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Die Inhalte der Politik der Linkspartei können es nicht sein, die derart absurde Kommentare provozieren. Offenbar bringt allein schon die Tatsache, daß sich eine Partei »Die Linke« nennt, so manchen Journalisten um den Verstand. Peter Söhren ZweifachesDoppelspiel Dreitausendfünfhundert Seiten dick ist der Abschlußbericht zur BND-Affäre, den der Untersuchungsausschuß des Bundestages in langer Mühe zustandegebracht hat, und so ist die Gewähr dafür gegeben, daß ihn niemand liest. Die Veröffentlichung einer 160-Seiten-Kurzfassung lehnten die SPD-Verteter im Ausschuß ab. Kein Wunder, denn Kanzlerkandidat Steinmeier, damals Kanzleramtschef, kommt bei den Recherchen des Gremiums nicht gut weg. Auch die Sprecherin der Union im Ausschuß zog, obwohl derzeit Koalitionspartnerin, eine Steinmeier-kritische Bilanz: Als Gehilfe Schröders habe er damals ein »Doppelspiel« betrieben: der Öffentlichkeit vorgetäuscht, die Bundesrepublik beteilige sich nicht am Irakkrieg der USA, unter der Hand aber den US-Militärs geholfen. So war es. Aber mit dieser Steinmeier-Schelte spielt die CDU/CSU selbst ein Doppelspiel, denn die Unionsparteien wünschten 2003 dringlich, daß die Bundeswehr an der Seite der US-Army zum Kriegführen in den Irak zöge. Steinmeier hat also damals klammheimlich ein bißchen von dem erledigt, was die CDU/CSU im Schilde führte. Marja Winken Geteilte GeschichteIn der Frankfurter Allgemeinen Zeitung macht Peter Carstens auf einen geschichtspolitischen Sachverhalt aufmerksam. Den Kurras-Aktenfund aufgreifend schreibt er: »Hätte es sich um einen Westvorgang gehandelt, wäre er wohl unter Verschluß geblieben. Denn die bürokratischen Nachfahren der alten Bundesrepublik bewachen das Schrifttum ihrer Zeit wie ein Sprengstoffdepot… Hier wirkt die Kontinuität des Schutzschweigens… Wird es politisch brisant, erscheinen die Statuswächter einer staatlich gelenkten Geschichtsschreibung an den Archivpforten.« Carstens verweist in diesem Zusammenhang auf immer noch behütete Akten der westdeutschen Geheimdienste, des Bundeskriminalamtes, des Auswärtigen Amtes und des Kanzleramtes der »alten« Bundesrepublik, deren geschichtswissenschaftlicher Aufarbeitung »Sicherheitsinteressen« im Wege stehen. So bleibt im vereinten Deutschland die Geschichte geteilt: Enthüllt wird DDR-Geschichte, staatlich verdeckt ist die Geschichte der Alt-Bundesrepublik, obwohl doch in der historischen Wirklichkeit ostdeutsche und westdeutsche Operationen – gerade die geheimen – aufs engste feindselig zusammenhingen. Die jetzt beliebten Ost-Stasi-Geschichten halbieren die Vergangenheit, solange über Stasi-West nichts erzählt werden kann. A. K. Ich habe unterschriebenDie Kritik der von mir sehr geschätzten Kollegen Otto Köhler und Eckart Spoo in Ossietzky 11 und 12/09 an dem Petitionsaufruf der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, im Zusammenhang mit dem Zentrum gegen Vertreibungen ein Zentrum der verfolgten Künste zur Förderung der demokratischen Erinnerungskultur einzurichten, kann nicht unkommentiert bleiben. Damit jeder weiß, um was es geht, zitiere ich ein paar Sätze aus dem Text, mit dem die Initiatoren ihre Forderung gegenüber dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages begründen: »Die großen Vertreibungen begannen ab 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Künstler und andere Intellektuelle, Wissenschaftler, Sportler und Politiker wurden als erste vertrieben. Ein großer Teil kehrte nie mehr zurück. Die Schicksale dieser ersten ›Heimatvertriebenen‹ waren keine Einzelfälle, sondern es war das Kalkül der Nazis, diese oftmals echten Patrioten und Demokraten aus ihrer Heimat für immer zu vertreiben, bevor sie mit der Vernichtung (ihrer Werke) begannen. Dokumentation und Präsentation der Werke und der Schicksale dieser ersten Vertriebenen im Rahmen eines Zentrums der verfolgten Künste sollte nationale Verpflichtung sein.« Gedacht wird an ein »Haus der Vorbilder und der Toleranz«, das »etwa im Rahmen der Schaffung eines Zentrums gegen Vertreibungen« finanziert und gesichert werden könnte. Es würde sich also um eine gesonderte Einrichtung handeln, die nach meinem Verständnis nicht Bestandteil des Zentrums gegen Vertreibungen wäre und ein Gegengewicht zu dem von der Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach initiierten Zentrum gegen Vertreibungen darstellen könnte. Obwohl es dem Staatsminister und geschickten Taktierer Bernd Neumann gelungen ist, Erika Steinbach die Gestaltungshoheit über dieses Zentrum zu entwinden, hat sich dessen politische Zielrichtung nicht verändert. Neben das Berliner Denkmal für die Opfer des Holocaust soll ein Gedenkort für die Opfer der Vertreibung gestellt und aus einem Tätervolk ein Opfervolk gemacht werden. Angesichts der geplanten Geschichtsrevision ist jeder Vorstoß zu begrüßen, der die Vorgeschichte der Nachkriegsvertreibungen – um die es den Vertriebenenfunktionären ja hauptsächlich geht – und andere Kausalitäten in Erinnerung ruft. Insofern kann es sich bei dem Aufruf der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft weder um ein »abenteuerliches Vorhaben« noch um ein »Feigenblatt für Erika Steinbach« handeln. Zu den Erstunterzeichnern der Petition gehören ehrenwerte Leute wie der ehemalige Warschauer Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, Hauptkontrahent Erika Steinbachs in Polen, die deutsche Bischöfin Maria Jepsen und der ehemalige Botschafter der Bundesrepublik in Israel, Rudolf Dreßler. Keiner hätte seinen Namen hergegeben, wenn es stimmte, was Köhler argwöhnt, daß nämlich Erika Steinbach »die deutsche Exilliteratur und den deutschen Widerstand für ihren finsteren Plan vereinnahmen« wolle. Auch ich habe die Petition unterschrieben. Daß ich, der ich seit Jahrzehnten die Politik der Vertriebenenverbände kritisiere, damit – wie Spoo den Befürwortern der Eingabe unterstellt – Erika Steinbach den »antifaschistischen Segen« erteilt haben soll, will mir nicht in den Kopf. Zwar haben die Initiatoren vergessen, in die Reihe der von den Nazis vertriebenen deutschen Politiker auch einen Kommunisten aufzunehmen, aber sie erwähnen immerhin unter den Schriftstellern Bertolt Brecht. Als einer, der aus einer antifaschistischen Familie stammt, selbst vertrieben worden ist, gleichwohl aber für eine dauerhafte Aussöhnung mit den polnischen und tschechischen Nachbarn wirbt, bitte ich um eine differenzierte Betrachtung des zugegeben sperrigen Themas. Conrad Taler Von Dämonen und HistorikernWer sich nach bald sechseinhalb Jahrzehnten ein Bild machen will, wie weit es Geschichtsschreibung und -publizistik in der Bundesrepublik bei der Durcharbeitung der Geschichte der Nazi-Diktatur gebracht haben, wird in diesem Buch eine erstrangige Hilfestellung finden. Es führt zurück zu den Anfängen, zu frühen Erkenntnissen, mehr noch aber zu Abwegen, von denen manche bis heute beschritten werden. Der Potsdamer Historiker Kurt Finker hat sich einer Kärrnerarbeit unterzogen, als er sich einer Literatur zuwandte, die den inzwischen Achtzigjährigen am Beginn seiner Forschungen schon einmal beschäftigt hatte. Dafür mußte doppelte Überwindung aufbieten. Zum einen waren da Schriften zu lesen, die – nicht durchweg, aber größtenteils – zu recht vergessen sind, in denen sich aber der Geist jener Zeiten entdecken läßt. Zum anderen waren Sichten in die damals jüngste Vergangenheit zu durchmustern, die mit dem Anspruch auf Entdeckungen daherkamen, jedoch in mystisches Dunkel führten. Viele Autoren suchten sich aus der eigenen Verantwortung in die Dämonisierung des Regimes zu retten. Eine zentrale Frage war die nach der Rolle der Massen. Eine der frühesten Erörterungen dieses Gegenstandes, betitelt »Führer und Geführte«, stammt von Hans Windisch, der 1940 begonnen hatte, seine »Analyse deutschen Schicksals« aufzuzeichnen. Ihm galten die »Massen als der einzige Ausgangspunkt, der eine Klärung verspricht«. Das wußte er, wiewohl ihm die Millionen als »düsteres Rätsel« vorkamen. Nicht anders Bruno H. Bürgel, der meinte: »Die ungeheure, unberechenbare Masse, das ist das eigentliche Unglück der Welt.« Nur hat keiner dieser Denker zeigen können, wie sich dieses Malheur abschaffen ließe, auf daß die Welt glücklich werde. Finker läßt viele Autoren in langen Zitaten zu Worte kommen. Zu den Politikern gehören Kurt Schumacher und Konrad Adenauer, zu den einstigen Parteigängern des Regimes Hjalmar Schacht, Ernst von Weizsäcker, Franz von Papen und Otto Dietrich, Hitlers Pressechef, zu den Militärs, die die größte Autorengruppe stellen, Franz Halder, Hans Speidel, Erich von Manstein. Bei den Historikern ragen Fried-rich Meinecke und Hans Rothfels als damals besonders einflußreich heraus. Frühe Publikationen zum Widerstandskampf sind nicht ausgelassen, unter den Autoren finden sich auch dessen Teilnehmer Wolfgang Langhoff und Eugen Kogon. Einziger Ausländer ist der britische Militärhistoriker John W. Wheeler-Bennet mit der 1954 erschienenen Arbeit über die »Deutsche Armee in der Politik 1918–1945«. Der Auswahl, die mit mehr als 900 Anmerkungen gespickt ist, läßt sich unschwer entnehmen, daß Finkers Forschungsspezialität jahrzehntelang die Geschichte des 20. Juli 1944 war. Auf dieses Ereignis ist er fokussiert, und zu dessen Würdigung an runden Jahrestagen schlägt er gegen Schluß seiner Arbeit mehrfach den Bogen. Die Kommentierung hätte ich mir weniger zurückhaltend gewünscht. Sie wird von Friedrich-Martin Balzer, ohne den der Weg vom Manuskript zum Druck nicht hätte geebnet werden können, aus der Sicht des unmittelbaren Zeitgenossen ergänzt. Er erinnert sich – und da sehen wir noch einmal eine westdeutsche Barriere gegen die unvoreingenommene Beschäftigung mit dem Nazi-System –, daß sein Klassenlehrer noch Ende der 1950er Jahre die Leute des 20. Juli 1944 als »Verräter« brandmarkte. Der Empfehlung dieses Buches sei angefügt, daß die Lösung, die für die Darbietung des umfänglichen Textes gefunden wurde, keine ist. Sondern eine Zumutung. Wer die Schrift längere Zeit lesen kann, ohne daß seine Augen Schaden nehmen, sei beglückwünscht. Für die hochgestellten Zahlen, die auf Anmerkungen hinweisen, braucht man ein Vergrößerungsglas. Kurt Pätzold Kurt Finker: »Der Dämon kam über uns. Faschismus und Antifaschismus im Geschichtsbild und in der Geschichtsschreibung Westdeutschlands 1945–1955«, hg. von Friedrich-Martin Balzer, mit einem Geleitwort von Otto Köhler, Verlag Pahl-Rugenstein, 400 Seiten, 24.95 €Hans Litten– 1903 in Halle geboren, in Königsberg aufgewachsen – gehörte als Aktivist der Jugendbewegung dem deutsch-jüdischen Bund »Kameraden« an. 1925 organisierte er zusammen mit Max Fürst die antibürgerliche, geschlechterpolitisch egalitäre Jugendgruppe »Schwarze Haufen«. Diese Gruppe löste sich 1928 auf, doch glaubt Litten sein ganzes Leben lang an die gesellschaftsverändernde Kraft der Ideen der Jugendbewegung. Nach seinem juristisches Assessorexamen wird er Anwalt. Für die »Rote Hilfe« vertritt er häufig Kommunisten, ohne jedoch jemals ein unkritischer Sympathisant der KPD zu sein. Er vertritt auch Anarchisten und oppositionelle Kommunisten in Prozessen gegen Kommunisten. Die vorliegende Biographie schildert detailliert Littens Wirken in den Prozessen seit seiner Anwaltszulassung 1928 bis Februar 1933. Ungefähr zwei Jahre lang ist er mit den Prozessen um den Berliner »Blutmai« von 1929 beschäftigt, durch die er als Anwalt bekannt wird. In zahlreichen Prozessen ist er Rechtsbeistand von Kommunisten gegen Nazis. Ausführlich wird Adolf Hitlers Zeugenvernehmung 1931 im Edenpalast-Prozeß dargestellt. Litten vertritt in diesem Prozeß die Nebenklage. Er beantragt die Vernehmung Hitlers, um die planmäßige Anwendung terroristischer Methoden durch die NSDAP nachzuweisen. Dabei treibt er – wie immer gründlich vorbereitet – Hitler in die Enge, bis dieser seine Selbstbeherrschung verliert. 1933 bekommt Litten sofort die brutale Rache der Faschisten zu spüren. Nach dem Reichstagsbrand wird er verhaftet und bis zu seinem Freitod 1938 im Konzentrationslager gequält und gefoltert – eine Zeitlang gemeinsam mit Carl von Ossietzky im KZ Sonnenburg. In der Zeit seiner Haft bemühen sich viele Menschen vergeblich um seine Freilassung, vor allem seine Mutter. Die AutorInnen bemühen sich, Litten in seinen zahlreichen Facetten und Nuancen darzustellen – nicht als starre Denkmalsfigur. Der Titel »Denkmalsfigur« gibt das Schlüsselwort für den Code wieder, über den sich die Mutter mit ihrem Sohn im Konzentrationslager verdeckt austauscht. Daß das Buch kein Personenregister enthält, ist ein Mangel. Hilfreich sind die mehr als 500 Hinweise auf Fundstellen sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Andreas Diers Knut Bergbauer / Sabine Fröhlich / Stefanie Schüler-Springorum: »Denkmalsfigur. Biographische Annäherung an Hans Litten 1903–1938«, Wallstein Verlag, 360 Seiten, 24,90 €Dagegen haltenDer für Pferderennen begeisterte Onkel, der 1936 zum letzen Mal die Rennbahn in Duisburg-Raffelberg besucht, fragt nachher den zwölfjährigen Walter Kaufmann: »Was würdest du tun, wenn du am Eingang ein Schild fändest: Juden unerwünscht?« – »Eine Karte lösen und wie du dagegen halten.« – »Eben«, sagt der Onkel, »dagegen halten, sich nie besiegt fühlen. Dann hat man auch das Glück des Augenblicks.« Während er das sagt, ist der Onkel schon entschlossen, Deutschland zu verlassen. Walter Kaufmanns Eltern bleiben und werden ermordet. Der Junge gelangt 1939 mit einem der letzten Kindertransporte nach England, später nach Australien, von dort aus als Seemann in viele Häfen. 1956 entscheidet er sich für die DDR als Ausgangspunkt seiner weiteren Reisen, bei denen nie die Schreibmaschine fehlt. Was er aufschreibt, sind immer kurze Begegnungen, Augenblicke, in denen es oft ums Ganze geht, ums Leben. Kaufmanns Erzählungen aus Duisburg und von den Fidschi-Inseln, aus San Francisco und Istanbul, Weimar und Auschwitz, Melbourne, Puerto Rico, und Berlin sind zumeist nicht länger als drei Seiten. Kein Wort ist zuviel. Seine Kunst besteht nicht im Ausschmücken, sondern im Reduzieren aufs Wesentliche. Seine short stories, geschult an Ernest Hemingway, sind lakonisch, aber nie banal, denn die Bedrohung durch Verhältnisse, in denen Menschen zu Verrätern, Totschlägern, Mördern werden können, ist groß und nah. Kaufmann moralisiert nicht. Er schärft unsere Wahrnehmung. Seine Erzählungen machen hellwach. So helfen sie, dagegen zu halten. Kleine Form, große Literatur. Eckart Spoo Walter Kaufmann: »Die Zeit berühren. Mosaik eines Lebens auf drei Kontinenten«, Verlag Wiljo Heinen, 300 Seiten, 14 € GescheitertAls Künstler und politischer Mensch gescheitert zu sein, gehört zum Resümee in Franz Fühmanns Testament. Daß seine Hoffnungen sich nicht erfüllt haben, war eine Klage, auch eine Anklage gegen die Gesellschaft und sein eigenes künstlerisches Vermögen. Nun deutet Gunnar Decker dieses Scheitern als die Ankunft im Parnaß, denn – an Benn und Nietzsche geschult – weiß er: Scheitern gehört zur Kunst, ist quasi die eigentliche Kunst. Decker veröffentlichte kürzlich eine Benn-Biographie und ist häufiger Feuilleton-Autor im Neuen Deutschland, wo er andere Dichter oft an Benn mißt. Daß er sich nun Franz Fühmann zugewandt hat, hat unter anderem mit Fühmanns spätem Bekenntnis zu Georg Trakl zu tun. Fühmann beschrieb anhand seines Verhältnisses zu Trakl sein eigenes Verhältnis zu Kunst und Gesellschaft und schilderte dabei Wandlungen, Kämpfe, Widersprüche, Irrtümer und Einsichten. Der Biograph Decker geht noch einmal den Lebensstationen des Autors nach, der sich so intensiv wie kein anderer und immer wieder mit seinem Nazi-Mitläufertum auseinandergesetzt hat und deshalb vielen Lesern in der DDR wichtig wurde. Nach anfänglicher DDR-Begeisterung wandelte sich Fühmann zum Kritiker, forderte Meinungsvielfalt, Verzicht auf Wettrüsten und wurde so manches Mal von den DDR-Oberen behindert, dies öffentlich zu machen. Seine Erzählungen und Essays zu publizieren, kostete seinen Verlag Kampf und List. Decker belegt dies eindrucksvoll und sieht damit seine von Benn und Nietzsche geprägt Kunst- und Künstlervorstellung bestätigt: Künstler müssen leiden, scheitern, unverstanden sein. Die Welt ist grundsätzlich schlecht, und Besserung, so schließe ich daraus, wäre verheerend für die Kunst. Ich mag solchen Weltschmerz nicht und bin mir sicher, daß der oft grimmige, aber auch freundliche, manchmal harmoniesüchtige Franz Fühmann alles dafür gegeben hätte, die Welt hienieden zu ändern. Er wollte verstanden und nicht verklärt oder benutzt werden. Christel Berger Gunnar Decker: »Franz Fühmann. Die Kunst des Scheiterns. Eine Biographie«, Hinstorff Verlag Rostock, 456 Seiten, 24.90 € Blick auf BerlinGibt’s zu Hauf: Literatur aus Berlin, Literatur über Berlin, Berlin-Literatur! En Masse Lektüre für Menschen, die mal ein bißchen Stadtluft schnuppern wollen. »Parzelle Paradies«, ein neues Buch der längst naturalisierten Berlinerin Annett Gröschner, ist Literatur aus Berlin, Literatur über Berlin und vorrangig Berlin-Literatur für Leute, die gern neben ausgetretenen Pfaden gehen. Berlin-Kenner, die sich unvoreingenommen der Autorin an die Hacken heften, können einiges über Berlin zur Kenntnis bekommen, das ihnen bisher noch unbekannt ist. Die gebürtige Magdeburgerin und eingebürgerte Hauptstädterin der Berliner Republik hat während ihrer viertelhundertjährigen Berlin-Zeit den nötigen Sinn für das Schnöde wie Schnoddrige und die Schlagfertigkeit der Berliner Schnauze entwickelt. Solidarisch schildert sie die Leute der Straße und der noch existierenden Hinterhöfe, die nie den Aufstieg in die ausgebauten, schicken Dachgeschoßwohnungen des Prenzlauer Bergs schaffen. Annett Gröschner vertritt das arme Berlin, das seine mutige, anmutige Pfiffigkeit hat. Dialoge und Monologe sind an Witz kaum zu überbieten. Das ist die Substanz, die so manchem Gröschner-Text kräftig das Rückgrat stärkt. Die Zitate sind pointiert, wie das Denken lebenskluger Berliner pointiert sein kann. »Ich wollte nie eine Autorin sein, die am Schreibtisch sitzt und über eine Frau schreibt, die am Schreibtisch sitzt und darüber schreibt, wie eine Frau am Schreibtisch sitzt«, hat die Schriftstellerin notiert. Um dann nicht zu versäumen, einiges über den Arbeits-Schreib-Platz zu sagen, der der Wohlstandssanierung geopfert werden mußte. Konkurrenzlos werden in »Parzelle Paradies« persönliche Geschichten zur jüngsten Geschichte Berlins offeriert. Selbstermitteltes einer Schriftstellerin, die sich mal die Beine in den Bauch steht, mal zu Fuß, mal per Fahrrad durch die Stadt streunt. Bernd Heimberger Annett Gröschner: »Parzelle Paradies. Berliner Geschichten«, Edition Nautilus, 220 Seiten, 16 €Die Mauer in Santiago de ChileDer Kameramann Peter Overbeck ist Schöpfer mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilme. In einem autobiographischen Roman beschreibt er seine Erlebnisse im Chile der Unidad Popular und beim Militärputsch des Jahres 1973. Overbeck kam im August 1971 nach Chile, wurde Kameramann bei der staatlichen Firma Chile Filmes und drehte zahlreiche Streifen, die die sozialen Maßnahmen der Allende-Regierung dokumentierten. Das so entstandene Filmmaterial wurde zum größten Teil wäh-rend der Pinochet-Diktatur vernichtet. In seinem Buch schildert er die ungeheure Hoffnung der bis dahin benachteiligten Bevölkerungsschichten in die Präsidentschaft Salvador Allendes, aber auch den Widerstand des Bürgertums gegen die Sozialreformen. Den Staatsstreich vom 11. September 1973 erlebte Overbeck als Trauma: Die meisten seiner Freunde fielen bei Straßenkämpfen oder wurden verhaftet und zu Tode gefoltert. Ihm selbst gelang es zunächst, durch die Maschen der Fahndung zu schlüpfen. Nach dem Putsch schnellten in Chile die Lebenshaltungskosten in die Höhe: Wer als Erwerbsloser über keine finanziellen Rücklagen verfügte, litt Hunger. Zahlreiche Anhänger der Allende-Regierung warfen wegen drohenden Arbeitsplatzverlusts ihre Überzeugung über Bord, um sich an das neue Regime anzupassen. Nur eine winzige Minderheit fand sich im Widerstand zusammen, ständig bedroht von Razzien des Militärs und von Spitzeln der Geheimpolizei. Der Autor schildert eine besonders perfide Methode der Fahndung, der er selbst beinahe zum Opfer gefallen wäre: Seine Firma war als linke Hochburg sofort nach dem Putsch stillgelegt worden. Bei ihrer Wiedereröffnung bot man den gewesenen Mitarbeitern Gelegenheit, sich neu zu bewerben – mit einem Kommando der Geheimpolizei im Hinterzimmer. Verraten und auf der Flucht vor den Häschern wandte sich Overbeck an die bundesdeutsche Botschaft. Dort wurde ihm bedeutet, in Chile herrsche eine völlig normale Situation; die Bedingungen für ein Asylgesuch seien nicht gegeben. Seine abenteuerliche Odyssee endete schließlich in der Botschaft Kolumbiens. Overbecks Fazit fällt ernüchternd aus: Eine Mauer, die seitdem das Armenviertel Santiagos von den Wohngebieten der Reichen trennt, ist für ihn Synonym der von den Militärs durchgesetzten sozialen Umschichtung. Bei der inzwischen durchgesetzten Demokratisierung wurden die unter Pinochet geschaffenen Verhältnisse zementiert; die mittlerweile wieder regierenden Sozialisten stehen für eine neoliberale Politik. Für den Autor aber ist, wie er schreibt, die Regierungszeit der Unidad Popular nach wie vor ein Fanal: Denn ohne »das immer wieder neu geborene Streben nach einer besseren Welt (...) wäre die Menschheit schon längst in der absoluten Barbarei untergegangen«. Gerd Bedszent> Peter Overbeck »Santiago, 11. >September. Erinnerungen an Chile«, Edition Nautilus, 254 Seiten, 19.90 € Viel zu viele AutosDer Vorgänger der Bundeskanzlerin Merkel ließ sich noch als »Autokanzler« rühmen, und sein engster Mitarbeiter, inzwischen Vizekanzler und Kanzlerkandidat, hofft im diesjährigen Wahlkampf als Opel-Retter zu glänzen, aber die Autokrise ist da, und daran ändert auch die Abwrackprämie auf Dauer nichts. Johann-Günther König, einer der wenigen Schriftsteller des Landes, die sich der ökonomischen, ökologischen und sozialen Realitäten annehmen, macht klar, daß ein Verkehrswesen, das alles Öl aus dem Boden saugt und in giftige Abgase verwandelt, wenig Zukunft hat. Mit Milliarden und Abermilliarden hat der Staat – einst der Nazi-Staat, dann die BRD und gegen Ende ihrer Existenz auch die DDR – die private Automobilisierung der Gesellschaft gefördert. Kanzler Schmidt verhieß, wie der Autor in Erinnerung ruft, daß jeder Deutsche Anspruch auf einen eigenen Wagen habe – die Bundesregierung baue dafür auch die nötigen Straßen. So wurde zum Beispiel das Netz der Bundesautobahnen zwischen 1970 und 1990 von 4.500 auf fast 9.000 Kilometer vergrößert, in den folgenden 13 Jahren um weitere elf Prozent. Dagegen wurde das Schienennetz im gleichen Zeitraum zwischen 1990 und 2003 um zwölf Prozent verkleinert, obwohl viele Politiker in ihren Sonntagsreden vom Vorrang des Schienen- vor dem Straßenverkehr sprachen. Die Produktionsziffern der Automobilindustrie stiegen und stiegen und mit ihnen die Profite der Konzerne. Doch in den kapitalistischen Wohlstandsländern drehte sich ab dem Jahr 2000 das übliche Plus der Neuzulassungen ins Minus. Jeder dieser Konzerne, das stand nun fest, konnte den Absatz allenfalls noch durch Verdrängungswettbewerb steigern – und durch Eroberung anderer Märkte, vor allem in sogenannten Schwellenländern, in denen dann aber auch etliche neue Autofabriken entstanden. Die Überproduktionskrise verschärft sich. Hunderttausende werden arbeitslos. Wer jetzt Automobilproduktion subventioniert, verzögert die notwendige ökologische Umsteuerung des Verkehrswesens, für die Johann-Günther König viele Vorschläge macht, beispielsweise Dampfwagen, die weniger Lärm und Abgas ausstoßen als Fahrzeuge mit Explosionsmotor, ausgeweitete Taxendienste, Wagenverleih (Erich Sixt, Chef einer großen Autovermietung, nimmt zu seinem Vorteil an, »daß der Stolz und das Eigentumsdenken abnehmen werden«) und eine vernünftigere Siedlungspolitik. Auf innerstädtischen Straßen wünscht er sich viel Platz für Fußgänger und Radfahrer. (Ja, in Kopenhagen sind die vielen Fahrradwege mindestens doppelt so breit wie die noch sehr wenigen in Berlin, und kommunale Fahrräder stehen bereit, die man unentgeltlich benutzen kann.) Ein gutes Buch zur rechten Zeit – mit vielen Informationen auch zu den aktuellen Vorgängen bei Opel und General Motors. E. S. Johann-Günther König: »Die Autokrise«, Verlag zu Klampen, 276 Seiten, 19.80 € Bestrafte SparmaßnahmenDie Kommunalen Wasserwerke Leipzig (KWL) vermeldeten, der Wasserverbrauch der sparsamen Sachsen sei aufs Rekordtief gesunken: Im Jahre 2008 verbrauchte jeder Leipziger pro Tag nur 88 Liter (nach 89 Litern im Jahr davor). Doch sogleich folgte die Hiobsbotschaft: Deshalb müsse ein größerer Aufwand betrieben werden, um die Leitungen sauberzuhalten. »Wir nehmen diese Entwicklungen als Herausforderungen an. Dazu ist es aber notwendig, Strategien zu entwickeln, die diesen veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen«, verriet der Geschäftsführer Andreas Schirmer. Für welche »Strategie« sich das Unternehmen entschieden hat, ist leicht zu erraten. Jahrzehntelang haben die Politiker die Verbraucher für das Wassersparen zu sensibilisieren versucht: Wasser sei doch unsere Lebensgrundlage. Sie priesen teure Wassersparduschköpfe, Wassersparwaschmaschinen und Wasserspargeschirrspüler sowie die nicht gerade billige Umstellung der Klospülung auf Regenwasser an. Der Konsument bezahlte brav alles – aus Anstand und wachsender grüner Überzeugung, zumal ihm ab und zu verdurstende Regionen in Afrika, Kinderschlangen vorm Wasserzapfen gezeigt und nicht selten auch von Kriegen um Wasservorräte erzählt wurde. Wassersparen hieß verantwortlich handeln und auch immer – auf lange Sicht – den eigenen Geldbeutel schonen. Aber nein, der Wasserversorgungsmonopolist hat anders entschieden: Sinkende Einnahmen infolge geringeren Verbrauchs will er durch höhere Preise wettmachen. Der einfältige Konsument soll also zweimal zahlen: erst für Wasserspartechnik und dann für teureres Wasser. Geht es den Wasserwerken so schlecht? Ganz und gar nicht: Im Jahr 2008 erzielten sie einen Gewinn von 22,9 Millionen Euro (nach 23,2 Millionen im Jahre 2007). Ohne Preiserhöhung würden sie nicht etwa ins Minus abrutschen. Ihr Interesse ist vielmehr, ihre achtstelligen Gewinne zu halten. Und jetzt ist sogar von einer Preiserhöhung um fünf Prozent die Rede. Die KWL nutzen also einen Vorwand, um ein Schnäppchen zu machen. Ganz nach dem Motto am Biertresen: »Heute habe ich das Bier nicht verdünnt, deshalb werde ich etwas weniger einschenken.« Viktor Timtschenko Ralf DahrendorfIch war nicht sein »Schüler«, denn da gab es einiges, was mir nicht gefiel. Ich war allerdings Student bei Dahrendorf während seiner Zeit in Hamburg. Wir – und das waren fast alle, die ihn in seinen Vorlesungen und Seminaren hörten und erlebten – waren beeindruckt von der Kompetenz des noch jungen Professors, der nur ein paar Jahre älter war als seine Studenten. Viele waren begeistert von seiner ruhigen und überzeugenden Argumentation und vor allem davon, daß er den Studenten nicht nur zuhörte, sondern das, was sie sagten, auch wenn er es nicht akzeptierte, wohlwollend in seine Argumentation einbezog. Das war nicht üblich. Ich habe viel von ihm gelernt. Als Gesellschaftswissenschaftler stellte er die Freiheit überhaupt und gerade die der Argumentation über alles. Solidarität, Gleichheit, Brüderlichkeit, wichtige Anliegen für eine andere Gesellschaftsordnung, die ich und mit mir viele anstrebten, gerieten dadurch schnell ins Abseits. Diese Grundentscheidung bestimmte auch seinen Weg in Wissenschaft und Politik. Er war einst Mitglied im Sozialistischen Studentenbund und Sozialdemokrat, wechselte dann zur FDP, wurde Staatssekretär im Bundesaußenministerium unter Scheel, dann EU-Kommissar, ging wieder in die Wissenschaft und wurde Direktor der berühmten London School of Economics, wo er von 1952 bis 1954 bei Karl Popper seine Lehrjahre verbracht hatte. England wurde seine neue Heimat. Von 1987 bis 1997 war er Dekan des St. Antony`s College in Oxford und erlangte schließlich einen Adelstitel auf Lebenszeit. Lord Dahrendorf war damit bis zu seinem Tode Mitglied des Oberhauses. Was er sagte und schrieb, war immer von höchster sachlicher und stilistischer Qualität. Ich war nicht immer seiner Meinung, doch die Auseinandersetzung mit seinen klugen Gedanken war stets ein Gewinn. Er war ein wirklicher Liberaler (wo findet man noch welche, die diese Bezeichnung verdienen?) und ein wahrer Weltbürger. Manfred Uesseler Hildebrandt entzaubert MärchenÜber Jahre sorgte er mit seinem »Scheibenwischer« für Mit- und Nachdenken. Später verlor diese ARD-Sendung nicht nur ihren Namen, sondern auch ihren Ruf; was sie heute bringt, ist eher Comedy als Kabarett. Dieter Hildebrandt aber tat inzwischen das, was er in allen Jahren getan hatte: Er wählte aus den 60 Jahren dieser Republik die – wie er fand – schönsten Politiker-Lügen aus und fügte sie unter dem Titel »Politiker-Märchen« auf einer CD zusammen, ergänzt mit seinen Gedanken darüber. Man kann den Originalstimmen der Märchenerzähler lauschen, beispielsweise Konrad Adenauer mit seinen Versicherungen vom 18. Dezember 1949 zu den Lügen der Anderen über die von ihm natürlich nie beabsichtigte Wiederbewaffnung der Bundesrepublik (wobei sich gleich der Gedanke an Walter Ulbrichts Beteuerung einstellt, daß niemand die Absicht habe, an der Grenze eine Mauer zu bauen). Auch Uwe Barschels »Ehrenwort« findet gebührende Würdigung, ebenso Roland Kochs »brutalstmögliche Aufklärung« bei Sabine Christiansen am 16. Januar 2000. Die letzte Märchenstunde wurde im 10. Kapitel des Hörbuches von Andrea Ypsilanti gestaltet. Alle vorgestellten Geschichten, darunter auch die heute weithin vergessene vom »Celler Loch«, kommentiert Hildebrandt in seiner bekannten Art und beraubt sie ihres Märchenzaubers. Angemessene Variationen von Haydns Kaiserquartett bilden die Musikeinlagen. Der Geburtstag der Bundesrepublik ist, wie Hildebrandt betont, kein Grund zur Rührung – eine Einsicht, die er, je näher er dem Ende der CD kommt, nicht unbedingt beherzigt. Er gestaltet sein persönliches Denken an dieses Land vor aller Ohren. Unkabarettistisch eigentlich. Vielleicht weil er am 23. Mai Geburtstag hat, dem Tag, an dem 1949 das – niemals dem Volke zur Bestätigung vorgelegte – Grundgesetz unterschrieben wurde. Der Staat war damit noch nicht gegründet. Es wäre also durchaus gerechtfertigt, die zehn Märchen zu ergänzen um das vom Geburtstag und vielleicht auch um das von der »Wiedervereinigung«, die staatsrechtlich ein Beitritt war und auch so gehandhabt wurde. Joachim Bennewitz Dieter Hildebrandt: »Politiker-Märchen – Die schönsten Lügen aus 60 Jahren Bundesrepublik«, Diederichs Verlag München, 17,95 € Press-KohlIn einem sogenannten anspruchsvollen Radioprogramm ertönte die quasi tiefenphilosophische Feststellung: »Die Zeit als solche ist an und für sich so ein gewisses Ding.« Und da scheint etwas dran zu sein. Schon der legendäre Professor Galletti sagte: »Ich statuiere mit Kant nicht mehr als zwei Kategorien unseres Denkvermögens, nämlich Zaum und Reit – ich wollte sagen Raut und Zeim.« * Nachdem ein Kritiker im Radio sein Lieblingsverbum »beinhalten« so oft wiederholt hatte, daß er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, kam er auf Hector Berlioz zu sprechen. »Seine ›Phantastische Sinfonie‹ hört man nicht jeden Tag. Und man muß sie ja auch nicht jeden Tag hören!« Nun bin ich ja beruhigt. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 13/2009 |
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