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Die Fahrt durch die Wüste in Kuwait ist kurz, schon nach eineinhalb Stunden erreichen wir die Grenze. Auf kuwaitischer Seite werden wir rasch abgefertigt, auf irakischer Seite dauert es eine Weile, bevor es weitergehen kann: in einem Konvoi mit einem Polizeiauto an der Spitze. Wir passieren unzählige Kontrollposten, oft in Sichtweite voneinander. Es sind Checkpoints der Polizei, dazu kommen noch Militärposten. Straßenhändler haben notdürftige Buden auf dem Mittelstreifen errichtet, wo sie Wassermelonen und anderes Obst anbieten. Von fern sieht man die Rauchschwaden der Ölfelder; wir fahren hier durch die Region Iraks, die den größten Reichtum des Landes in ihrem Boden birgt: die Ölfelder von Rumailia. Schafherden beiderseits der Straße suchen nach den vereinzelten Grashalmen, die die Wüste im Frühling hergibt. Der Anblick Basras ist mir vertraut. Er gleicht den Bildern, die sich mir früher eingeprägt haben. Zu meiner großen Enttäuschung kann ich keine wesentliche Verbesserung erkennen. Wie schon vor Jahren lagert auch heute der Abfall in den Straßen, säumt sie links und rechts: Plastiksäcke, Blechdosen, Metallteile, Papier, verfaultes Obst. Die Luft ist staubig, man sieht keine Sonne. Ich entdecke manche neuen Geschäfte, und es gibt auch viele neue Autos. Aber wie früher sehe ich die Kinder, die Benzin in Plastikkanistern oder -flaschen verkaufen. Buben im Alter von acht bis höchstens zwölf Jahren, die um diese Tageszeit eigentlich in der Schule sein sollten. Aber diese Kinder müssen schon selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen oder auch für den ihrer Familien. Sie saugen das Benzin mit dem Mund durch Schläuche ab und gefährden damit ihre Gesundheit. Das Mutter-Kind-Spital hat vor kurzem einen neuen Anstrich erhalten: helles Lila, ein etwas eigenartiger Farbton in dieser Gegend. Vor dem Eingang der Kinderkrebsstation sitzen dutzende Väter und andere Angehörigen auf dem Boden, sie haben Besuchsverbot, nur die Mütter dürfen bei ihren Kindern sein. Nach herzlicher Begrüßung führt mich Dr. Jenan, die Leiterin der Station, in das von uns renovierte Spielzimmer, um mir dort die Überraschung zu zeigen, die sie für mich vorbereitet hat: etwa 20 Kinder, die sie hierher eingeladen hat — Kinder, die früher an Krebs erkrankt waren, jetzt aber geheilt sind. Es ist eine unglaubliche Freude diese gesunden Kinder an einem Ort zu sehen, an dem ich zuvor so viel Leid miterlebt hatte. »Das ist mein Geschenk für Dich heute«, sagt sie. »Diese Kinder leben, weil Ihr ihnen geholfen habt in all den Jahren. Die Frucht Eurer Arbeit!« Es ist schwer, gegen die Tränen anzukämpfen, und ich sehe, daß es Jenan genau so geht. Die Kinder sind herausgeputzt, die Buben meist mit weißen Hemden und schwarzen Hosen, die Mädchen mit weißen Kleidern. Eine Mutter holt mich ins Krankenzimmer. Die kleine Nour, neun Jahre alt, hatte einen bösartigen Tumor im linken Unterschenkel, das Bein mußte amputiert werden. Furchtbar für ein Kind in diesem Alter. Und so hat Nour eine Bitte an mich. Sie wagt es fast nicht, mich anzusehen. Scheu spricht sie ihre Bitte aus: Sie möchte nicht mehr zusehen, wenn die anderen Kinder spielen und herumlaufen – sie wünscht sich eine Beinprothese von mir, damit sie wieder gehen kann. Mit Hilfe einer jungen Ärztin, die als Dolmetsch fungiert, erkläre ich dem Kind und der Mutter, daß wir noch abwarten müssen, bis die Therapie beendet sei. Eine andere Mutter ruft mich zum Bett ihres Kindes, dem es sehr schlecht geht. Es erbricht sich ständig. Gemeinsam mit der jungen Ärztin sehe ich mir die Befunde an und erfahre, daß bereits jetzt Tausende Kinder in Basra durchfallerkrankt sind, so viele wie sonst erst im Hochsommer. Aber die Temperaturen sind schon hoch (40 Grad), und die Wasserqualität ist nach wie vor katastrophal. Wer auf Leitungs- oder gar Flußwasser angewiesen ist, ist hochgradig gefährdet, besonders die Kinder, die noch nicht ausreichend Abwehrkräfte entwickelt haben. Und wenn es dann ein Kind erwischt, das an Leukämie oder Krebs leidet und deswegen unter Chemotherapie steht, ist die Infektion um so gefährlicher. Es gibt viele Infektionserkrankungen in Basra. Gerade jetzt herrscht eine Masernepidemie. Als es noch kühler war, grassierte Keuchhusten. Ich sehe in diesen Tagen etliche Kinder mit Feuchtblattern. Die Impfprogramme konnten in den letzten Jahren nicht lückenlos durchgeführt werden. Schuld war die schlechte Sicherheitslage wie auch die Tatsache, daß es vielen Kindern nicht möglich ist, die Schule zu besuchen, wo viele Impfungen stattfinden. Zudem können die Impfstoffe nicht durchgehend kühl gehalten werden, weil die Stromversorgung immer wieder unterbrochen wird; so sind die verabreichten Impfstoffe oft gar nicht mehr wirksam. Es gibt viele Fälle von Tollwut bei Menschen, eine tödlich verlaufende Krankheit. Wer die vielen streunenden Hunde sieht, die im Müll nach Nahrung suchen, wird sich darüber nicht weiter wundern. Und Kala Azar, eine typische Armutskrankheit, befällt ungezählte Kleinkinder. Im November letzten Jahres hatte ich 300 Packungen des Medikaments Pentostam gebracht, mit denen ungefähr tausend an Kala Azar erkrankte Kinder geheilt werden können. Der Zustand des Spitals ist noch schlimmer als früher. Die Wände sind feucht, von Schimmel befallen. Es gibt keine Klimaanlage. Kann man hier gesund werden? Die von uns renovierte Kinderkrebsstation bleibt eine positive Ausnahme. Während des Mittagessen in einem naheliegenden Restaurant erfahren wir – andere ausländische Gäste und ich –, daß die ursprünglich von den irakischen Gastgebern außerhalb des Kongreßprogramms geplanten Aktivitäten abgesagt wurden: der Besuch einer Schule und des Marktes, ein Spaziergang am Ufer des Shatt el Arab. Vor meiner Abreise hatte ich nicht gewußt, daß unsere Gruppe von einer US-amerikanischen Sicherheitsfirma bewacht werden sollte; diese hatte alle zusätzlichen Aktivitäten untersagt – aus Sicherheitsgründen. Unsere Gruppe setzt durch, daß wir zumindest das im Bau befindliche Kinderkrankenhaus besuchen können, ein von der Gattin des damaligen US-Präsidenten Bush im Jahr 2003 initiiertes, von Anfang an umstrittenes Projekt. Es sollte ein mit allen Mitteln der modernen Medizin ausgestattetes 100-Betten-Krankhaus werden, wofür ein Budget von 50 Millionen Dollar veranschlagt wurde. Aber wie kann ein solches Krankenhaus in dieser Umgebung funktionieren, wenn so banale Voraussetzungen wie Energie-Versorgung und sauberes Trinkwasser fehlen, die meisten Fachärzte das Land verlassen haben, wenn es außerdem fast kein Pflegepersonal mehr gibt, auch keine Medikamente und Reinigungsmittel. 2006 war das Budget aufgebraucht und das Spital weit entfernt von der Fertigstellung. Auch heute, drei Jahre später, ist es noch längst nicht fertig und hat mittlerweile fast 200 Millionen Dollar verschlungen. Dieses Krankenhaus, wann immer es in Betrieb gehen wird, wird das alte Mutter-Kind-Spital nie ersetzen können, dazu hat es viel zu wenige Betten. Im Irak entfallen auf 1000 Einwohner 1,2 Krankenhausbetten, in Österreich und Deutschland zwischen sechs und sieben Betten. Selbst wenn man im Irak nur den internationalen Durchschnitt von 3,3 auf 1000 erreichen wollte, müßte man neue Krankenhäuser mit fast 100.000 Betten schaffen. Aber wie? Mit Blaulicht und Signalhorn fahren wir zum Hotel. Vor der Einfahrt steht ein Militärauto, und mehrere Polizisten haben ebenfalls dort Stellung bezogen. Ich fühle mich zunehmend unwohl – und unsicher, mitten in all den Sicherheitsmaßnahmen. Bis vor einem Jahr hatten alle Freunde in Basra von einem Besuch meinerseits abgeraten. Alle hatten die Lage als zu gefährlich eingestuft. Aber seit einigen Monaten meinten sie, die Situation sei nun eine völlig andere. Die Milizen, die die Stadt terrorisiert hatten, seien fort, und es gebe erheblich mehr Polizei und Militär in den Straßen. Die Menschen gingen wieder aus, bis spät in die Nacht. Natürlich sei die Sicherheit nicht mit der in einem europäischen Land zu vergleichen, aber der Aufenthalt sei weit weniger gefährlich als bei meinen letzten Besuchen. Nun sehe ich zwar ein, daß der Schutz für eine 14köpfige Gruppe etwas anderes ist als für mich allein. Aber vor einer Bombe am Straßenrand können uns noch so viele Sicherheitsleute nicht schützen. Dieses Thema beschäftigt uns auch beim Abendessen. Unsere Gruppe lehnt geschlossen die Art und Weise ab, wie wir praktisch entmündigt und eingesperrt werden. Wir sind als Freunde der Iraker gekommen und müssen nun erleben, daß wir im Konvoi durch Basra gelotst werden, mit Blaulicht und Signalhorn und Mikrophon, über das hinausgeschimpft wird, wenn jemand nicht gleich ausweicht. Wir bleiben isoliert von der Bevölkerung. An den Checkpoints haben wir eine eigene Fahrspur, auf der wir die Kontrolle umfahren können, während die Iraker in Schlangen stehen, um kontrolliert zu werden und erst dann passieren zu können. Der Kongreß findet in den Räumlichkeiten der »Southern Oil Company« statt. Schirmherr ist der Gesundheitsminister, der zeitweise teilnimmt. Ich berichte in der Eröffnungsveranstaltung über unsere Arbeit. Ein Mann spricht mich an. Er ist der Vater einer 14jährigen, die Leukämie hatte. Heute steht sie in einem farbenfrohen Kleid vor mir und ist gesund. Der Vater bedankt sich für das Leben seines Kindes, denn er weiß, daß die Medikamente, die es gesund machten, durch mich kamen. Das sind die Momente, wo einem bewußt wird, wofür man arbeitet, wofür man kämpft und so manche Schwierigkeiten ausficht. In einer ruhigen Ecke des Vorraumes komme ich ins Gespräch mit einem der irakischen Ärzte. Es wird mir unvergessen bleiben. Abgrundtiefe Frustration und Depression spricht aus ihm, wenn er erzählt, daß alle seine Geschwister das Land verlassen haben. Er ist geblieben, weil er hier etwas verändern wollte. Aber unzählige Male stößt man jeden Tag auf ein unüberwindliches Hindernis – und das seit so vielen Jahren schon. Er hat Angst, daß im die Kraft ausgehen könnte. Was dann? Auch weggehen? Es gibt kaum mehr Fachärzte im Land. Wie soll es weitergehen im Irak, wenn alle weg sind? Unter den ins Ausland Gegangenen sind großenteils die Gebildeten, die Akademiker, die Spezialisten. Ein Gewinn für das Land, in dem sie jetzt leben. Aber sie fehlen im Irak. Womit kann ich diesem Mann Mut machen? Gibt es Worte, die in einer solchen Situation helfen können? Er kommt mir zuvor und sagt: »Daß Ihr unserer Einladung gefolgt seid, gibt uns Mut. Wir müssen weiterarbeiten, egal wie schwer es ist. Als die Zeit noch schwieriger war, habt Ihr uns nicht vergessen, habt unsere Kinder nicht vergessen. Das hat uns Kraft und Motivation gegeben – und auch Hoffnung.« Am letzten Tag besuche ich das ehemalige Haus des Erzbischofs von Basra, der jetzt in Australien ist. Der »Hausmeister«, der mich empfängt, ist jetzt Sicherheitsmann. Die irakische Regierung bezahlt solche Schutztruppen, die die Kirchen des Landes bewachen. Ich erfahre, daß die Armenapotheke aufgelöst wird, denn die Apothekerin hat Basra verlassen. 600 christliche Familien gibt es noch in der Stadt, vor dem letzten Krieg waren es 1.500 Familien. Auf der Fahrt zur Grenze fällt mir wieder die Umweltverschmutzung auf. Früher wurde die Wüste von Vögeln sauber gehalten, aber den Abfall unserer Zeit – Dosen, Plastik, Metall – fressen die Geier nicht. Soweit das Auge reicht, ist die Wüste damit bedeckt. Der Irak ist ein zerstörtes Land. Seine historischen und kulturellen Wurzeln wurden zerstört, die Umwelt ist zerstört, die banalsten Lebensgrundlagen sind zerstört, die Gesellschaft ist zerstört – und die Menschen sind psychisch zerstört. Wo beginnen? Wie beginnen? Wie kann hier ein Wiederaufbau in die Wege geleitet werden, ohne daß man ein klägliches Scheitern befürchten müßte, weil die einfachsten Voraussetzungen fehlen? Noch nie wurde mir das Ausmaß der Zerstörung des Landes so bewußt wie diesmal. Einer der Ärzte beschrieb es treffend: »Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels.« Die Sicherheitslage hat sich gebessert, aber sonst ist alles so wie bei meinem letzten Besuch oder noch schlechter. Man streicht das Kinderspital von außen – und innen verrottet es, und die Fußböden werden vom Ungeziefer aufgefressen. Man baut ein modernes Spital und weiß nicht, wie man es instandhalten kann. Noch immer gibt es keine Medikamente für die Behandlung der Kranken. Hat jemand das Geld nicht, um sich Medikamente auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, ist er zum Sterben verurteilt. Und wie geht es einem als Vater, als Mutter, wenn man zusehen muß, wie sein Kind stirbt, weil man das Geld für das Medikament nicht auftreiben kann. Das Parlament hat einen Feldzug gegen korruptionsverdächtige Minister und deren Mitarbeiter begonnen. Ich kann nur hoffen, daß dieser Feldzug erfolgreich sein wird und auch auf die unteren Ebenen der Hierarchie ausgeweitet wird. Es übersteigt meine Möglichkeiten, ein Spital in Basra zu bauen, was ich gern tun würde. Aber ich möchte versuchen, die bisherige Arbeit fortzuführen – trotz der Finanzkrise, die alle Hilfsorganisationen durch einen drastischen Spendenrückgang zu spüren bekommen haben. Für vorrangig halte ich die weitere Unterstützung mit Medikamenten. Weiter möchte ich auf jeden Fall die Behandlung von kranken Kindern im westlichen Ausland fortführen, im Vorjahr waren es 20, in diesem sind es bis jetzt schon elf Kinder, die in Europa behandelt wurden. Ich habe eine lange Liste von weiteren, die noch auf ihre Chance warten; nur eine Operation in Europa gibt diesen Kindern eine Lebenschance. In Frankreich muß ich einen Teil der Operationskosten übernehmen. Das Budget, das ich vor zwei Jahren von einer Firma für diesen Zweck erhielt, ist erschöpft. Ich komme gern, um Vorträge zu halten, in Institute, Schulen, Firmen. Haben Sie andere Ideen? Spendenkonto: Bayerische Hypo- und Vereinsbank, Kontonummer 0364524226, Bankleitzahl 38020090, Stichwort Aladins Wunderlampe Deutschland e.V.
Erschienen in Ossietzky 13/2009 |
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