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An der Spitze der Rehabilitierungsgegner stand schon damals der CSU-Abgeordnete Norbert Geis, der unverdrossen an der Legende von einer integer gebliebenen Wehrmachtsjustiz festhält: Weil viele Fahnenflüchtige sich »in höchst verwerflicher und krimineller Art von der Truppe entfernt« hätten, würde man mit einem »Persilschein für Deserteure (...) denjenigen Richtern in der Militärjustiz Unrecht tun, die mit großem Mut dem Druck von Partei und Gestapo widerstanden« hätten. Man werde »sich nicht dafür hergeben, all denen neues Unrecht zuzufügen, die in den vergangenen 50 Jahren von Stasi, Wolff und Co. in die Nazi-Ecke gestellt worden sind«. Das gelte »insbesondere für Hans Filbinger«. Schon gar nicht, meint Geis, dürften die Todesurteile gegen »Kriegsverräter« pauschal aufgehoben werden, wie es die Links-Fraktion, die Grünen, inzwischen auch die gesamte SPD-Fraktion und vermutlich große Teile der FDP fordern. Die Fraktionsspitze der CDU- und CSU-Fraktion bleibt dabei, daß viele »Kriegsverräter« mit Recht hingerichtet worden seien. In dem Bestreben, den Weltkrieg auf deutscher Seite nachträglich zu gewinnen, beschimpft Geis – der selbst der Wehrpflicht nie genügt hat – die Überläufer als »in höchstem Maß verwerflich handelnde Verräter«. Indem sie möglicherweise beim »Feind« Angaben über die deutschen Frontstellungen gemacht hätten, hätten sie ihre Kameraden in Lebensgefahr gebracht. Eine Aufhebung der Todesurteile würde »neues Unrecht« anrichten. Denn damit »würde man die betreffenden Richter für Verbrecher« erklären. Opfer waren also nicht etwa die hingerichteten Überläufer, sondern die (Hin-)Richter. Und in den Armeen der überfallenen Länder sieht Geis nicht diejenigen, die den von der Wehrmacht gedeckten Massenmord stoppen wollten, sondern nichts anderes als »Feinde«, mit denen ein anständiger deutscher Soldat niemals hätte kooperieren dürfen. Die Ablehnung der Rehabilitierung der »Kriegsverräter« trifft nach den Forschungen des Historikers Wolfram Wette durchweg unbotmäßiges, humanes und widerständiges Verhalten einfacher Soldaten. Zum Tode verurteilt wurden sie beispielsweise wegen zeitweiliger Mitnahme von Juden auf einem Lastwagen, Tagebuchaufzeichnungen mit Zweifeln am Endsieg und Verteilung kommunistischer Flugblätter. Kein einziges Urteil hatte einen wirklichen Verrat zum Gegenstand – was hätte der einfache Soldat schon verraten können? Nichts macht die Argumentationsschwäche der Rehabilitierungsgegner deutlicher als die Peinlichkeit, daß sie durch ihren Sachverständigen Rolf-Dieter Müller den angeblichen Fall eines »wirklich verbrecherischen« Kriegsverrates erst erfinden mußten (s. »Geschichtsfälschung im Dienst der Politik«, Ossietzky 23/08). Für die Rehabilitierungsgegner ist »Verrat immer und zu allen Zeiten das schimpflichste Delikt«, auch der Verrat des hitlerschen Angriffskrieges. Das gilt allerdings nur für die unteren Dienstgrade. Dagegen stehen Graf Stauffenberg und die anderen an dem Sprengstoffattentat vom 20. Juli 1944 Beteiligten, bei dem zwar nicht Hitler, aber »Kameraden« ums Leben kamen, heute in hohen Ehren. Ebenso Oberstleutnant Hans Oster, Generaloberst Ludwig Beck und Admiral Wilhelm Canaris. Hätten die Westmächte die von diesen Offizieren verratenen Angriffspläne gegen Dänemark, Norwegen, Holland und Belgien ernst genommen, wären beim Zurückschlagen der Angriffe sicher tausende deutscher Soldaten ums Leben gekommen. Was unterscheidet aber den von oben geleisteten Widerstand von dem widerständigen Verhalten einfacher Leute? Hinter der Verdammung der »Kriegsverräter« in den unteren Reihen verbirgt sich tiefe Geringschätzung oppositioneller Verhaltensweisen einfacher Bürger überhaupt. Als unzulässig gelten schon kleine Verweigerungen im Alltagsleben. Die »kleinen Leute« sollen einfach parieren. Das tradierte bürgerliche Gesellschaftsmodell, in dem das feudale fortwirkt, räumt den unteren Schichten keinen Platz für politische Mitwirkung und Mitgestaltung ein. Die Herrschaft in der Gesellschaft und auch das Recht zur Opposition – sogar gegen ein Unrechtsregime – gestehen die Eliten nur sich selber zu. Das demokratische Gleichheitsprinzip ist diesem reaktionären Denken bis heute ebenso fremd geblieben wie das Bewußtsein, daß Kritik und Gegenwehr gegen politische und gesellschaftliche Fehlentwicklungen die Sache aller ist und solidarisches Handeln möglichst vieler erfordert. Gerade der Machtanspruch, Kriege vorzubereiten und zu führen, duldet keinen Widerspruch. Und so prallt an militaristischen Betonköpfen jedes Argument für die Rehabilitierung der »Kriegsverräter« ab. Geis verweist auf die Möglichkeit einer Aufhebung von Urteilen in berechtigten Einzelfällen. Dabei ignoriert er die Untauglichkeit dieses im Jahre 1998 geschaffenen Verfahrens. Danach kann die zuständige Staatsanwaltschaft ein Todesurteil erst überprüfen, wenn das Opfer einen Antrag stellt. Inzwischen lebt aber kein Verurteilter mehr. Zwar können auch die Hinterbliebenen einen Antrag stellen, die aber in vielen Fällen nicht einmal wissen, weswegen der Vater oder Bruder verurteilt worden ist. Die Allerwenigsten sind im Besitz einer Kopie des Urteils. Sie wissen auch nicht, wo sie nach Unterlagen suchen könnten. Angesichts dieser unüberwindbaren Schwierigkeiten ist es kein Zufall, daß bislang keine einzige Staatsanwaltschaft tätig geworden ist. Nach Geis freilich hat die sogenannte Einzelfall-Regelung sich »hervorragend bewährt« und gut »geklappt« – nämlich in dem beabsichtigten Sinn, die Rehabilitierung bis zum Sankt Nimmerleins-Tag aufzuschieben. Noch besteht aber die Möglichkeit zu verhindern, daß das Unrecht der Wehrmachtsjustiz gültig bleibt. Die breite Mehrheit im Bundestag zugunsten der Rehabilitierung reicht inzwischen bis in die Reihen der CDU-/CSU-Fraktion hinein, die in dieser Sache den peinlichen Norbert Geis nicht mehr als Redner auftreten läßt. Nach einem Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Hans-Hugo Klein (CDU) war der Kriegsverratsparagraph mit seinem viel zu vagen Tatbestand und der zwingend vorgeschriebenen Todesstrafe nichts anderes als »die Grundlage für eine Vielzahl von in die äußere Form von Gerichtsurteilen gekleideten Tötungsverbrechen«. Danach hat sogar Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) seine Vorbehalte gegen die Rehabilitierung fallen lassen. Auch die SPD-Fraktion hat ihre frühere Zurückhaltung aufgegeben. Die Links-Fraktion ist sogar bereit, ihren Antrag zurückzuziehen, wenn ein anderer Antrag gestellt wird. Dazu ist die SPD bereit und sieht sich nur durch den angeblich auch für Gewissensfragen geltenden Koalitionsvertrag, wonach Anträge nur gemeinsam gestellt werden dürfen, gehindert. Die Fraktionsführung der CDU/CSU sperrt sich aber aus ungenannten Gründen weiterhin. So ergibt sich eine in der deutschen Parlamentsgeschichte einmalig absurde Situation: Die überfällige Bereinigung von NS-Unrecht droht zu scheitern trotz der in der Sache vorhandenen übergroßen Abgeordnetenmehrheit und entgegen den längst nicht mehr angezweifelten historischen Fakten. Die Entscheidung wird am 17. Juni 2009 im Rechtsausschuß fallen. Wenige Tage darauf wird der Bundestag darüber abstimmen. Für den Fall, daß es in der Koalition nicht doch noch zu einer Einigung kommt, wird in allen Fraktionen die Möglichkeit eines Gruppenantrages diskutiert. Wer diese Initiative unterstützen möchte, kann sich bei der SPD-Fraktion beispielsweise an deren Obmann Carl-Christian Dressel (carl-christian.dressel@bundestag.de) wenden, auch an klaus-uwe.benneter@bundestag.de, christine.lambrecht@bundestag.de oder frank.schwabe@bundestag.de, bei der FDP an max.stadler@bundestag.de. Weitere Informationen unter www.justizgeschichte-aktuell.de (Rubrik »Kriegsverrat«).
Erschienen in Ossietzky 12/2009 |
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