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Könnte es damit zusammenhängen, daß sich auch das heutige Deutschland gerade eifrig am Krieg beteiligt, noch dazu in einem Land, das uns nichts, aber auch gar nichts getan hat? Könnte es sein, daß man da sofort einschreiten muß, weil es sich einfach nicht gehört, daß das Theater Anti-Kriegs-Stimmung verbreitet? Ein Stück, das zum Selberdenken anregt – während sich die Konzernmedien alle Mühe geben, uns davon abzuhalten, damit man den Krieg hübsch weiterführen kann –, darf da keine Chance haben. Die Kunst des Dokumentartheaters besteht darin, den historischen Stoff in so eindringliche Bilder zu bannen, daß wir uns über den Theaterabend hinaus mit dem Stoff auseinandersetzen. Hochhuths oft witzige, originelle Szenen haben diese Eindringlichkeit. Beim Blick auf die Vorkriegszeit im Sommer 1914 fallen derart viele Parallelen zu heute ins Auge, daß man nur schaudern kann. Das Weglassen der »19« im Titel erhält von daher eine antizipatorische Bedeutsamkeit. Besonders interessant sind die Hintergrundberater großer Staatsmänner gezeichnet, Kriegstreiber im Auftrag der Waffenindustrie. Kaltherzig konstruieren sie Kriegsgründe, belügen und betrügen das Volk, »opfern« Millionen Menschen – aber für sie ist es kein Opfer, und das »Schicksal«, das sie dann scheinheilig beklagen, dient ihnen nur dazu, die Kriegsgründe auch hinterher zu verheimlichen, selbst hundert Jahre später noch. Denn wenn klar würde, wie der Krieg geplant und vorbereitet worden war, dann würde auch klar, daß er hätte verhindert werden können, und das interessiert die Menschen schon: Es läßt sie an den Herrschenden zweifeln und verringert ihre Bereitschaft zum Massenselbstmord. Das Stück beginnt mit sanfter Klaviermusik, die dem Tod aufspielt, der als Soldat verkleidet verkündet: »Auf jedes Kampflied folgt ein Grabgesang – Geschichte ist, was jedem Volk mißlang – ein Orden gestern, schon morgen der Strang ...« In der ersten Szene erschießt die Adlige aus der Hochfinanz den Journalisten, der sie erpressen will, weil ihr Mann als Börsenmensch gegen den Krieg ist. »Wenn ein Mann die Klasse verrät, der er angehört ...« Der Tod in den Zwischenszenen spricht milde und mahnend. Er tritt in jeder Gestalt auf, als schwangere Frau, als Hungernder, auch mal aristokratisch, meistens arm, aber immer mit klugen, Rat gebenden Worten. Im Namen der vielen Namenlosen klagt er an und zeigt den Krieg als Rechenexempel der Reichen und als Abgrund, in den die kleinen Leute wie Lemminge – nicht stürzen, sondern gestoßen werden. Immer wieder sind es Frauen, die die Gefahren als erste erkennen und warnen: »Kein Krieg geht nach Plan!« Das Stück endet mit Gedichten gegen den Krieg – hochaktuell, berührend, aufrüttelnd. Parallelen drängen sich auf, man begreift: Es gab nicht den ersten und den zweiten, sondern 30 Jahre Weltkrieg, und der Faschismus war ein Teil dieser Geschichte. Alles mag man dem Stück nachsagen, aber nicht Flachheit, nicht Langatmigkeit, nicht Mangel an Lebendigkeit. Alle Szenen steigern sich zu immer größerer Intensität, ich habe mich jedenfalls keine Minute gelangweilt, sondern bin stolz, daß ich mit 35 aufrechten Selberdenkern dieses lehrreiche und aufklärerische Stück sehen konnte. Auch früher sind einmalige Kunstwerke bei ihren Premieren durchgefallen – planmäßig durch Hetze und Rufmord. Hochhuth wird in hundert Jahren volle Häuser einspielen, davon bin ich überzeugt. Denn er erklärt, wie das Volk nicht nur damals, sondern auch heute manipuliert wird, damit es nur stillhält. Wie die Waffenindustrie, die die Wirtschaftskrise auffangen soll, Feind und Freund beliefert und mit dem Tod grauenvolle Geschäfte macht. Wie die Erfinder von Massenvernichtungswaffen sich einreden, sie verkürzten damit den Krieg. Und welche Propagandawirkung mit Attentaten erzielt werden kann: mit dem planmäßigen Mord an Schiffspassagieren damals, an Flugzeugpassagieren heute. Da beginnt im eigenen Kopf unmerklich ein heilsames Brodeln, und da fließen Erkenntnisse ineinander. Man verläßt den Saal mit Wut auf den jetzigen Krieg und mit der Gewißheit: Kriege können verhindert werden. Das wird es wohl sein, was die Konzernpresse zu ihrem haßerfüllten Aufschrei veranlaßt.
Erschienen in Ossietzky 18/2009 |
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