf Texte reagieren, die sie noch gar nicht kennen. Der Zuschauer soll ein Teil der Aufführung werden – er kann aufstehen und durch offene Türen ins Foyer gehen, wo Lautsprecher alles übertragen. Aber erst nach etwa zwei Stunden verlassen die ersten ihre Plätze. Die Aufführung dauert weit über drei Stunden. Diese Tragikomödie über Geld, Banken, Bankrott, über Groß- und Kleinanleger, Gewinner und Verlierer, über die Gesetze des freien Marktes und die Sprache, die er aufzwingt – sie ist eine »improvisierte Performance«, so Stemann. Auch hier werden die Texte verlesen, virtuos, Texte, die die Sprache abklopfen, bis nur noch Staub übrig bleibt. Die Seiten fallen zu Boden wie Lose, die sich als Nieten erweisen, faule Wertpapiere, die im Laufe des Abends den Boden bedecken. Das Geld spielt die Hauptrolle. Es spricht, es lebt, es vermehrt sich oder nicht. Auf der Bühne agieren auch der Regisseur und der Dramaturg als Schauspieler, Musiker, Handlanger. Ein älteres Ehepaar wird weggetragen wie die Möbel. Das Geld der beiden ist in Zweckgesellschaften ausgelagert. Ein Flüsterchor beklagt die Krise. »Wir fördern Ihr Sterben auch, wenn Sie wollen, in teurer Selbstmordklinik«, steht an der Wand und wird gesungen. Schon kommen die Schafe. Der Regisseur mit Blick ins Publikum: »Was, so viele?« Wölfe auf der Bühne – mit den Schafen austauschbar – zerreißen einen der Anzugträger. »Wir haben in Immobilien investiert im Osten, als sie noch billig waren«, sind sie nun nichts mehr wert? Aber man kann in den Bau des neuen Zentralbahnhofes investieren. Eine Dame im Abendkleid stöhnt: »Der Abwasserkanal gehört uns jetzt nicht mehr«, die Scheiße ist Eigentum einer Firma, »die unseren Namen trägt, aber die wir nicht sind«. Eine völlig freie Wirtschaft wird gefordert. »Wir sind alle individuell!« sollen Zuschauer im Chor rufen, manche sind folgsam. Westerwelle-Gesichtsmasken erscheinen, später kommt von Guttenberg dazu. Das Geld läuft weg oder legt sich als Folterwerkzeug um den Hals. Der steckt wie im Schraubstock in überdimensionalen Geldstücken. Es gibt phantasievolle Szenen, aber auch Leerlauf in der Mitte des langen Abends, der durch Situationskomik überbrückt wird. Zaubereien mit Geldscheinen, echten, wie auf dem Jahrmarkt. Die geflüchteten Zuschauer kommen zurück, um ja nicht den reißerischen Lehmanbank-Song zu verpassen, der – raffiniert – für jeden etwas bereithält. Dann das Kreuz. Die Dame im langen Kleid nimmt es auf sich: ein Kreuz, beklebt mit Dollars. »Wir sehen unsere Schuld, die übergroße Schuld, o Herr, nein Herren.« Und: »Der Gewinn ist unser Gott.« Immer mehr Westerwelle-Klone schlagen den Rhythmus auf ihre Aktentäschchen, bis von oben lange Pfeiler auf die Bühne krachen – noch ein Relikt vom das Gedächtnis zerstörenden U-Bahnbau in Köln. Oder sind es die Säulen der Banken? Plötzlich Dunkel und Riesenballons, die auch zum Publikum fliegen, um, wie Hitlers Weltkugel in Chaplins Film, erhascht zu werden. Sie zerplatzen wie die Blase der Finanzkrise. Was hatte der Bankberater versprochen: »15 Prozent per Anus, per Rectus, per Verrectus – das bieten wir.« Er hatte versprochen, sich versprochen. Ein Chor ruft: »Schon sehen wir, vor diesem Haus, Menschen sich zusammenrotten.« Aber es stimmt nicht. Weder draußen noch drinnen. Da applaudieren die Hamburger wie wild. Sie sind begeistert.
Erschienen in Ossietzky 21/2009 |
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