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Die Deutschen haben die dortigen polnischen Einwohner unter Zwang ausgesiedelt und die deutschen Aussiedler, unter anderen Ihre Eltern, angesiedelt. Welchen Einfluß auf Ihr Leben hatte Ihre Herkunft?« Horst Köhler: »Meine Eltern waren Bessarabiendeutsche, die ihre Heimat nach dem Hitler-Stalin-Pakt verlassen mußten. Sie wurden nach Polen umgesiedelt von den deutschen Besatzern. Dann kam die Flucht vor der Kriegsfront im Osten. Sie endete in der Nähe von Leipzig in der sowjetischen Besatzungszone. Dort lebten wir wieder als Bauernfamilie, bis zur Flucht nach Westdeutschland Ostern 1953.« Gazeta Wyborcza: »Was haben Ihre Eltern über das Leben in Skierbieszów erzählt? Was für eine Erinnerung war es? Mit welchen Gefühlen war es verbunden? Haben sie vielleicht das Leid der früheren polnischen Bewohner angesprochen?« Horst Köhler: »Meine Eltern waren einfache Leute, die voll damit ausgelastet waren, für eine Familie mit acht Kindern den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sprachen wenig über Skierbieszów; ich spürte, daß es sie Überwindung kostete. Deshalb hakte ich damals nicht nach. Heute bedauere ich das.« Die Eltern hätten viel zu berichten gehabt. Sie wurden gemäß dem »Generalplan Ost« von der SS aus ihrer Heimat Bessarabien nach Polen umgesiedelt, um das Land aufzudeutschen – 85 Prozent der Polen, 65 Prozent der Ukrainer und 75 Prozent der Weißruthenen sollten nach dem von Himmler im Juni 1942 abgesegneten Plan nach Sibirien deportiert werden, wenn die Wehrmacht Moskau erobert und die Sowjetunion besiegt hätte. Dann wären, so Horst Köhlers Biograph Gerd Langguth (dtv, Band 24589), »innerhalb von zwanzig bis dreißig Jahren wohl über dreißig Millionen Menschen wie Vieh verschoben worden«. Doch der Anfang war gemacht, als Köhlers Familie und mehr als 7000 andere deutsche Bessarabier in den Kreis Zamosc umgesiedelt wurden, der jetzt den Namen »Himmlerstadt« führen mußte. Von dort kamen 16.000 Polen ins KZ Majdanek, 2000 wurden nach Auschwitz verlegt. Die Familie Köhler kam in das Dorf Skierbieszów, das nunmehr »Heidenstein« hieß, und bezog eines der schönsten Häuser im Ort mit großem Garten. Zuvor hatte die SS das Dorf umstellt und alle Einwohner deportiert. Das Haus, in dem Horst Köhler drei Monate später geboren wurde, gehörte dem Bauern Józef Weclavic, der bald als Zwangsarbeiter auf von Deutschen besetzten Bauernhöfen ums Leben kam. Bei ihrer Flucht vor der Roten Armee brannten die Deutschen alle Häuser des Dorfes nieder. Kein Stein sollte auf dem anderen bleiben. Das war die Nazi-Strategie der »verbrannten Erde«. Schuld an all dem trägt Horst Köhler nicht. Wohl aber empfindet er Scham. Gazeta Wyborcza jetzt im Interview mit dem Bundespräsidenten: »Viele Deutsche, die die gleiche Herkunft wie Sie haben, nennen sich ›die Vertriebenen‹ und beteiligen sich an Vertriebenenverbänden.« Darauf Horst Köhler: »Die Geschichte meiner Familie ist von Umsiedlung und Flucht bestimmt, nicht von Vertreibung. Daher fühle ich mich nicht als Vertriebener.« Das war die Ohrfeige für Erika Steinbach, der jede Scham fremd ist. Sie fühlt sich nicht nur als Vertriebene, sie hat sich – wie auch immer so etwas zustande kommen mag – einen Vertriebenenausweis ausstellen und sogar – eine unmißverständliche Lektion für alle Polen – zur Präsidentin des Bundes der Vertriebenen wählen lassen. Sie ist Tochter eines Wehrmachtsoffiziers aus Hanau und einer Wehrmachtshelferin aus Bremen, die beide in Polen stationiert waren. Wem das Haus weggenommen wurde, das ihre Eltern bezogen, und was aus den Besitzern geworden ist, interessiert Erika Steinbach nicht. Horst Köhler käme wohl nie auf den Gedanken, seinen Geburtsort so zu nennen wie er zum Zeitpunkt seiner Geburt hieß: »Heidenstein« im Kreis »Himmlerstadt«. Erika Steinbach nennt Rumia in Polen, wo sie von deutschen Besatzern geboren wurde, mit schamloser Penetranz »Rahmel« in »Westpreußen«. Ihre Okkupanteneltern flohen vor der Roten Armee. Sie wurde so wenig vertrieben wie Horst Köhler. Er bekennt sich dazu, kein Vertriebener zu sein. Ihr Auftreten als Vertriebenenpräsidentin ist eine schlecht kaschierte Kriegserklärung an Polen. Eine andere Frage ist, ob man den Bundespräsidenten immer ernst nehmen darf. »Meine Eltern standen dreimal im Leben vor dem Nichts«, erzählt Horst Köhler der polnischen Zeitung und gelobt: »Für mich bedeutet das: Nie wieder darf von deutschem Boden Krieg ausgehen.« Ist es etwa Rücksicht auf den Bundespräsidenten, was den seltsamen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung daran hindert, die Tötungs- und Vernichtungstätigkeit seiner Soldaten in Afghanistan als Krieg zu bezeichnen?
Erschienen in Ossietzky 16/2009 |
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