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Sie lassen deutsche Soldaten morden, gestern in Jugoslawien, heute in Afghanistan, den Menschenrechten, dem Völkerrecht und dem Grundgesetz zum Hohn. 70 Prozent der Bevölkerung sind gegen die »Sozialpolitik« unserer demokratisch gewählten Regierungen. Die sitzen das aus. 80 Prozent der Bevölkerung betrachten die Verhältnisse in Deutschland als ungerecht. Unsere demokratisch gewählten Regierungen schert es nicht. Einmal die Mistgabel in der Hand, gebe ich meinem Nachbarn noch eine Forke voll Schiet für den Eigenbedarf mit: »Gefallen dir die Bankenrettung, die Armutsvermehrung, die Rente mit 67, die Rüstungsexporte, die Gesundheitsreform, der Bildungsnotstand, der Schnüffelstaat? Geh mir aus der Sonne! Diese Wahlen sind ein gänzlich demokratiefreier Formalismus, alles Gülle aus derselben Grube! Keine Alternative. Du armer Zettelfalter!« Auch nur so einer, der das wachsende Demokratiedefizit nicht bemerkt. Laut Internet-Ausgabe des Spiegel bewegen den Bundeswahlleiter und selbst viele Abgeordnete von Union und SPD ganz andere Sorgen: daß die Wahl durch Kurznachrichten im Online-Dienst Twitter (»Zwitscherer«) unzulässig beeinflußt werden könnte. Bisher vertrauliche »Exit Polls« könnten vorzeitig publik werden. Gemeint sind die Ergebnisse der von Demoskopie-Unternehmen vor den Toren ausgewählter Wahllokale vorgenommenen Wählerbefragung. Sie sind die Grundlage für Prognosen zum Wahlausgang. Damit wollen die Massenmedien am frühen Wahlabend Pseudospannung und Zuschauerbindung an die Glotze erzeugen, vermiesen unsereinem jedoch nur die Laune. ARD, ZDF und Kommerzielle werden auch am 27. September wieder bis eine Sekunde vor 18 Uhr ihre Zuschauer mit gekünstelter Heimlichtuerei veralbern: Die Prognosen der Demoskopie-Unternehmen zum Wahlausgang werden erst nach Gongschlag 18 Uhr verkündet. Überraschung, Überraschung! Wie Kindergeburtstag. Die Demoskopen liefern den Parteien jedoch schon zwei Stunden vor den ersten Prognosen im Fernsehen die Ergebnisse ihrer »Exit-Polls« und entsprechende Trendberechnungen. »Es wäre der GAU, wenn die Wählerbefragungen vor Schließung der Wahllokale öffentlich bekannt würden«, sagte Bundeswahlleiter Roderich Egeler der Badischen Zeitung. Mit den Vorergebnissen könnten nämlich Unentschlossene mobilisiert werden. Da glaubt einer an Schinkenernte vom Pflaumenbaum. An wahlentscheidende Massen verpennter Zeitgenossen, die um 17 Uhr vom Nachmittagsschläfchen aufschrecken, weil sie per SMS erfahren, daß die SPD in den Keller rauscht. An Leute, die sich deshalb schleunigst sonntäglich gewanden und noch zum Wahllokal stürzen: Rettet die Große Koalition! Kein Vertreter der Politik oder der gleichgeschalteten Massenmedien kam je auf die Idee, einmal empirisch begründet und quantifiziert darzulegen, welche Folgen eine solche wahlsonntägliche Mobilisierung hätte. Man beruft sich simpel auf Paragraph 32 des Wahlgesetzes: »Die Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe (…) ist vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig.« Ausnahmen wie die Weitergabe an Berufspolitiker und Medienleute sieht dieses Gesetz nicht vor. Eine Elite nimmt sich einfach das Recht auf Informationsvorsprung vor dem gemeinen Volk. Welch ein glänzender Beitrag zur Thematik Informationsfreiheit / Demokratisches Bewußtsein / Politische Bildung / Mündiger Bürger (Unterthematik Parteienoligarchie / Bildungsnotstand / Gleichschaltung der Massenmedien / Stimmviehzucht)! Der Angstauslöser: Im Mai hatten einige Mitglieder der Bundesversammlung das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl »vorzeitig« – also noch ehe die Blumensträuße dem Gewählten überreicht werden konnten – im Twitter-Dienst gemeldet. Vergleichbares soll sich bei der Bundestagwahl nicht wiederholen. SPD-Innenexperte Wiefelspütz hält es dem Magazinbericht zufolge für angebracht, über »ein Verbot der Wählerbefragungen nachzudenken«. Er nicht allein: Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin und medienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, forderte, alle »Eingeweihten« auf einen »Kodex des Stillschweigens zu verpflichten«. Wehrhafte Demokraten, im Reichstag sind sie zu besichtigen. Eintritt frei! Twitter hat weltweit rasanten Mitgliederzuwachs. Der Informationsdienst steigerte innerhalb eines Jahres seine Nutzerzahl von rund 500.000 auf acht Millionen. In Deutschland sind allerdings bisher kaum 80.000 Teilnehmer eingetragen. Aber seit bekannt wurde, wie die »grüne« Opposition im Iran via Internet-Twitter mit massenhaften SMS-Nachrichten Einfluß auf die dortige Präsidentenwahl zu nehmen versuchte, scheint unseren Polit-Professionellen das Herz in die Hose gerutscht zu sein. Nun fürchten sie die Verbreitung von unüberprüfbaren Insider-Informationen wie der Laubenpieper die Schnecken im Salatbeet . Aber gesetzt den Fall, daß alles Wiefelspützige gegen Twitter unterbleibt und am 27. September schon nachmittags eine Ergebnis-Prognose verzwitschert wird: Ob dann die Iraner wohl auch »Schiebung« schreien, weil Angela Merkel wiedergewählt wird? Und wird sich Irans Präsident Ahmadinejad an der Kanzlerin revanchieren, eine Überprüfung der bundesdeutschen Wahl durch unabhängige ausländische Instanzen verlangen und mehr Demokratie und Demonstrationsfreiheit auf Deutschlands Straßen fordern? Wird er gar – Obama steh uns bei! – wegen prügelnder Polizisten in Berlin den UN-Sicherheitsrat in New York anrufen? Ach, Nachbarn! Im wirklichen Leben werdet ihr doch nicht nur wahlsonntäglich manipuliert. Sondern ganzjährig, täglich. Wenn Politiker Steuersenkungen versprechen. Oder zur Freiheitsverteidigung am Hindukusch aufrufen. Auch die Medien manipulieren, und das nicht nur mit »Politbarometern« und »Deutschlandtrends«. In Berichten über politische Meinungsumfragen ist ja nicht grundlos vom Einfluß »wahltaktischer Überlegungen« aufs Wahlverhalten die Rede. Ergo: Nicht erst fragwürdige Twitter-»Informationen«, sondern die regelmäßigen Veröffentlichungen von Meinungsumfragen bringen den Bürger davon ab, sich in der Wahlkabine ausschließlich von seiner Überzeugung leiten zu lassen. Den Manipulateuren sind immerhin Grenzen gesetzt. Die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF verlieren seit Jahren Zuschauer, und zwar kräftig, und denen der kommerziellen Programme geht es nicht besser.
Erschienen in Ossietzky 18/2009 |
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