Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Zwei MaiskörnerMiriam Boyer Die beiden Maiskörner auf meiner Hand sehen gleich aus. Doch Saat ist nicht gleich Saat. In ihnen sind höchst unterschiedliche gesellschaftliche Verhältnisse komprimiert – je nachdem, ob es sich um industrielles oder bäuerliches Saatgut handelt. Bäuerliche Saat ist das Ergebnis menschlicher Züchtungsarbeit auf der ganzen Erde in Tausenden von Jahren. Seit die Menschen begonnen haben, Felder zu bestellen, haben sie schätzungsweise 7000 verschiedene Arten von Nutzpflanzen angebaut. Von jeder Art gibt es Hunderte Sorten, die von den Bäuerinnen und Bauern den jeweiligen Klimabedingungen und Bodenverhältnissen, lokalen Bedürfnissen und Geschmacksrichtungen angepaßt wurden. Doch aus dieser Vielfalt erbringen heute ganze 30 Arten 95 Prozent unserer Nahrung, allein drei Arten (Weizen, Mais und Reis) bereits 50 Prozent. Und von den 30 Arten werden zumeist nur noch ein paar Sorten angebaut: die zwei oder drei Birnen-, Apfel- oder Tomatensorten, die im Supermarkt am häufigsten angeboten werden. Diese Obstregalsorten sind das Ergebnis industrieller Züchtung. Die Früchte sind in Form, Größe und Aussehen einander gleich. Damit sie maschinell geerntet werden können, wachsen sie nur an bestimmten Stellen der Pflanze, und sie haben die notwendige Resistenz, um nicht von den Pflückmaschinen beschädigt zu werden. Zudem sind sie robust genug, um den Transport über Tausende von Kilometern in Containern und Lastautos gut zu überstehen. Nicht zuletzt sind die Pflanzen so gezüchtet, daß sie große Mengen von Herbiziden und Pestiziden aushalten können, die in den riesigen Monokulturen versprüht werden, weil sich Schädlinge dort besonders stark verbreiten. »Bei der Züchtung von Nutzpflanzen kommt es zunächst einmal darauf an, daß sie gleichmäßig reifen, mit geringem Aufwand maschinell zu ernten sind und sich gut vermarkten lassen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, arbeiten wir weiter an der Sorte, um Farbe, Konsistenz, Geschmack und Qualität zu verbessern, die der Konsument erwarten darf.« Das sind die typischen selbstbewußten Worte eines US-amerikanischen Züchters in der Studie »First the Seed«, in der Jack Kloppenburg die Geschichte der kommerziellen Pflanzenzucht schildert. Der Wunsch nach gesunden, nahrhaften und schmackhaften Agrarprodukten verstärkt sich. Das zeigt der wachsende Absatz von Bio-Produkten bei denen, die sich diesen Luxus leisten können. Aber die politischen Konflikte um das Saatgut reichen weit über die individuelle Entscheidung für oder gegen Bio hinaus. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich in dem kleinen industriellen Maiskorn vor mir verbergen, sind schwer zu erahnen. Zum Beispiel die Auswirkungen auf das Klima. Die industrielle Landwirtschaft erzeugt heute nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 17 und 32 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen weltweit und trägt damit ähnlich viel zur Erderwärmung bei wie das gesamte Verkehrswesen. Die Landwirtschaft emittiert vor allem Lachgas – eine Nebenwirkung der großen Mengen an Stickstoff, mit denen überstrapazierte Böden gedüngt werden. Die steigende Produktion von industriell erzeugtem Stickstoff setzte in den USA vor etwa 60 Jahren die Züchter unter Druck, Pflanzen zu entwickeln, die diese künstliche Düngung überhaupt aushalten. Inzwischen ist zwischen 1960 und 2004 der Verbrauch an Düngemitteln für Nutzpflanzen weiter gestiegen: um 800 Prozent. Ähnliche Folgen hat der zunehmende Einsatz von Herbiziden und Pestiziden, Produkten der petrochemischen Industrie. Bäuerliche Saat dagegen braucht solche Mittel nicht. Kleinbauern kultivieren organische Substanzen im Boden, meiden den Einsatz von Chemikalien und benötigen keinen Stickstoff-Dünger, weil sie Nutzpflanzen abwechselnd anbauen. In der herkömmlichen Drei-Felder-Wirtschaft gleicht sich der Stickstoff-Haushalt aus. Das häufige Pflügen in der industriellen Landwirtschaft entzieht dem Boden Kohlendioxid und setzt es frei, während humusanreichernde Praktiken der Bauern es im Boden bindet. Das industrielle Maiskorn ist ein beispielloser Energiefresser: Es verbraucht viermal mehr Kalorien in Form fossiler Energie, als es an Nahrung hergibt. Doch für heutige Kleinbauern in Europa ist es schwer, ihre das Klima nicht weiter erwärmende Saat zu verteidigen, die seit Jahrzehnten bedroht und schon großenteils verdrängt ist. Solange sie selber auf dem Hof ihr Saatgut herstellten und untereinander tauschten, konnte kein Kapital profitabel in die Landwirtschaft investieren. Im faschistischen Deutschland sorgte gleich 1934 die »Sortenbereinigung« dafür, daß nur noch wenige Sorten vertrieben werden durften. 1937 waren bereits 438 von 454 Weizensorten von der Vermarktung ausgeschlossen. Später durften laut Gesetz nur noch die »unterscheidbaren, homogenen und beständigen« industriell erzeugten Sorten in die Sortenkataloge eingetragen werden. Beim Kauf zertifizierter Saat ist seitdem eine Lizenzgebühr zu entrichten. Zwar behielten die Bäuerinnen und Bauern das »Privileg«, die gekaufte Saat nachzubauen, doch die Industrie expandierte weiter, indem sie zum Beispiel vorzugsweise Hybridsorten vermarktete. Hybridsorten bringen höhere Erträge, brauchen dafür aber deutlich mehr Chemikalien. Der Hauptvorteil der Hybridsorten für die Industrie liegt jedoch darin, daß der Bauer, wenn er selber daraus Saatgut züchtet, im nächsten Jahr etwa 20 Prozent weniger Ertrag hat. Er wird also vom jährlichen Kauf abhängig. Seit 1997 müssen die Bauern in Deutschland, wenn sie auf mehr als fünf Hektar Kartoffeln oder auf mehr als 17 Hektar Getreide anbauen, nicht nur die Lizenzgebühr beim Saatkauf, sondern auch eine Nachbaugebühr bei Wiederaussaat an die Industrie zahlen. Und alle Bauern, egal wie groß ihre Anbaufläche ist, sind verpflichtet, Auskunft über ihren Nachbau zu erteilen. In Europa und weltweit üben die Pflanzenzuchtunternehmen starken Druck aus, damit die Gesetze ihren Interessen angepaßt werden. Bis in die 1980er Jahre waren es hauptsächlich mittelständische Unternehmen, jetzt wird die Branche vom transnationalen Biotechnologiekapital beherrscht. Zehn Biotechmultis – allen voran Monsanto, DuPont, Syngenta und Bayer – kontrollieren bereits 67 Prozent des Saatgutmarkts rund um die Erde. Dieser Konzentrationsprozeß hat verheerende Folgen. Seitdem die Saatgutindustrie bäuerliche Saat von den Feldern verdrängt, ist schon ein großer Teil der Vielfalt an Nutzpflanzen verschwunden. Doch weil in vielen Ländern des globalen Südens die Bauern zumeist noch selbst Saat anbauen – in Südasien und im subsaharischen Afrika zwischen 80 und 90 Prozent –, entgehen der Saatgutindustrie für rund eine Milliarde Hektar Land je etwa 50 Euro im Jahr. In Handelsverträgen werden diese Länder daher zunehmend auf Sortenschutzgesetze und Urheberrechte verpflichtet. In Europa und Nordamerika existieren die meisten Sorten nur noch in den Genbanken, hauptsächlich zum Nutzen der Industrie. Für die Erhaltung der Biodiversität sind sie zwar eine wichtige Ressource, aber sie können nicht, wie oft behauptet, als Schatzkammern gelten, die bei Klimaveränderungen prompt Ersatz für bäuerliche Saat liefern könnten. Gegen drastische Ertragsverluste durch die Erderwärmung, die in den nächsten 50 Jahren in Indien oder Senegal die Landwirtschaft voraussichtlich halbieren wird, kann allein vielfältige bäuerliche Saat helfen, die sich auf den Feldern allmählich dem sich ändernden Klima anpaßt. Die Saat im Gefrierfach einer Genbank ist dazu weniger geeignet, auch wenn sie »dürreresistente« Gene enthält; denn Pflanzen sind keine Maschinen, die unabhängig von Böden und anderen örtlichen Umweltbedingungen einsetzbar wären. Es ist Demagogie, wenn die Biotechindustrie jetzt so tut, als hätte sie gentechnisch modifizierte »klimafeste Saat« als Wundermittel parat. Sie will damit politischen Druck ausüben, nicht nur um mehr Akzeptanz für genveränderte Organismen zu erhalten, sondern auch um für ihren angeblichen Beitrag zum »Klimaschutz« Kohlendioxidkredite einzuhandeln, also Verschmutzungsrechte, worüber der UN-Klimarat im Dezember in Kopenhagen beraten wird. Ein Tripelgeschäft: mit Kleinbauern, mit unserer Nahrung und nun auch mit der Luft, die wir atmen! Die Saatgutindustrie wird gewiß noch lange weiter behaupten, sie sichere mit ihren High-Tech-Methoden, ob Hybridsorten oder Gentechnik, unsere Nahrung. Dagegen spricht eine von der Weltbank im Auftrag gegebene Studie aus diesem Jahr, in der 400 Wissenschaftler bekräftigen, daß bäuerliche Saat den größten Beitrag zur Welternährung leistet. Doch bäuerliche Saat gibt es nur, solange es Kleinbauern gibt. In Europa ist die kleine Landwirtschaft vom Aussterben bedroht, jede zweite Minute verschwindet ein Hof, sie macht nur noch fünf Prozent der Landwirtschaft aus, und ihre Existenzbedingungen werden immer schwieriger. Die Stadtbewohner wissen davon gewöhnlich wenig. Ihnen mag es so vorkommen, als wäre eine industrialisierte Landwirtschaft allemal fortschrittlich, eine kleinbäuerliche reaktionär. Modernisierung, Vereinfachung, Erleichterung, Personal(kosten)einsparung – solche Vokabeln stellen sich rasch ein und verlangen im engen betriebswirtschaftlichen Diskurs Allgemeingültigkeit. Doch inzwischen sind weltweit, auch in Europa, Bewegungen von Kleinbauern (»Via Campesina« und andere) entstanden, die eine nachhaltige Landwirtschaft stärken wollen – auf der Basis lokaler Ressourcen und in regionalen Märkten. Sie haben sich auf einen langen Kampf gegen die herrschende Politik eingelassen. Wir in den Städten sollten nicht einfach abwarten, zu wieviel Treibhausgasreduktion uns die Klimakanzlerin begnadigt. Ebenso wenig sollten wir uns mit der gelegentlichen Kaufentscheidung für einen Luxus-Bioapfel begnügen. Auch als Stadtbewohner sollten wir uns für eine Landwirtschaftspolitik interessieren und engagieren, die langfristige und altbewährte Alternativen fördert. So könnten wir ein Stück Selbstbestimmung über unser Nahrung und unsere Umwelt zurückgewinnen. Über Saatpolitik wird oft abseits der Öffentlichkeit entschieden. Seit 2008 gilt beispielsweise eine neue Saatgutverkehrsrichtlinie der EU, die Mitgliedstaaten sollen sie jetzt anwenden. Diese Richtlinie, die angeblich dem Verlust an biologischer Vielfalt entgegenwirken soll, erlaubt den Anbau und die Vermarktung von Regional- und Biosorten, die bisher nicht in den gesetzlichen Katalogen eingetragen waren – allerdings in sehr kleinen Mengen und regional beschränkt. Die dafür errichtete Bürokratie ist derart kompliziert und teuer, daß die Neuregelung de facto den Vertrieb aller nicht unmittelbar als rentabel geltenden Sorten verhindert. In Westeuropa ist der Markt für diese alten Sorten klein. Aber in manchen osteuropäischen Ländern sind das die Hauptsorten. Wenn sie nicht eingetragen sind und somit illegal werden, stehen der Saatgutindustrie auch dort die Märkte offen. Über die jüngsten Initiativen einer europaweiten Saatgut-Kampagne kann man sich informieren unter www.saatgutkampagne.org
Erschienen in Ossietzky 15/2009 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |