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Er stattet an diesem Tag dem seit April dort aufgebahrten exhumierten Leichnam des Volksheiligen Padre Pio seinen Besuch ab und kniet vor dem Schrein mit den heiligen Resten in der Krypta nieder. Zigtausende wohnen der päpstlichen Messe bei. Der schwarzdrohende Himmel hat sich gelichtet. Seine Heiligkeit Benedikt fühle sich an diesem Ort wohl an die schlichte Volksgläubigkeit seiner bayrischen Heimat erinnert, mutmaßt der Nachrichtensprecher. Der für zahllose Wundertaten verehrte Kapuzinermönch Pio, an dessen Händen 1918 Stigmata erschienen und erst kurz vor seinem Tode 1968 verschwunden sein sollen, ist angeblich seit 40 Jahren kaum verwest, und er erweist sich auch als resistent gegen alle Versuche von Skeptikern, ihm auf die Schliche zu kommen. Zuletzt, 2007, meinte der Turiner Historiker Sergio Luzzatto, ihm betrügerische Praktiken nachweisen zu können. Diese Studie wirbelte eine Mediendebatte auf, die man außerhalb Italiens schwer nachvollziehen kann, die aber Pios Ansehen bei den Gläubigen keinerlei Abbruch tat. Jahrzehntelang war auch die offizielle Kirche skeptisch, ja ablehnend geblieben, in den 1920er Jahren hatte sie ihm sogar das Predigen untersagt, bis Papst Johannes XXIII, der mehr Heilige geweiht hat als je ein Papst zuvor, auch Padre Pio heiligsprach und seinen Kult damit definitiv anerkannte. Denn die Kirche als Institution hat ein feines Gespür dafür, daß sich die Gläubigen in unsicheren Zeiten – und wann wären die Zeiten sicher? – gern an Heiligen und Wundern erbauen. Wer sich an Carlo Levis einst vielgelesenen Vorkriegsbericht »Christus kam nur bis Eboli« erinnert, weiß auch um das zähe Fortleben archaischer Vorstellungen in unterentwickelten Landstrichen. Doch der Pio-Kult ist keineswegs nur auf den tiefen Süden beschränkt. Pio-Konterfeis und -Talismane sind landesweit in Bars, Läden, Tankstellen und Wohnküchen zu finden und versprechen all denen Linderung und Hoffnung, die auf nichts anderes setzen können, und der Kult reicht inzwischen auch über Italien hinaus. Da kommt einem nicht von ungefähr Silvio Berlusconi in den Sinn und sein Hang, sich im Volke als Mann der Vorsehung zu geben und als »vom Herrn gesalbter Retter«, wie er sich auch selber nennt . Seine pseudoreligiöse Rhetorik kommt vor allem in der Provinz gut an. Immerhin konnte seine Koalition bei der Wahl am 6./7. Juni in vielen Gemeinden und Provinzen, die bis dahin in der Hand der Opposition waren, die lokale Macht übernehmen. Die Gewitterwolken, die sich seit Wochen über Berlusconis Vermengung von privaten und öffentlichen Lastern zusammengezogen haben, sind ihm bisher bei seiner Wählerschaft nicht gefährlich geworden; eine massenhafte Abwendung von ihm findet nicht statt. Da machen ihm schon eher die ausländischen Medien zu schaffen, die ihn nun massiv angreifen. Das läßt sich nicht einfach als »kommunistische Pressekampagne« abtun, wie es ihm im Inland immer wieder gelingt. Stattdessen werden Verschwörungsthesen bemüht; seine Medien stellen »Berlusconi als Opfer der Medien« dar: Man versuche, ihn am Regieren zu hindern, wozu das Volk ihn doch erwählt habe. Und da an diesem bewölkten Sommeranfang in 99 Gemeinden und 22 Provinzen Nachwahlen stattfanden, auch in so wichtigen Städten wie Milano, Torino, Venezia, Padova, Bologna, Florenz und Bari, ließ Berlusconi die jüngsten Ermittlungen der Justiz in Bari gegen Korruption im Sanitätswesen einfach ausblenden; die hatten nämlich Hinweise auf exzessives Partytreiben auch in seiner römischen Residenz ergeben. Kein Wort also darüber in den Nachrichten seiner Privatsender, aber auch keine Meldungen in den staatlichen Fernsehkanälen – so weit reicht sein Arm längst. Am Tag darauf rechtfertigte der jüngst ernannte Chef des TG 1, Minzolini, den Nachrichten-Blackout mit der offenherzigen Begründung, er habe es für angebracht gehalten, vor den Wahlen keine weiteren Spekulationen über den Regierungschef auszustreuen, die noch nicht als bewiesen gelten könnten. Die Ermittlungen der Polizei bezeichnete er schlicht als »gossip«. In vorauseilendem Gehorsam befolgte er damit neue Paragrafen des in diesen Tagen im Senat zur Verabschiedung stehenden Gesetzes, das die Pressefreiheit demnächst auch de jure aufheben wird: Über laufende Verfahren soll dann nicht mehr umfassend berichtet werden können.
Erschienen in Ossietzky 13/2009 |
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