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Ihr Kandidat für das Kanzleramt, Frank Walter Steinmeier, will in den nächsten zehn Jahren vier Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, davon zwei Millionen in der Industrie; ökologische und energiesparende Innovationen sollen dazu beitragen, Mittel- und Kleinbetriebe sollen Steuervergünstigungen erhalten und leichter an Kredite kommen. 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze sollen im Gesundheits- und Bildungswesen entstehen, eine weitere halbe Million im Handel und im Dienstleistungssektor. Gegenwärtig sind 3,5 Millionen Arbeitslose amtlich registriert – mit steigender Tendenz. Steinmeier verspricht demnach ein Programm für Vollbeschäftigung. Alle, die in den zurückliegenden Jahren nur ein bis zwei Millionen zusätzliche öffentlich finanzierte Arbeitsplätze gefordert hatten wie die Memorandumgruppe oder Die Linke oder jüngst die Grünen, auch wir hier in Ossietzky (zuletzt in Heft 7/09), waren da wohl viel zu kleinmütig. Vergessen wir jetzt mal die vielen Manipulationen an der Arbeitslosenstatistik, die mehr als die Hälfte der Arbeitsuchenden und von Unterstützung Abhängenden nicht mehr erfaßt. Wir möchten uns nur noch freuen: Vier Millionen Menschen zusätzlich in hoffentlich sinnvoller und ordentlich entlohnter Beschäftigung! Da würde es sich schon lohnen, Ende September diese offenbar als Arbeiterpartei wiederauferstandene SPD zu wählen! Oder sollten wir uns etwa daran erinnern, daß schon Steinmeiers Vorgänger Gerhard Schröder 1998 unter dem Motto »Arbeit! Arbeit! Arbeit!« eine massive Senkung der Arbeitslosenzahl versprochen hatte, aber schließlich statt der 4,2 Millionen, die am Ende der Kohl-Zeit regstriert waren, bei seinem Abgang – trotz aller Schönheitsreparaturen an der Statistik – knapp fünf Millionen Arbeitslose zugeben mußte? Wenn uns dann noch einfällt, daß Steinmeier unter Schröder das Kanzleramt geleitet und in dieser Funktion auch die Weichen für die berüchtigte Agenda 2010 und die Hartz-IV-Verelendungsgesetze ausgearbeitet hat, könnten wir schon wieder mißtrauisch werden. Sollte da jemand eine »Agenda 2020« planen? Aber nein, Steinmeier will von »Agenda« nichts mehr hören, und warum soll er nicht aus Fehlern gelernt haben? Er ringe um Glaubwürdigkeit, bescheinigen ihm seine Image-Agenten Er sagt, er möchte sein Vorhaben nicht »Versprechen« nennen, Vollbeschäftigung sei ein »hehres Ziel« und sein »Wille«. Das ist klug, denn so kommt er gar nicht in Gefahr, ein Versprechen zu brechen (und das sogar zugeben zu müssen), wenn er es nicht gegeben hat. Leichter fällt es, dann zu sagen, trotz guten Willens habe man das selbstgesteckte Ziel vielleicht doch noch nicht erreichen können … Steinmeier fügte hinzu: »Meine Vision ist die Arbeit von morgen …« Da wäre uns beinahe der häßliche Ausspruch von Helmut Schmidt wieder eingefallen: »Wer Visionen hat, braucht einen Psychiater.« Aber wir wollen uns ja nicht in unserem Zutrauen beirren lassen. Erst wenn wir aus Steinmeiers Vollbeschäftigungsprogramm erfahren, wie er es ausgestalten will, befällt uns Skepsis: »Ich setze weiter auf die Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke der deutschen Industrie«, »Deutschlands große Stärke bleibt die industrielle Produktion«, »Das Credo: Mehr aus weniger schaffen. Kosteneffizienz, Klimaschutz und nachhaltiges Wachstum zugleich … Mit mehr Energie- und Rohstoffeffizienz erneuern wir die Wirtschaft und werden zum Ausrüster der Welt mit neuen Produkten.« Hier erweist sich die »Vision« als gefährlicher Irrglaube. Leider haben Steinmeier und seine Berater wohl doch nichts gelernt. Die sich weiter ausbreitende Weltwirtschaftskrise hat ihnen nicht die Augen geöffnet für die globale kapitalistische Realität, sie setzen weiter auf »Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke der deutschen Industrie«, genau wie die Vorgänger-Regierungen. Als ob sie nicht wüßten, daß die BRD schon langjähriger Exportweltmeister war und mit jährlichen Exportüberschüssen von mehr als 100 Milliarden Euro sowohl die USA wie vor allen die Nachbarn in der EU niederkonkurriert hat. Die Nachbarn im Osten, in imperialistischer Manier »erschlossen«, müßten heute allesamt den Staatsbankrott ausrufen, wenn die EU-Zentrale in Brüssel und der IWF ihnen nicht immer höhere Kredite bewilligt hätten, verbunden mit Auflagen zu weiteren radikalen Kürzungen an den Sozialleistungen. Nicht viel besser ergeht es Frankreich, Belgien, Italien, Spanien, die infolge der deutschen Billigkonkurrenz ebenfalls riesige Defizite in ihren Handelsbilanzen aufweisen. Die deutschen Regierungen förderten den zweifelhaften Erfolg der deutschen Exportindustrie durch Senkung der Kapital- und Unternehmenssteuern ebenso wie durch Minimierung der Sozialabgaben. Die Drohung mit dem Abstieg in Hartz IV ließ dann die Gewerkschaften zahm werden, statt Lohnerhöhungen akzeptierten sie Senkungen des Reallohns und Verlängerungen der Arbeitszeit ohne entsprechend mehr Lohn. Deutsche Dumpinglöhne und die Teildemontage des Sozialstaates waren und sind die Ursache für die »Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie«, auf die der Kandidat Steinmeier weiterbauen möchte. Und obwohl Kritiker aus dem Unternehmerlager zu Recht anmerken, daß bisher nur vage Aussagen vorlägen, gibt es doch Hinweise, wie das alles finanziert werden soll, nämlich mit höherer Staatsverschuldung und weiteren Steuererleichterungen für die Unternehmer, und das bedeutet nichts anderes, als daß schließlich immer wieder die von Lohn- und Sozialeinkommen abhängige Bevölkerung dafür aufkommen soll. Aufschlußreich ist zudem, daß die großzügige Ankündigung, auch im Gesundheits- und Bildungsbereich anderthalb Millionen Stellen zu schaffen, kaum konkretisiert wird. So steht zu befürchten, daß dort nur weitere sogenannte Flexibilisierung mit Billigjobs und Teilzeitkräften geplant wird, die heute schon den Personalabbau in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Schulen angeblich mildert, tatsächlich aber nur verschleiert. Zu erinnern wäre an den Skandal, daß die Regierungen in den letzten 15 Jahren mehr als zwei Millionen Stellen im Öffentlichen Dienst ersatzlos gestrichen haben. Gerade für diesen Bereich ist aber der rechnerische Nachweis mehrfach geführt worden, daß die Finanzierung von ein oder auch zwei Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen, tariflich entlohnt, mit wenigen Milliarden Euro Nettokosten für die staatlichen Kassen zu organisieren wäre, wenn man denn wollte. Ganz abgesehen von der Notwendigkeit, die Arbeitszeit drastisch zu senken (Vier-Tage-Woche, Sieben-Stunden-Tag), wovon die Unternehmer nichts hören wollen, so daß die ihnen freundlich ergebenen Politiker auch gar nicht mehr davon sprechen. Schade, die SPD und ihr Kandidat haben aus der weiter um sich greifenden Krise des kapitalistischen Systems bisher doch nichts gelernt. Sie wollen weitermachen wie bisher. Nicht einmal in ihren »Visionen« kann die SPD eine bessere, andere Welt aufscheinen lassen. Auch der von Helmut Schmidt empfohlene Besuch beim Psychiater würde den Parteimanagern nicht helfen.
Erschienen in Ossietzky 16/2009 |
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