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In der BRD vergeht kein Wochentag, an dem nicht an mindestens einem Ort protestiert und gestreikt wird: gegen Entlassungen, Lohnkürzungen, Tarifbetrügereien. Daran ändern auch die beruhigenden Worte und Gesten von Kabinett und Kapital nichts. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann freudig voraussagen, daß nach Ende der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise die Bundesrepublik stärker dastehen werde als heute, die SPD-Präsidentschaftkandidatin Gesine Schwan mag vor einer »wachsenden Wut der Menschen« warnen und damit Parteien, Arbeitgeber und Gewerkschaftsvorstände indirekt auffordern, die Menschen zur Zurückhaltung zu mahnen, wie es auch die Kirchen tun. All das ändert nichts daran, daß ein Knistern in der Luft liegt. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Landesbischof Huber, meint: »Das Einfordern sozialer Verantwortung ist wichtiger, als soziale Unruhen anzukündigen.« Der katholische Moraltheologe Professor Eberhard Schockendorf (Freiburg/Breisgau) hat sogar einen Ausweg aus der Krise gefunden: »Mehr Ethik in den Chefetagen, und alles wird wieder gut.« Indirekt stimmt ihm der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, zu, der in vollem Ernst behauptet: »Wir sitzen alle in einem Boot.« Die Unruhe wächst dennoch, selbst wenn willfährige wissenschaftliche Institute wie das Mannheimer »Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung« jüngst im Mai sagte, schon ab Mitte des Jahres werde es wieder aufwärts gehen. Auch Gesetze wie das über die Abwrackprämie beim Kauf eines neuen Autos heben die Sorgen nicht auf, desgleichen das rechtzeitig zur Bundestagswahl erlassene neue »Rentengesetz«. Es garantiert zwar, daß die staatliche Rente nicht gekürzt werden darf. Sogar ein sinkendes Lohnniveau soll nicht zu Lasten der Rentner gehen – allerdings nur bis 2011. Als sicher gilt, daß dann – Wirtschaftsentwicklung hin oder her – eine Serie von Nullrunden folgt, die jetzt verteilten »Geschenke« also wieder einkassiert werden. Die Hoffnung der Mächtigen, durch solche Ankündigungen, Gesten und Versprechen die Protestbewegungen klein zu halten, könnte trügen. Denn trotz aller beruhigenden Worte – auch aus dem Munde von Gewerkschaftsvorsitzenden – gibt es keinen Tag, an dem nicht Menschen auf die Straße gehen und für soziale Gerechtigkeit, auskömmlichen Lohn und sichere Arbeitsplätze demonstrieren. Als Beispiele seien hier nur die entsprechenden Meldungen eines einzigen beliebigen Wochentages im Mai aus einer Regionalzeitung angeführt: »Die Erzieherinnen wollen ihre Gesundheit besser geschützt sehen. Deshalb gab es in den Kindergärten der Region Warnstreiks« – »Der Waldkircher Verpackungshersteller Faller organisiert die Produktion neu und spart dabei trotz heftiger Proteste 50 Arbeitsplätze ein« – »1,4 Millionen Schulstunden fallen in Baden-Württemberg wegen fehlender Lehrkräfte aus« – »Die Deutsche Post will das Briefporto erhöhen und die Arbeitszeit der 80.000 Briefträger ohne Lohnausgleich verlängern. Die Gewerkschaft ver.di kündet heftigen Potest an« – »Das Continental-Reifen-Unternehmen will neben Hannover ein französisches Werk schließen. Französische Arbeiter zünden Reifen an und verwüsten das Verwaltungsgebäude in Compiègne« – »Schaeffler, der Continental übernommen hat, will mehrere tausend Arbeitspläze abbauen. Kenner rechnen mit heftigen Unruhen« – »Call-Center Arvato entläßt in Freiburg 29 Mitarbeiter trotz der Proteste der Belegschaft«. Der Druck wächst, aber zu meiner Freunde auch die Gegenwehr – in Frankreich, in Deutschland und in vielen anderen Staaten, in denen die Oligarchie jetzt ihre Pfoten weiß färbt. Menschenrechte sind ihr allemal egal und nur die Profite von Bedeutung. Die Arbeitnehmer scheinen die Herausforderung anzunehmen: Sie probieren neue Protestformen aus oder finden zu alten zurück, lernen aus ihren Erfahrungen, lassen sich nicht mehr so leicht beschwatzen, werden selbstbewußter und auch frecher. »Wir befinden uns offensichtlich in einer vorrevolutionären Zeit«, schreibt Dominique de Villepin. Hat der alte Aristokrat wohl den richtigen Riecher? Und was wird ihm dann noch einfallen, um die Gefahr zu bannen?
Erschienen in Ossietzky 10/2009 |
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