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Zu diesem Zweck soll nach dem Willen der Neoliberalen möglichst alles privatisiert und allein den Gesetzen des freien Marktes überlassen werden. Im Wettbewerb soll sich allemal der Stärkere durchsetzen können. Ein zu Gunsten der Schwachen umverteilender Sozialstaat, den die vermögenden Schichten noch nie wollten, weil sie ihn für sich selbst nicht brauchen, würde aus ihrer Sicht nur das freie Spiel der Marktkräfte stören. Die Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Zinsen, Mieten/Pachten und Gewinnen), die unter dem neoliberalen Regime in den einzelnen Volkswirtschaften in unterschiedlichem Maße vollzogen wurde, sowie die Teilprivatisierung der Alterssicherungssysteme haben immer mehr Überschußkapital (Liquidität) auf die von staatlichen Kontrollen weitgehend befreiten Kapitalmärkte gespült. Zu der ökonomisch und sozial kontraproduktiven Umverteilung hat auch die staatliche Entlastung der Reichen von Steuern und Sozialabgaben beigetragen. Die Bezieher von Arbeitseinkommen waren bei rückläufigen Brutto- und Nettolohnquoten – vor allem in Deutschland – nicht mehr in der Lage, die Konsumgüter nachzufragen, die mit immer geringerem Arbeitsaufwand hergestellt werden. Und die Bezieher der Besitzeinkommen investierten infolge rückläufiger Nachfrage, also fehlender Absatzaussichten ihre Überschüsse mehr in Finanzvermögen als in Maschinen und Produktionsgebäude. Auch die Staaten führten ihre konsumtive und investive Nachfrage zurück. Hierdurch fiel in der produzierenden Wirtschaft noch mehr Nachfrage aus, es kam zu einer tendenziellen Wachstumsschwäche und zu höherer Arbeitslosigkeit, die noch mehr Nachfrageausfall bewirkte. Ein Teufelskreis. Auf der anderen Seite entstand in der Finanzwirtschaft ein enormer Druck auf das dort tätige Management, die durch Umverteilung angehäuften Überschüsse mit hohen Renditen zu verwerten. Betrug das weltweite Finanzvermögen 1980 noch zwölf Billionen US-Dollar, so erreichte es 2007 rund 196 Billionen US-Dollar. Das entspricht in 27 Jahren einer Steigerung von weit über 1.500 Prozent. Das weltweite Bruttosozialprodukt konnte da nicht mithalten. Im selben Zeitraum legte es nur um 450 Prozent zu. An diesen Zahlen wird bereits deutlich, daß es dem Finanzvermögen zunehmend an Anlagemöglichkeiten in der produzierenden Wirtschaft fehlte. Eine mögliche Kompensation bot die Staatsverschuldung, namentlich in Deutschland seit der Vereinigung. Von 1991 bis 2008 stieg die Vermögensbildung der privaten Haushalte um fast 1.700 Milliarden Euro, gleichzeitig nahm die Staatsverschuldung um 820 Milliarden Euro zu. Auf der einen Seite also ein enormer Reichtumszuwachs, auf der anderen Seite öffentliche Armut. Was die Reichen nicht an nochmals gesenkten Steuern und Abgaben zahlen mußten, gaben sie gern als Kredit dem »guten Schuldner« Staat zurück. So profitierten sie zweimal: zum einen durch niedrigere Steuern und Abgaben, zum anderen durch sicher verzinste Kredite. Trotz Staatsverschuldung als Ventil suchte das Kapital immer hektischer nach Anlagemöglichkeiten. Dadurch entstand quasi ein »neuer Wirtschaftszweig«: die Finanzinvestoren (Investmentbanker) und Fondmanager. Ihre Zeit war spätestens gekommen, als sich so viel Geldkapital (Überschußliquidität) bei privaten Haushalten und Unternehmen angesammelt hatte, daß investitionswillige Unternehmen oder größere Anschaffungen planende private Haushalte es nicht mehr durch Aufnahme von Krediten abschöpfen konnten. Die Finanzinvestoren und auch die Banken mußten jetzt zwecks Verwertung der von den Reichen gehaltenen Vermögensbestände erfinderisch (»innovativ«) werden. So gingen sie zum Handel mit Geld als Ware in einem von der Politik entfesselten (deregulierten) Finanzmarktsystem über, das sich zunehmend von der real produzierenden Wirtschaft abkoppelte. In diesem »neuen Regime« interessierte an der klassischen Aktie nicht mehr vorrangig ihre realwirtschaftlich erzielbare Dividende, sondern mehr die Kursentwicklung infolge ständigen Kaufs und Verkaufs. Die Spekulation an den internationalen Börsenplätzen verschärfte sich. Dazu trug auch der Handel mit Finanzderivaten bei, deren Kurs (Preis) vom Preis anderer Produkte abhängig ist. Hier wird auf steigende oder fallende Kurse von Aktien, Wertpapieren und auch auf Preise realwirtschaftlicher Produkte, zum Beispiel Rohstoffe, wie im Casino gewettet und gezockt. Diese insgesamt unheilvolle Entwicklung wird noch verstärkt, wenn Manager und Banker der Finanzwirtschaft durch Bonuszahlungen an den riskanten kurzfristigen Spekulationen verdienen. Daneben wurden im Bankenapparat verhängnisvolle »Finanzprodukte« entwickelt, die, wie wir heute wissen, »toxisch« wirken. Je größer nämlich der Anlagedruck für die Finanzinvestoren wurde, desto »schlechtere Schuldner« mußten für immer neu erfundene Anlageformen beziehungsweise »Finanzprodukte« akzeptiert werden. Der ökonomische Tatbestand, dass der Saldo aus Vermögen und Schulden in einer Volkswirtschaft immer gleich Null ist, läßt sich eben nicht außer Kraft setzen: Der Vermögende muß einen Schuldner finden, der ihm für sein verliehenes Geld nicht nur Zinsen zahlt, sondern der auch so solvent ist, um ihm das ausgeliehene Geld zurückzuzahlen. Wenn sich aber durch Umverteilung von unten nach oben immer mehr Vermögen häuft, müssen die Vermögenden auch Schuldner ohne Sicherheiten, eben »schlechte Schuldner«, akzeptieren. Hierzu war man in den USA nach dem Zusammenbruch der »New Economy« im Jahr 2000 offensichtlich bereit. Es waren die »Subprime«-Kredite an den dortigen Immobilienmärkten, die nach kurzer Zeit die Finanz- und Bankenkrise und dann die Weltwirtschaftskrise auslösten. Wohl gemerkt auslösten, nicht verursachten. »Drittklassige«, quasi nicht solvente, Schuldner konnten hier ohne jegliches Eigenkapital verbilligte Kredite erhalten und Immobilien nachfragen. Die Niedrigzins-Politik der US-Notenbank – der Leitzins lag im Jahr 2004 bei nur einem Prozent – schaffte einen hohen Anreiz, das billige Geld für Finanzinvestitionen zur Steigerung der Eigenkapitalrenditen einzusetzen. Ist der Fremdkapitalzins nämlich kleiner als die Gesamtkapitalrendite (Gewinn plus Fremdkapitalzinsen bezogen auf das Eigen- und Fremdkapital), so erhöht sich bei steigendem Verschuldungsgrad die Eigenkapitalrendite (»Leverage-Effekt«). Solange die Nachfrage nach Häusern stieg, stieg auch deren Preis beziehungsweise Wert. Die Welt war hier noch in Ordnung. Schließlich entstand aber eine immer größere Bewertungsblase, die platzen mußte, als Anleger an den scheinbar unaufhaltsam steigenden Immobilienpreisen zu zweifeln begannen und ihre Kapitalanlagen abzogen. Die Preise (Werte) der Häuser verfielen und deckten nicht mehr die aufgenommen Schulden, die neben den Zinsen zurückzuzahlen waren; viele »drittklassige« Schuldner waren unter diesen Umständen nicht mehr zum Schuldendienst in der Lage. Die Banken und Finanzinvestoren wußten genau, daß die vergebenen Kredite hoch risikobeladen waren. Daher diversifizierten sie auch ihr Risiko, indem sie die »faulen« Kredite mit »guten« Krediten mischten und zu handelbaren Wertpapieren »verbrieften«, die weltweit von anderen Banken und Anlegern gekauft wurden und heute als »toxische« Papiere in den Bankbilanzen wieder auftauchen. Sie begründen einen hohen Abschreibungsbedarf und damit Verluste, die das Eigenkapital der Banken stark vermindern und womöglich zur Insolvenz führen. Davon betroffen sind in Deutschland vor allem die staatlichen Landesbanken, die offenbar besonders auf solche »toxischen« Papiere hereingefallen sind. Damit die Bankmanager in Deutschland aber ihr Versagen aus den Bilanzen entfernen können, dürfen sie seit Juli 2009 ihre »toxischen Papiere« in eine »Bad Bank«, für die der Staat haftet, auslagern. Die regierenden Politiker erhoffen sich davon, daß die Banken auf Grund eines dann nicht abgeschmolzenen Eigenkapitals wieder vermehrt neue Kredite vergeben können. Für mögliche Verluste der in die »Bad Bank« ausgelagerten »toxischen« Papiere haftet die »Good Bank«, vorausgesetzt sie erzielt Gewinne. Fährt sie jedoch Verluste ein oder wird gar insolvent, sind die Steuerzahler gekniffen. Die weltweit in der Finanzwirtschaft aufgetretenen Verluste haben Geld- und Kapitalanleger sehr mißtrauisch gemacht. Zeitweilig drohte sogar eine ökonomische »Kernschmelze«, als Anfang September 2008 die großen US-amerikanischen Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae in Zahlungsschwierigkeiten gerieten; sie hielten Hypothekendarlehen im Umfang von fast fünf Billionen US-Dollar. Auch in Deutschland mußte im September 2008 die Hypo Real Estate (HRE) mit rund 100 Milliarden Euro Steuergeldern vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Inzwischen ist die HRE verstaatlicht. Um die Kreditwirtschaft nicht mit verhängnisvollen Kettenreaktionen abstürzen zu lassen, waren weltweit milliardenschwere staatliche Stützungsmaßnahmen und Bankenverstaatlichungen erforderlich. Ebenso mußten staatliche schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme zur Stützung der Realwirtschaft aufgelegt werden. Hier stellt sich die Frage, wer am Ende in den einzelnen Volkswirtschaften dafür zur Kasse gebeten wird. Die Arbeitnehmer werden jetzt schon durch Kurzarbeit und eine zunehmende Arbeitslosigkeit belastet. Auch das Kapital hat beträchtliche Vermögenswerte verloren, mehr und mehr Unternehmen werden insolvent werden. Was die Politik bisher eingeleitet hat, vor allem zur Kontrolle der internationalen Finanzmärkte und Banken, ist keine ursachenbezogene Krisenbekämpfung, sondern allenfalls ein Kurieren an Symptomen. Wen wundert da noch die Rückkehr der Spekulanten. Die großen US-Investmentbanken – die nur dank gigantischer Staatshilfen überleben konnten – verteilen bereits wieder üppige Gehälter und Bonuszahlungen an ihre Manager. Auch die Deutsche Bank hat sich auf der Gewinnerstraße zurückgemeldet. 84 Prozent ihres Gewinns von über 1,2 Milliarden Euro im ersten Quartal 2009 erwirtschaftete sie erneut mit riskantem Investmentbanking. Nur mickrige zwei Prozent kommen aus dem Privat- und Firmenkundengeschäft. Man glaubt es nicht, aber die Auslöser der Krise profitieren von der Krise. Die Staaten haben einen hohen Finanzbedarf, und auch Unternehmensanleihen sind für die Investmentbanken ein gutes Geschäft. Auch die neoliberale Ideologie taucht wieder auf und mit ihr die sattsam bekannten Forderungen nach Lohnsenkungen und einer Beschneidung des Sozialstaates. Die Umverteilung von unten nach oben soll munter weitergehen. So bleibt als Fazit nur die erschreckende Feststellung: Immer noch nichts begriffen. Die nächste Krise ist vorprogrammiert. Ob wir dann allerdings noch einmal so gerade die Kurve kriegen wie bei der jetzigen Krise, dürfte unwahrscheinlich sein.
Erschienen in Ossietzky 17/2009 |
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