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Man hätte schon damals erahnen können, daß sie die großen Verlierer sein werden. Denn die mit der Liberalisierung eingeforderten Produktivitätssteigerungen waren ohne Beschäftigungsabbau kaum denkbar. Heute wissen wir: Die Neoliberalen haben uns, wie an den Finanzmärkten, auch an den Strommärkten auf einen verhängnisvollen Weg geführt. Die EU-Kommission wollte und will auch heute noch einen »wettbewerbsorientierten europäischen Elektrizitätsbinnenmarkt« schaffen. Dazu, so die Vorstellung der Kommission, mußte das in Deutschland bestehende Ordnungsgefüge von »natürlichen Gebietsmonopolen« in der Elektrizitätswirtschaft aufgehoben werden. Das alte System bot den ehemals neun Verbundmonopolisten (Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke, Energieversorgung Schwaben, Vereinigte Energiewerke AG, Badenwerk AG, Vereinigte Elektriziitätswerke, Hamburgische Electricitäts-Werke AG, PreußenElektra AG, Bayernwerk AG, und Berliner Kraft- und Licht-AG), aber auch den kommunalen Elektrizitätswerken die komfortable Möglichkeit zur Abschöpfung von Monopolgewinnen. Da die Stromanbieter in ihren jeweiligen Absatzgebieten eine monopolistische Stellung hatten, konnten sie die Kunden im Preis nach Belieben diskriminieren, im Vergleich zur gesamten Wirtschaft überproportionale Gewinne und Rentabilitäten erzielen und als angeblich »notwendige Reserve« deklarierte Überkapazitäten (Leerkosten) über die Strompreise den Kunden in Rechnung stellen. Außerdem konnten sie kalkulatorische Kosten verrechnen, denen keinerlei effektive Aufwendungen gegenüberstanden. Da Gewinnaufschläge auf kalkulatorische Zinsverrechnungen politisch erlaubt sind, konnten sie sogar Gewinne auf Gewinne mit einem Zinses-Zinseffekt beaufschlagen und über die Strompreise vereinnahmen. Zwar sollten die Stromunternehmen im alten System bis 1998 durch eine Preisaufsichtsbehörde und durch das Bundeskartellamt kontrolliert werden, dies war aber immer nur ein frommer Wunsch. Tatsächlich blieb die Branche von die staatlichen Kontrollen weitestgehend verschont. Die Elektrizitätsbranche war in Deutschland schon immer eng mit der Politik verbandelt. Daher setzte man gemeinsam der EU-Forderung nach einer Liberalisierung der Strommärkte eine Strategie zur Wettbewerbsverhinderung entgegen. Auf dem »Verhandlungswege« sollten sich Stromanbieter und gewerbliche Nachfrager unter Ausschluß der privaten Haushalte mit einer »Verbändeordnung« eigene Spielregeln schaffen, vor allem für die Nutzung der Stromnetze. Alle Stromerzeuger, auch Anbieter regenerativer Energien (Wind-, Solar- und Biostrom etc.), sollten freien Zugang zu den Netzen erhalten. Als deutsche Besonderheit unterließ man es, eine staatliche Regulierungsbehörde einzurichten. Auch auf eine Entflechtung der Kraftwerkskapazitäten ließ man sich nicht ein. Im Windschatten der »Verbändeordnung« konnten die aufgrund der vorherigen Gebietskartelle bereits marktbeherrschenden Stromkonzerne den kurzzeitig aufkommenden Wettbewerb und die dadurch bewirkten temporären Preissenkungen schnell wieder aufheben. Aus den ehemals neun Verbundmonopolisten entstanden so durch Fusionen die »großen Vier« am deutschen Strommarkt (e.on, RWE, EnBW und Vattenfall). Über ihre Beteiligungen an über 300 kommunalen Elektrizitätswerken dominieren sie den deutschen Strommarkt. Mit unterschiedlichen Strategien haben die Stromgiganten seit der Liberalisierung entgegen der Wettbewerbsintention der EU-Kommission ihre Marktmacht gefestigt und auf europäischer Ebene noch stark ausgebaut. Vor allem e.on und RWE setzen die aufgrund von mißbräuchlicher Ausnutzung ihrer Marktmacht realisierten Gewinne im In- und Ausland zum Aufkauf anderer Stromunternehmen ein, zumindest zur Beteiligung an ihnen. Verlierer dieses neoliberal intendierten, ins Gegenteil verkehrten Wettbewerbs waren die Beschäftigten der Stromanbieter, die Kunden und die Umwelt. Jeder dritte Beschäftigte in der Elektrizitätsbranche hat seit 1992 seinen Arbeitsplatz verloren. Der Personalabbau setzte in Antizipation der Marktöffnung zum Teil schon vor 1998 ein. Zwischen 1992 und 2006 nahm die Zahl der Beschäftigten um über 80.000 ab. Die Wertschöpfung der Branche vergrößerte sich dennoch zwischen 1998 und 2006 um fast 33 Prozent. Immer weniger Beschäftigte mußten also immer mehr Leistungen erbringen. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten wurden eingeschränkt, die Belegschaften in Stamm- und Randbelegschaften auseinandergerissen, Leiharbeit wurde eingeführt, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängert. Eine Befragung der Betriebsräte ergab, daß sich, wie zwei Drittel von ihnen berichteten, die allgemeinen Arbeitsbedingungen seit der Liberalisierung »verschlechtert« oder »stark verschlechtert« haben. Die Branchen-Produktivität aber stieg von 1998 bis 2007 um 70 Prozent, während die Preise für die Stromkunden lediglich – bereinigt um staatlich veranlaßte Öko- und Mehrwertsteuererhöhungen – nur um fünf Prozent zurückgingen. Die Löhne und Gehälter stiegen von 1998 bis 2006 nur um knapp neun Prozent. Ergebnis war eine gigantische Umverteilung zugunsten der Gewinne. Die Lohnquote (Anteil des Personalaufwandes an der Wertschöpfung) sank um rund zehn Prozentpunkte, während die Gewinnquote in dem selben Maße anstieg. Die Gewinne nach Ertragsteuern erhöhten sich von 1998 bis 2006 um 118 Prozent. Der Großteil der Gewinne wurde an die Kapitaleigner ausgeschüttet und für die schon erwähnten Fusions- und Internationalisierungsstrategien verwandt. Investitionen zur Modernisierung von Kraftwerken und Netzen sowie zum ökologisch dringend erforderlichen Ausbau regenerativer Energiequellen unterblieben dagegen. Diese Versäumnisse haben zu einem enormen Investitionsstau in Höhe von etwa 100 Milliarden Euro geführt. Bis 2020 werden nun rund 70 Prozent der vorhandenen Kapazitäten zu ersetzen sein. Die bisher initiierten Ausbauprogramme, hauptsächlich für Kohlekraftwerke, lassen allerdings Skepsis aufkommen, ob die über den Markt vermittelten Anreize zu umweltschonenderen Techniken der Energieerzeugung und -verteilung ausreichen werden oder ob nicht doch der Staat eine stärkere Rolle im Investitionsprozeß der Strombranche übernehmen muß. Sollte sich zukünftig vielleicht doch der Wettbewerb ein wenig intensivieren – auch aufgrund der von der Bundesnetzagentur eingeleiteten »Anreizregulierung« –, so ergeben sich zwei zentrale Konflikte: Erstens wird ein Abschmelzen der Monopolprofite den Strompreis entlasten mit der Folge, daß die Bereitschaft zum ökologisch gebotenen Energieeinsparen nachläßt. Um das zu verhindern, müssen im Gegenzug die Umweltverschmutzungen stärker in den Preis eingerechnet werden. Die Politik hat diese Notwendigkeit bisher nicht erkannt. Zweitens wird sich die unternehmensinterne Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit zuspitzen. Wenn, wie von der EU-Kommission gewollt, in den Stromunternehmen durch aufkommenden Wettbewerbsdruck die Wertschöpfung tatsächlich zurückgehen sollte, dürfte es für die ArbeitnehmerInnen angesichts der gefestigten Gewinnanspruchsmentalität der Kapitaleigner ans Eingemachte gehen. Die Kräfteverhältnisse auf dem Strommarkt und die Umweltschutz-Auflagen, mit denen die Europäische Union auf die Klimaveränderungen reagiert, fordern besonders die kommunalen Elektrizitätswerke heraus. Mit ihrer regionalwirtschaftlichen Einbindung können sie am besten die Anforderungen für den Ausbau regenerativer Energien erfüllen. Dann erübrigt sich auch eine Verlängerung der Laufzeiten bei den Atomkraftwerken.
Erschienen in Ossietzky 15/2009 |
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