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Bei manchen Banken gehört Beihilfe zur illegalen Steuervermeidung geradezu zum Geschäftsmodell. Dem einen Riegel vorzuschieben, ist völlig gerechtfertigt. Aber in der Bundesrepublik Deutschland wird das ursprünglich gegen die Organisierte Kriminalität gerichtete Instrument der automatisierten Abfrage von Kontostammdaten im Übermaß angewendet. In den Behörden ist das zur Routine geworden, obwohl es eigentlich nur ultima ratio sein dürfte. Das Bundesfinanzministerium mußte kürzlich einräumen, daß im ersten Halbjahr 2009 schon rund 57.000 Kontenabrufe registriert wurden. Häufig wurden auf diese Weise die finanziellen Verhältnisse von Hartz-IV-, Wohngeld- und Bafög-Beziehern überprüft. Das verstößt offenkundig gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Doch das Bundessozialgericht in Kassel hat diese Praxis leider gebilligt. Damit werden sozial Benachteiligte wie Kriminelle behandelt, faktisch wird Armut auf eine Stufe gestellt mit Organisierter Kriminalität. Ein Instrument, das die Kumpanei von Banken und Steuerbetrügern erschweren sollte, wendet sich jetzt gegen die Ärmsten der Gesellschaft – eine absurde, vielleicht aber auch gewollte Umkehrung des ursprünglich behaupteten Zweckes der Kontoüberprüfungen! Eine neue, noch umfangreichere Bedrohung der Privatsphäre ergibt sich aus den Verhandlungen der Europäischen Union (EU) mit den USA über »Swift« (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication). Das ist eine internationale Bankenverbindung, über deren Telekommunikationsnetz täglich mehr als elf Millionen Geldtransaktionen von über 8000 Geldinstituten in mehr als 200 Ländern laufen. CIA und FBI verlangten von Swift nach dem 11. September 2001 Einblick in die Transaktionen. Swift erfüllte diese Forderung trotz fehlender Rechtsgrundlage. Schätzungsweise wurden jährlich 20 Millionen Bankdaten an die US-Sicherheitsbehörden weitergegeben, ehe dieses rechtsgrundlose Verhalten 2006 öffentlich wurde. Swift behauptete, keine andere Wahl gehabt zu haben, als die gewünschten Daten den US-Behörden auszuhändigen. Die öffentliche Entrüstung darüber machte den Banken klar, daß sie das Vertrauen ihrer Kunden riskierten. Daher beschlossen sie, den Hauptserver von Swift aus den USA in die Schweiz zu verlegen, um sich dem Zugriff der amerikanischen Fahnder zu entziehen. Damit wollten sich aber die Amerikaner nicht abfinden, und es geschah das Übliche: Die USA fordern und die Europäer folgen. Die Regierungen der EU-Staaten erteilten der schwedischen Regierung den Auftrag, ein zeitlich begrenztes Abkommen auszuhandeln (Schweden hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne). Die nationalen Parlamente werden an den Verhandlungen nicht beteiligt. Selbst das EU-Parlament soll erst einbezogen werden, wenn der Lissabonner Vertrag in Kraft tritt, also frühestens im kommenden Jahr. Die Verhandlungen hierüber, denen die Außenminister der Europäischen Union trotz des massiven Protestes von Parlamentariern und Datenschützern am 27. Juli zugestimmt haben, dienen aller Erfahrung nach nur als Feigenblatt. Die Amerikaner kommen mit dem Totschlagargument »Terrorismusabwehr« und nehmen sich, was sie wollen, oder die Europäer liefern ihnen die Daten freiwillig. Daß EU-Justizkommissar Jacques Barrot nun fordert, im Gegenzug müsse die EU Zugriff auf US-Bankdaten erhalten, dürfte eine Luftnummer bleiben; angesichts der öffentlichen Empörung in den EU-Staaten will Barrot wohl so etwas wie Selbstbewußtsein und Tapferkeit demonstrieren; aber daß er sich gegenüber den USA durchsetzt, ist unwahrscheinlich. Verhandlungen nützen immer dann nicht viel, wenn der eine Partner das Sagen hat und der andere von vorn herein bereit ist, alles zuzugestehen. So kam beispielsweise das Abkommen über die Weitergabe von Fluggastdaten an die USA zustande. Die Amerikaner verlangten eine Fülle von Informationen über Touristen und Geschäftsreisende bis hin zu deren Eßgewohnheiten. Selbst als der Europäische Gerichtshof das Abkommen aus formalen Gründen aufhob, nutzte die EU die Chance nicht, eine bürgerrechtsfreundlichere Vereinbarung mit den USA auszuhandeln. Der Widerstand innerhalb der EU hatte nicht die Kraft, eigene Datenschutzstandards gegenüber den USA durchzusetzen. Ähnlich verliefen die Gespräche von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) mit dem berüchtigten US-Heimatschutzministerium über den Datenaustausch zur Terrorbekämpfung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund empörte sich zu Recht darüber, daß Schäuble und Zypries sogar gestatteten, Informationen über die Gewerkschaftsmitgliedschaft zu übermitteln. Auch Erkenntnisse über das Sexualleben dürfen weitergegeben werden. Vergleichbare Willfährigkeit trat im BND-Untersuchungsausschuß zu Tage. Dort sagte August Hanning, Staatssekretär im Innenministerium, über die Zusammenarbeit mit den Amerikanern: »Nach dem 11. September haben wir einen intensiven Informationsaustausch gepflegt. Wir sind Bedrohungsszenarien durchgegangen, wir haben Personenerkenntnisse ausgetauscht, die aus Sicht der Vereinigten Staaten eine Bedrohung für ihre Sicherheit oder für ihre Einrichtungen hier darstellten…. Es gab damals einen engen und intensiven Informationsaustausch mit den Vereinigten Staaten.« Nach dem 11.9.2001 gehörten einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Bundeskriminalamt (»BAO USA«) in Hamburg zeitweilig bis zu 15 Verbindungsbeamte des FBI an. Die FBI-Agenten hatten ungehinderten Zugang zu allen Informationen. Die deutschen Beamten waren grundsätzlich angewiesen, den FBI-Leuten Unterlagen nicht vorzuenthalten. Das BKA-Gesetz enthält jedoch Vorgaben, wie bei der Weitergabe von Informationen zu verfahren ist. Der Empfänger der Daten muß darauf hingewiesen werden, daß er sie nur zu dem Zweck nutzen darf, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Die Übermittlung personenbezogener Daten ist verboten, wenn dadurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden, vor allem wenn im Empfängerland kein angemessener Datenschutz gewährleistet ist. Gegen diese Regelungen wurde in der »BAO USA« massiv verstoßen. Auf einer Reise nach Marokko verschwand der in Hamburg lebende Deutsch-Syrer Mohammed Zammar spurlos, vermutlich entführt durch die CIA. Die Amerikaner hatten zuvor Informationen von den deutschen Behörden über ihn und seine Reisepläne erhalten. Zammar landete in einem syrischen Foltergefängnis, wo er noch heute inhaftiert ist. Die Regierung Schröder/Fischer handelte nach dem 11. September 2001 nach der Devise, es sei besser, die USA an allen Informationen teilhaben zu lassen, dann sei man später nicht schuld an etwaigen neuen Terroranschlägen. Datenschutz erschien demgegenüber drittrangig. Dieselbe Grundhaltung prägt auch das Vorgehen der jetzigen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD sowie das der EU beim Thema Swift. Die Probleme sind die gleichen: Der hiesige Datenschutzstandard ist in den USA nicht gewährleistet, die Daten werden möglicherweise zu anderen Zwecken als zur Terrorismusbekämpfung verwendet, der Rechtsschutz reicht nicht aus. Dennoch ist die EU, um es ja nicht an Zusammenarbeit mit den USA fehlen zu lassen, erneut bereit, den Wünschen der Amerikaner nach Einblick in sogenannte sensible Daten nachzugeben. Der europäische Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx sieht in den massiven Eingriffen in die Privatsphäre der Europäer »bedeutende Ausnahmen vom europäischen Datenschutz«. In einem Brief an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso warnte Hustinx vor einer »Beschränkung der Souveränität« der EU. Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert hält das geplante Abkommen für grundgesetzwidrig. Umstritten sei in Deutschland schon die sogenannte Vorratsdatenspeicherung, bei der die Telefon- und Handyverbindungsdaten zwar gespeichert, aber nur im Fall von strafrechtlichen Ermittlungen abgerufen werden dürfen. Die Bankdaten aber würden, wenn die EU wiederum den Wünschen der USA folge, komplett übermittelt werden. Dies gehe zu weit, zumal im Ausland für Betroffene kaum Rechtsschutz zu erlangen sei. Ähnlich äußerte sich der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar: Für den Zugriff von US-Sicherheitsbehörden auf EU-Finanzdaten gebe es »keinerlei rechtlichen Ansatzpunkt«, sagte er im Berliner Tagesspiegel vom 26. Juli. Diese Bedenken treffen voll und ganz zu. Die Übermittlung europäischer Bankdaten an die USA ohne konkreten Verdacht gegen Betroffene wäre datenschutzrechtlich ein Absturz ins Bodenlose. Schon daß die Verhandlungen ohne Parlamentsbeteiligung in Gang gesetzt wurden, ist nicht akzeptabel. Die EU-Außenminister haben es offenbar besonders eilig, das Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, bevor das Europäische Parlament sich damit befassen kann. Und auch der Bundestag ist über dieses Vorhaben nicht informiert worden, obwohl das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 eine stärkere Parlamentsbeteiligung in EU-Angelegenheiten ausdrücklich verlangt. Nach diesem Richterspruch hätte sich die Bundesregierung dem Ansinnen der EU nach einem Verhandlungsmandat erst einmal widersetzen müssen. Sie hätte ihrerseits eine Entscheidung des Bundestags über das Ob und das Wie eines solchen Abkommens der EU mit den USA herbeiführen müssen. Sie handelte also in der Außenministerkonferenz als Vertreterin ohne Vertretungsmacht. Da nun aber weder der Bundestag noch das Europäische Parlament mit der Weitergabe der Bankdaten europäischer Bürgerinnen und Bürger befaßt worden sind, hat sich diese Affäre zu einem Lehrstück entwickelt, an dem sich die verfassungswidrige EU-Architektur studieren läßt. Die EU erteilt sich selbst das Mandat für den Datenschutz, da der angeblich Sache des Gemeinsamen Marktes sei. Das Parlament wird jedoch nicht damit befaßt, da Datenschutz nicht in den Kompetenzbereich der EU falle. Winkeladvokatentum! Daran wird deutlich, wie notwendig es war, daß die Linkspartei und andere in Karlsruhe gegen den Vertrag von Lissabon geklagt haben. Ein Dienst an der Demokratie! Nun gilt es, das Urteil zur Geltung zu bringen.
Erschienen in Ossietzky 17/2009 |
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