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Da kann mancher froh sein, daß er schon verstorben ist, zum Beispiel der New Yorker Journalist und Herausgeber Horace Greeley, der mit seiner Zeitung dem im Londoner Exil lebenden Marx ein Forum bot. »Im Jahr 1853 schrieb Karl wöchentlich regelmäßig zwei Artikel für die Tribune, die großes Aufsehen in Amerika machten. Durch diese … Einnahme waren wir imstande, uns aus den alten Schulden etwas herauszureißen«, berichtete Jenny Marx. Das Blatt war mit seinem hohen politischen und moralischen Standard vorbildlich für eine der Wahrheit verpflichtete Berichterstattung. Wer für die Tribune arbeitete, beschmutzte sich nicht das Hirn. Hundert Jahre später geisterte der deutsch-jüdische Denker aus Trier immer noch in amerikanischen Köpfen herum, sehr lebhaft in der Erzählung »Hof in den West Eighties« von Carson McCullers. Darin liest die weibliche Hauptfigur ungescheut Marx und zieht daraus ganz konkrete Schlüsse: »Es ist nicht recht, daß der Junge, der in der Schule in Nationalökonomie neben mir sitzt, den ganzen Winter Zeitungen unter seinem Sweater tragen muß, weil er keinen Mantel hat.« Ausgerechnet Nationalökonomie! Noch deutlicher das Bekenntnis im frühen Roman der erst 23 Jahre zählenden Schriftstellerin »Das Herz ist ein einsamer Jäger«, Originalausgabe 1940, Boston. Darin agieren und agitieren zwei Kommunisten, zwei Rote – einer schwarz, einer weiß: »Jeder Reiche läßt ein paar tausend Arme für sich arbeiten, damit er noch reicher wird [...] Karl Marx verkündete in der großen Botschaft seines Lebens die Gleichheit aller Menschen und forderte, daß der Reichtum der Welt so verteilt werde, daß es nicht mehr Arme und Reiche gebe, sondern daß jeder Einzelne seinen Anteil erhält. Eines der Gebote, die Karl Marx uns hinterlassen hat, heißt: ›Jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen.‹« Damit ist es ja erst mal Essig, doch die hochgemute Zustimmung aus Amerika büßte nichts von ihrem Glanz ein. Verweise auf Marx finden sich in Saul Bellows 775-Seiten-Roman »Die Abenteuer des Augie March«, Kiepenheuer & Witsch, 1956. Augie jobt in einer Buchhandlung, dort klaut er das »Kapital« für einen Hochschul-Assistenten in Politologie, der brennendes Interesse an dem Werk, aber kein Geld hat. Blinde Begeisterung aber ist nicht Saul Bellows Sache, er nimmt zwei Denker hart ran, nennt J. J. Rousseau »einen ausgemachten Pferdearsch, der sich mit keinem einzigen Menschen vertragen konnte…«, und »genauso Marx mit seinen hartnäckigen Furunkeln und seiner Armut und dem Tode seiner Kinder, der glaubte, der Engel der Geschichte würde versuchen, gegen den Wind aus der Vergangenheit anzufliegen«. Nach den Attacken das Resümée. »Wie durchgedreht, verdorben (…) sie auch waren, wollten sie sich doch für große Ziele bewahren und glaubten an wenigstens einen Wert.« In welchem Maß Marx selbst Menschen faszinierte, von denen man das keineswegs erwartete, erzählt Ludwig Marcuse in seiner Autobiographie »Mein 20. Jahrhundert«. Der Philosoph befindet sich 1928 auf einer Italienreise, im Zug betritt ein »gut angezogener, höflicher, prachtvoll erzogener junger Mann« das Abteil, der den geborenen und ausübenden Skeptiker und stets eher abwehrenden Marcuse beharrlich in ein Gespräch verwickelt. Im Ferienort stellt sich heraus, der Jüngling ist Seine Königliche Hoheit, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, er studiert Nationalökonomie und bittet um Lektüretips. Marcuse verweist ihn auf ein Marx-Kapitel, das solle er »gründlich« lesen. Louis Ferdinand, in seinen Kreisen schon zuvor der »Rote Prinz« genannt, will »eine Doktorarbeit über Karl Marx schreiben, so begeistert war er«. Der Autor und Seine Königliche Hoheit diskutieren weiter miteinander, und Marcuse konstatiert: »Merken Sie sich diese Stunde. Es ist in der Geschichte Ihrer Dynastie das erste Mal, daß ein Jude einem Hohenzollern-Prinzen Unterricht in Marxismus erteilt.« Ein Vierteljahrhundert später veröffentlicht der Monarch seine Erinnerungen, der Philosoph stellt fest: »Das Wort Marx kommt in dem Buch auch einmal vor; es handelt sich da um den Reichskanzler Marx.« Wen wundert’s, auf den Hochadel ist kein Verlaß. Wandern wir zum Geistesadel. Beispiel: Alfred Polgar. Am Anfang wurde Tucholsky zitiert, zum Ende sein hochgeschätzter Weltbühne-Kollege Polgar in Wien, den Tucho »notre maitre à nous tous«, unser aller Meister nannte – mit solchen Lobesworten warf der Satiriker nicht eben um sich. Hier ein Text von Polgar aus dem Jahr 1922, der aktueller nicht sein könnte: »Die linden Lüfte sind erwacht und ›das Gewölk zerflattert, wie unser Bundeskanzler … geäußert hat. Das Gewölk ist unsere wirtschaftliche Not und die Sonnenstrahlen, die es zerflattern machen, die Kredite. Wir bekamen und bekommen solche von aller Welt, und unser Dalles (aus dem Hebräischen: finanzielle Not, kaputt, tot sein; IZ) kennt sich vor Vergnügen nicht mehr aus. Damit er platze, müsse er anschwellen …, war die therapeutische Idee der Helfer. Jetzt scheint es bald so weit zu sein. Die Technik, dem Nebenmenschen für Leistung oder Ware, die er braucht, das Letzte herauszureißen, hat in Wien höchste Stufe erreicht. Es herrscht, sozusagen, wirtschaftlicher Kannibalismus; die Schiffbrüchigen sind dabei, einander zu schlachten und aufzufressen. Wer an dieser Fortentwicklung der kapitalistischen zur kannibalistischen Ordnung nicht teilnehmen will, fällt, zerreißt ihn nicht der Bruder Mensch, allgemeiner Verachtung anheim.« In dem Zitat wird Marx gar nicht genannt? Er steckt drin.
Erschienen in Ossietzky 21/2009 |
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