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Alle vier sollen laut Bundesanwaltschaft der »militanten gruppe« (mg) angehören, die innerhalb von acht Jahren unter Berliner Autonomen eine Debatte um militante Aktionsformen angestoßen, sich zu nächtlichen Brandanschlägen auf Dienstwagen staatlicher Einrichtungen bekannt und dabei Themen wie Sozialabbau, Lohndumping, Gentrifizierung (Vertreibung der Bevölkerung aus ihren Stadtvierteln) oder Abschiebungen aufgegriffen hat. Holm stand bereits ein Jahr vor den Festnahmen im Fokus des Bundeskriminalamts. Er hat sich wiederholt mit einem der drei inzwischen angeklagten Männer getroffen (s. Ossietzky 21/07). Kritische Berichterstattung trug dazu bei, daß die Festgenommenen nach mehreren Wochen oder Monaten von der Untersuchungshaft verschont wurden. Bis heute liegen keine eindeutigen Beweise für ihre Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« vor. Die Angeklagten schweigen zu den Vorwürfen. Sie haben lediglich zu Prozeßbeginn eine Erklärung gegen den Krieg in Afghanistan verlesen. Der Prozeß gegen Axel H., Florian L. und Oliver R. wegen versuchter Sachbeschädigung an Militärfahrzeugen könnte vor einem Brandenburger Amtsgericht stattfinden, wäre nicht die Anklage nach § 129 StGB. Deretwegen verhandelt in dieser Sache der Staatsschutzsenat des obersten Berliner Gerichts. Die Anklage wegen Mitgliedschaft in der mg beruht jedoch allein auf Indizien. Ein zentraler Punkt der Anklageschrift ist die Aussage eines Spitzels des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der seinem V-Mann-Führer mitteilte, die drei Angeklagten gehörten der »militanten gruppe« an. Der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, mußte im April 2009 in einem Schreiben an das Gericht eingestehen, daß die Erkenntnisse des Informanten lediglich vom Hörensagen stammen. Damit hat diese Quelle ihren Beweiswert verloren. Im Laufe des Prozesses kam die zentrale Rolle des Verfassungsschutz in dem Verfahren zutage. Der Geheimdienst hat mit Hinweisen mehrere Ermittlungsverfahren in Sachen »militante gruppe« initiiert. In regelmäßig stattfindenden Gesprächen zwischen BKA und Verfassungsschutz folgten weitere Informationen, die für die Ermittler des BKA sämtlich nicht überprüfbar waren, aber als wahr angenommen wurden. Dies geschah, so ein BKA-Beamter am letzten Verhandlungstag vor der Pfingstpause, obwohl beispielsweise bei der Textauswertung linguistische Gutachten des BKA zu anderen Ergebnissen gekommen waren. Auf Grundlage der fragwürdigen Geheimdienstinformationen schufen sich die ermittelnden BKA-Beamten ein Bild der »militanten gruppe«, in das sie ihre eigenen Erkenntnisse integrierten – eine brisante Denk- und Vorgehensweise, gefährlich vor allem für die politischen Aktivisten, die seit Jahren dauernd bei allem, was sie tun, überwacht werden. Gegen die vermeintlichen mg-Mitglieder machte die Kriminalpolizei von dem gesamten Instrumentarium Gebrauch, das nach Paragraph 129 erlaubt ist: vom Abhören der Telekommunikation über permanente Observationen bis zu Hausdurchsuchungen und einem Lauschangriff. Ein bereits 2001 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« mußte jedoch 2008 eingestellt werden. Die Hinweise des Verfassungsschutzes und die Schlußfolgerungen des BKA hatten sich als falsch erwiesen. Der Prozeß vor dem fünfköpfigen Strafsenat offenbarte weitere abgründige Machenschaften des BKA. Die Behörde hatte sich an der Debatte um militante Aktionsformen mit zwei unter Pseudonym erschienenen Textbeiträgen in der Berliner Zeitschrift Interim beteiligt. BKA und Bundesanwaltschaft hielten diese Information zurück. Durch einen Sortierfehler beim BKA gelangte eine Fotokopie mit folgendem Warnhinweis an die Anwälte: »Nur für die Handakte: Der Text wurde vom BKA verfaßt und an die Interim versandt, um eine Reaktion bei der ›militante gruppe (mg)‹ zu provozieren.« BKA-Beamte hatten im Prozeß ein furchterregendes Szenario an die Wand gemalt, um die Gefährlichkeit einer Debatte zu belegen, an der sie, wie sich damit zufällig herausstellte, selbst beteiligt waren – indem sie zum Beispiel »eine klare Stellungsnahme« zu provozieren versuchten. Die Rechtsanwälte der Angeklagten beanstanden nun, daß die Behörde geheime Akten führt, die dem Gericht und der Verteidigung vorenthalten werden. Sie sprechen von Aktenmanipulation und erklären: »Spätestens jetzt kann der Prozeß gegen unsere Mandanten nicht mehr als faires Verfahren bezeichnet werden.« Daß aber auch die Richter, die in den kommenden Monaten ein Urteil sprechen müssen, kein Aufklärungsinteresse zeigen und sich nicht um die Hinzuziehung der Handakten bemühen, erfüllt mich als Prozeßbeobachter mit einem schalen Gefühl. Weitere Informationen: http://einstellung.so36.net
Erschienen in Ossietzky 11/2009 |
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