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Sein Resümee vorweg: Hertha BSC hatte 1933 ähnlich wie die Philharmoniker existenzielle Sorgen und brauchte die Gönnerschaft der Machthaber. Angesichts des »ersten deutschen Wirtschaftswunders«, der schnellen ökonomischen Erfolge Hitlers, dem »eine im Rückblick erstaunlich rasante Umgestaltung der politisch-sozialen Verhältnisse gelang«, fielen seine Parolen von der Volksgemeinschaft »in diesem Club der einfachen Leute auf fruchtbaren Boden«. Und so sei »auch bei Hertha« die Führungsspitze auf den Kurs des Regimes eingeschwenkt. »Nicht unter Zwang, auf äußeren Druck, sondern durchaus freiwillig, aus Überzeugung. Hitlers Erfolge waren unbestreitbar.« Der existentiell bedrohte Verein habe sich durch Anpassung gerettet. »Der Kurs der Anpassung erweist sich als Schlüssel für den Weiterbestand.« Noch einmal mit anderen Worten: Die Vereinsspitze nahm »ein Andocken an die Mächtigen sehr erfolgreich in Angriff, um endlich die Lage ... nachhaltig zu stabilisieren. Das gelingt.« Und das Verständnis des Autors reicht noch weiter: »Sollte man dem ›Führer‹ jetzt etwa nicht dankbar sein? Sollte man also 1939, im Jahre seines 50. Geburtstags, keine Elogen formulieren? ... Warum sollte es den Verantwortlichen bei Hertha anders gehen als der Mehrheit der Deutschen?« Der Terror ließ ja auch nach. »Verglichen mit den vielen Hunderttausenden, die zur gleichen Zeit der stalinistischen Mordmaschinerie zum Opfer fielen, die in den GULag verschwanden oder nach dem Krieg von der sowjetischen Militäradministration in den als ›Speziallager‹ weiterbenutzten KZ in der SBZ/DDR inhaftiert und malträtiert wurden,« seien 1939 die Häftlingszahlen in Deutschland »erstaunlich niedrig« gewesen. »Die erste deutsche Diktatur war viel populärer als die zweite, die auf sowjetischen Bajonetten etabliert wurde und ohne diese Bajonette sofort in sich zusammenfallen sollte.« Doch trotz Rettung durch die Nazis und Dankbarkeit für Hitler: »Hertha war kein Naziklub.« Als Zeuge für diese Bewertung dient ein holländischer Fußballer, der als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden war und 1943 bis 1945 bei Hertha spielte – mit entsprechenden Vergünstigungen. In seiner Heimat wurde er als Kollaborateur verachtet und für zehn Jahre aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen. Ein glaubwürdiger Zeuge? Koerfer läßt es sich angelegen sein, ausführlich das Schicksal von zwei Vereinsvorständen, aktiven Nazi-Funktionären, zu schildern, die von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet wurden. Einer wurde drei Jahre lang im sowjetischen Speziallager Buchenwald interniert, der andere blieb verschollen. Daß die Internierung von Nazi-Aktivisten auf einem gemeinsamen Beschluß der Alliierten beruhte und zunächst von allen Besatzungsmächten vollzogen wurde, ist dem Historiker keine Erwähnung wert. In Koerfers Interpretation war die Internierung »KZ-Haft« und mit der Verfolgung des jüdischen Mannschaftsarztes Hermann Horwitz gleichzusetzen, der 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Durch solche Gleichsetzung wird letztlich der »braune« mit dem »roten Unrechtsstaat« gerechtfertigt, wobei Koerfer die Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht einschließlich Enteignungen bis zum Mai 1949 kurzerhand der »zweiten deutschen Diktatur« zurechnet. Mit Koerfers Feststellung, daß »Opportunismus auch damals weit verbreitet« war, verflüchtigen sich Fragen nach Verantwortung und Schuld. Wo der Leser erfahren möchte, ob der Verein mit Horwitz Solidarität übte oder es wenigstens versuchte, schwafelt der Autor wortreich am Thema vorbei. Hingegen quillt der Bericht über von Mitleid mit dem Fußballstar »Hanne« Sobek, der sich für seine Karriere als Rundfunkreporter in die Nazipartei »zwingen« ließ und so vom Fronteinsatz befreit wurde. Für Koerfer ist es kein Thema, daß international populäre Sportler ein Beispiel für Humanität und Hitler-Gegnerschaft geben konnten wie der Ringer Werner Seelenbinder, der als deutscher Meister internationale Wettkämpfe für illegale Kurierdienste nutzte und 1944 im Zuchthaus Brandenburg enthauptet wurde. Und so erscheinen die Unterordnung unter das Nazi-Regime, der satzungsgemäße Ausschluß der Juden, die Einführung des Führerprinzips und des Hitlergrußes im Stadion letztlich wie selbstverständlich – bis hin zu dem ominösen »Schwur von Preßburg«, den die Spieler 1940 leisteten. War er so kompromittierend, daß er im Buch nicht zitiert werden konnte? Der Autor weiß: »Die Bedeutung des Fußballs als Beruhigungspille ... muß man hoch veranschlagen. Fußball bot ... die Chance zur Verdrängung des Krieges und der Diktatur.« Er diente dazu, das System zu stabilisieren und die Durchhaltebereitschaft zu stärken. Je schlimmer der Krieg wurde, desto mehr suchten die Menschen Ablenkung, auch die Soldaten an der Front über das Radio. Wie Koerfer dennoch zu dem Schluß kommt: »Das Dritte Reich hatte auf dem Rasen ... nichts zu suchen«, bleibt sein Geheimnis. Das vorliegende Auftragswerk mündet in der Legende »braune Hülle, blauer Kern«. Eine wissenschaftliche Beweisführung für seine Hüllentheorie bleibt der Autor schuldig. Unklar bleiben die Beziehungen des Klubs zu den SS-Führern Franz Breithaupt, General, Mitglied des Freislerschen Volksgerichtshofs, und Paul Moder, Kommandeur im Warschauer Ghetto – beide erwiesene Mörder. Welche Rolle spielten sie in den Verhandlungen, die dazu führten, daß dem Klub 1937 die Sportplätze Gesundbrunnen und Rosenthal übereignet wurden und sich seine finanziellen Schwierigkeiten mit einem Schlage lösten? Koerfer beruft sich auf vernichtete Akten. Zugleich ergeht er sich im Kleinreden der Verantwortung der Funktionäre, Verharmlosung und Weißwäscherei. Und er läßt keine Gelegenheit aus, »Gemeinsamkeiten« von NSDAP und SED, von Nazistaat und DDR zu konstruieren. So sinkt das Buch auf das Niveau einer antikommunistischen Kampfschrift herab. Zu Koerfers wissenschaftlicher Methodik ist anzumerken, daß sich in seinem Literaturverzeichnis kein einziger Faschismusforscher der DDR findet. Kennt er Bücher wie Kurt Pätzolds und Manfred Weissbeckers Geschichte der NSDAP nicht? Will er sie nicht kennen? Daniel Koerfer: »Hertha unter dem Hakenkreuz. Ein Berliner Fußballclub im Dritten Reich«, Verlag Die Werkstatt, 288 Seiten, 19,90 €
Erschienen in Ossietzky 12/2009 |
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