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Die politisch Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft müssen jetzt erst einmal den Gedanken zulassen, daß es in der Türkei ein solches Problem gibt, das jahrzehntelang geleugnet worden ist. Und das so lange ungelöst bleibt und Zündstoff liefert, solange den Kurdinnen und Kurden kulturelle, soziale, wirtschaftliche und politische Rechte vorenthalten werden, solange sie systematisch diskriminiert, kriminalisiert und ausgegrenzt werden, solange sie nicht gleichberechtigt sind. Bei aller Widersprüchlichkeit der Entwicklung in der Türkei stehen die aktuellen Zeichen auf Lösung. Sowohl kurdische Organisationen und Parteien als auch Staatspräsident Abdullah Gül und Ministerpräsident Tayyip Erdogan sprechen von »kurdischer Öffnung« und »historischer Gelegenheit«. Selbst Innenminister Besir Atatalay wagt sich inzwischen aus der Deckung: Der Kurdenkonflikt müsse »endlich gelöst werden«, verkündet er, und dazu gehöre »mehr Demokratie, mehr Freiheit«. Der Wettlauf um die Meinungsführerschaft hat begonnen: Der ehemalige Vorsitzende der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, der seit zehn Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali in Einzelhaft gefangen gehalten wird, hat für Mitte August einen konkreten Friedensplan zur Lösung des Kurdenkonflikts angekündigt – exakt 25 Jahre nach Beginn des bewaffneten Kampfes. Dem Vorstoß aus Imrali möchte die türkische Regierung, solchermaßen unter Zugzwang gesetzt, mit einem eigenen Plan zuvorkommen, den sie vor kurzem angekündigt hat. Das sind ungewöhnlich starke Signale, die auf eine friedliche Lösung hindeuten. Bei der Beurteilung der gegenwärtigen Lage spielen auch politische und ideologische Veränderungen eine Rolle, die den Lösungsprozeß offenbar befördern. Dazu gehören die kurdische Autonomie in Nordirak mit ihrer politischen Stabilität und wirtschaftlichen Entwicklung sowie die Tatsache, daß sowohl der Irak als auch die Türkei künftig eine größere Rolle bei der Energieversorgung Europas spielen wollen (Stichwort: »Nabucco«-Gaspipeline). Dafür ist ein Ende der kriegerischen Konflikte und eine stabile geopolitische Lage geradezu Voraussetzung. Und manche Kurden im Nordirak denken inzwischen angesichts des möglichen Zerfalls des Irak über eine politische Union mit der Türkei nach – allerdings mit einer unabhängigen Verwaltung und mit eigenen Ölquellen und Erdgas als Mitgift. Noch ist nicht klar, wie eine demokratisch herbeizuführende stabile und gerechte Lösung der Kurdischen Frage aussehen könnte. Das bislang ersichtliche Konzept der türkischen Regierung enthält wichtige und überfällige Schritte: Zulassung privater kurdischer Fernsehsender, Einrichtung von Lehrstühlen für kurdische Sprache und Literatur, Legalisierung kurdischer Ortsnamen, Wirtschaftsförderung sowie Amnestierung und gesellschaftliche Reintegration von PKK-Kämpfern. Es sind Schritte, die vor einiger Zeit noch kaum jemand in der offiziellen Türkei zu nennen wagte. Aber auch diese Schritte greifen noch zu kurz: Denn zu den unabdingbaren Voraussetzungen gehören ein Ende aller militärischen Operationen, ein Ende der Kriminalisierung von Kurden und ihrer Organisationen sowie die Auflösung und Entwaffnung des staatlich aufgestellten und aufgerüsteten Dorfschützersystems im kurdischen Südosten der Türkei, das zuletzt nach dem Hochzeitsmassaker im Mai 2009 in die öffentliche Kritik geraten ist. Alle am Kurdenkonflikt Beteiligten müßten nach den kriegerischen Auseinandersetzungen der vergangenen 25 Jahre – mit weit über 35.000 Toten – endlich erkennen, daß dieses Problem nicht militärisch zu lösen ist und daß militärische Operationen die Lage weiter eskalieren lassen – sie sind Gift für alle aktuellen Versuche, den Dialog ernsthaft zu führen und in künftigen Verhandlungen greifbare Erfolge zu erzielen. Das gilt besonders für die völkerrechtswidrigen Bombardements im Norden Iraks und für Attentate auf Zivilisten. Im Zuge des überfälligen Dialog- und Verhandlungsprozesses werden sich auch die noch kämpfenden Teile der verbotenen PKK umorientieren und letztlich auflösen müssen. Das heißt: Auch diese Seite muß erkennen, daß das Problem am Ende nicht militärisch zu lösen sein wird. Hierfür gibt es inzwischen gute Ansätze: Noch nie hat die PKK so deutliche Signale ausgesendet wie kürzlich der amtierende Parteivorsitzende Murat Karayilan, der ankündigte, künftig die Waffen niederzulegen und auf keinen Fall die Türkei spalten zu wollen. Um einen gangbaren Weg zu beschreiten, bedarf es allerdings – außer dem Niederlegen der Waffen unter UN-Kontrolle – auch einer gemeinsamen Strategie aller wichtigen kurdischen Strömungen. Die neueren Signale von Seiten der PKK deuten immerhin auf eine umfassende Versöhnungsstrategie hin, auf eine Abkehr von der separatistischen Forderung nach einem eigenen kurdischen Staat und auf eine Lösung innerhalb der türkischen Grenzen mit einer relativ starken demokratischen Autonomie im Südosten der Türkei. Darüber hinaus sind wesentliche Bedingungen für eine Friedenslösung in der Türkei ein tragfähiges Amnestie-Angebot für die direkt und indirekt Beteiligten an den kriegerischen Auseinandersetzungen, Wiedereingliederungshilfen für (ehemalige) PKK-Kämpfer sowie die Entlassung und Rehabilitierung politischer Gefangener, die wegen ihrer politischen Betätigung, ihrer Gesinnung und Meinungsäußerungen inhaftiert worden sind. Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen in rechtsstaatlichen Verfahren geahndet werden, und zwar ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit der mutmaßlichen Täter. Der aktuelle Prozeß gegen das verschwörerisch-nationalistische »Ergenekon«-Terrornetzwerk, in das auch hohe Ex-Generale der Armee verstrickt waren, ist ein wichtiger Anfang und zeigt, das sich das Land grundlegend ändert. Zu denken wäre aber auch an die Einrichtung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission nach dem Vorbild Südafrikas, um die Beteiligten zu einer historischen und ethischen Auseinandersetzung mit dem türkisch-kurdischen Konflikt und seinen Folgen zu zwingen, sowie an die juristische Aufarbeitung der von beiden Seiten begangenen Verbrechen. Dazu gehört auch die Aufklärung aller extralegalen Akte des »Verschwindenlassens« und Tötens von Menschen – eine dunkle Geschichte der Türkei, die bis heute kein Ende gefunden hat, wie die letzten Tötungsfälle zeigen. Tatsächlich ist zu beobachten, daß sich in der Türkei seit geraumer Zeit gesellschaftliche Blockaden lösen und neue Wege eröffnen und daß dabei auch Tabus gebrochen werden. Zu diesem höchst widersprüchlich verlaufenden Modernisierungsprozeß hat mit Sicherheit auch der in Aussicht gestellte EU-Beitritt beigetragen. Die Kurdische Frage, überhaupt die Minderheitenfrage sowie die Menschenrechtsfrage sind und bleiben die Schlüsselfragen eines EU-Beitritts der Türkei – so sehen es auch die wichtigsten türkischen Menschenrechtsorganisationen. Deshalb ist es um so erstaunlicher, daß die EU die Lösung dieser Probleme bislang nicht aktiv und energischer auf die Agenda der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gesetzt hat. An den Verhandlungen zur Lösung der Kurdischen Frage müssen aber auch Repräsentanten der betroffenen Minderheit beteiligt werden, wenn eine ernsthafte demokratische und gerechte Lösung gefunden werden soll. Dabei wird die türkische Regierung an dem von den meisten Türken gehaßten, aber von vielen Kurden immer noch hochverehrten Abdullah Öcalan – die PKK nennt ihn »Nelson Mandela der Kurden« – kaum vorbeikommen, dem eine Schlüsselrolle zufallen könnte. Folgerichtig fordert die prokurdische Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP), die im türkischen Parlament vertreten ist, die Begnadigung und Freilassung von Öcalan. Auch die DTP und die PKK müssen in ein Friedenskonzept eingebunden werden, denn ohne sie wird es keinen Frieden geben. Auf kurdischer Seite ist gelegentlich auch von einem »Rat der Weisen« die Rede, der in die Verhandlungen mit der Regierung einbezogen werden soll. Im Übrigen trägt auch die Bundesrepublik Deutschland in diesem Prozeß eine besondere Verantwortung: Mit ihrem hohen Anteil sowohl türkischer Bewohner als auch kurdischer Migranten, die der Repression in der Türkei entflohen sind, ist sie gefordert, zur Aussöhnung und Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts endlich politische Initiativen zu ergreifen und den offenen und kritischen Dialog mit der kurdischen Seite auf EU-Ebene und hierzulande zu fördern – und zwar ohne Stigmatisierung, Kriminalisierung, Ausgrenzung und Berührungsängste, wie sie im Zuge von Repressionsmaßnahmen und Strafprozessen immer wieder auftreten. Dazu müßte besonders die PKK mit ihren Nachfolgeorganisationen von der EU-Terrorliste gestrichen sowie das PKK-Verbot in der Bundesrepublik aufgehoben werden – weil solche Repressionsinstrumente letztlich die freie politische Betätigung, die Meinungs- und Organisationsfreiheit von Kurden kriminalisieren. Nur so könnte man der Rolle gerecht werden, die die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen bei der Lösung der Kurdischen Frage spielen könnten.
Erschienen in Ossietzky 16/2009 |
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