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Da gab es ein Verfahren wegen der Blockade der Bild-Zeitungsauslieferung nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke. Und immer stellte sich die Justiz letztinstanzlich hinter die Aktionen der Staatsgewalt, die diese nach Auffassung der Verteidigung durch Grundrechte unserer Verfassung gedeckten Widerstandshandlungen gewaltsam unterdrückt hatte. Nur im Fall des von mir verteidigten, damals noch revolutionär gesinnten Daniel Cohn-Bendit, dem ein Sprung über ein polizeiliches Absperrgitter als Landfriedensbruch angelastet wurde, fand ich in dem letztinstanzlich zuständigen Oberlandesgericht Frankfurt am Main Richter, die den Freiheitsrechten den Vorzug gaben. Auch in sogenannten Terroristenprozessen bin ich als Verteidiger tätig geworden und war als solcher üblen Verdächtigungen und Anfeindungen ausgesetzt, die alles übertrafen, was schon der als »Kommunistenverteidiger« verschriene Anwalt hatte einstecken müssen. Dabei spielte eine mit Halbwahrheiten und Lügen gespickte Medienkampagne gegen »die Terroristenverteidiger« eine Rolle, an der beamtete Juristen und Politiker wider besseres Wissen mitgewirkt haben. Diese Kampagne führte nicht nur zu anonymen Beschimpfungen und Drohungen, sondern auch zu entwürdigenden Durchsuchungen bei Gefängnisbesuchen und vor Betreten von Gerichtssälen. Ich möchte unerörtert lassen, ob manches von dem zutraf oder erlogen war, was einigen Anwaltskollegen als Überschreitung anwaltlicher Befugnisse vorgeworfen wurde. Für mich kann ich jedenfalls in Anspruch nehmen, daß ich auch auf diesem Felde nur das getan habe, was meine Pflicht als Strafverteidiger war. So habe ich Ulrike Meinhof, als deren Verteidiger ich in vielen Veröffentlichungen immer wieder genannt werde, nur während der Zeit ihrer Untersuchungshaft anwaltlich vertreten, was angesichts mörderischer Haftbedingungen im Toten Trakt der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf sehr nötig war. Eine Verteidigung in der Stammheimer Hauptverhandlung, die ihren Vorstellungen entsprochen hätte, habe ich mit Entschiedenheit abgelehnt, da sie mich mit meiner pazifistischen Grundeinstellung und meinen politischen Überzeugungen in Konflikt gebracht hätte. Vergeblich habe ich bei zahlreichen Gefängnisbesuchen in Gesprächen mit dieser Mandantin, die einst die intelligenteste Sprecherin der sozialistischen Linken gewesen war, um die Einsicht gerungen, daß man die Gesellschaft nicht durch individuellen Terror verändern kann. Vier weitere in der Medienöffentlichkeit als »Terroristenprozesse« bezeichnete Verfahren, in denen es um traditionelle Verteidigung gegen falsche Zeugenaussagen ging, habe ich als Verteidiger durchgestanden. Der erste war 1972 der Fall Werner Hoppe. Hoppe war als Begleiter seiner Freundin Petra Schelm in Hamburg in eine Polizeikontrolle geraten. Petra Schelm, die der »Rote Armee Fraktion« (RAF) angehörte, mißachtete das Haltesignal und fuhr weiter, ein Polizeifahrzeug verfolgte sie und stellte sie in einer Seitenstraße. Es kam zu Schußwechseln, Petra Schelm wurde tödlich getroffen, Hoppe warf seine Pistole einem Polizisten zu und ergab sich. Obwohl aus seiner Pistole laut Sachverständigengutachten wahrscheinlich höchstens zwei Schüsse abgefeuert sein konnten und nur eine seiner Waffe zuzuordnende Patronenhülse gefunden wurde, verurteilte ihn das Gericht wegen versuchten Totschlags in drei Fällen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Es erklärte höchst fragwürdige Aussagen von Polizeibeamten für glaubwürdig und unterstellte, Hoppe müsse ein ganzes Magazin leergeschossen und weggeworfen haben. Auch dies eine willkürliche Feststellung, da die ganze Gegend mit Metallsuchgeräten abgesucht worden war. Dies war eines der Verfahren, bei denen das politische Bewußtsein der Richter und Schöffen und eine haßerfüllte Presseöffentlichkeit das Klima und das Ergebnis des Prozesses mitbestimmten. In zwei weiteren Verfahren – nämlich in den Fällen Karl Heinz Roth und Astrid Proll – gelang es, die falschen Zeugenaussagen von Polizisten zu widerlegen und Freisprüche zu erzielen. Im Fall Karl Heinz Roth, in dem es ebenfalls um eine Schießerei ging, bei der zwei Menschen getötet worden waren, tauchten von der Polizei zurückgehaltene Fotos auf, die ein kurz nach dem Vorfall vorbeikommender Fotojournalist aufgenommen hatte. Sie zeigten, daß der schwerverletzt neben seinem Fahrzeug liegende Roth entgegen der Behauptung der Polizisten keine Pistole in der Hand hatte. Im Fall Astrid Proll brachte ein bisher unbekannter Augenzeuge des Tatgeschehens, ein Beamter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Wende und den Freispruch. Während im Fall Roth der Freispruch gegen einen schließlich mit Erfolg als befangen abgelehnten Vorsitzenden erkämpft werden mußte, der seine Feindseligkeit gegen den Angeklagten und die Verteidiger in schikanösen und willkürlichen Entscheidungen praktiziert hatte, fand der Prozeß gegen Astrid Proll unter dem Vorsitz einer souverän rechtsstaatlich verhandelnden Vorsitzenden statt, die sich Manipulationen der Wahrheitsfindung durch lügende Polizeibeamte und deren Behörden nicht gefallen ließ. Auch die Freigabe des bis dahin geheimgehaltenen Augenzeugen durch den damals amtierenden liberalen Innenminister Gerhart Baum gehörte zu den Besonderheiten dieses Verfahrens, das in jeder Hinsicht eine rühmliche Ausnahme von den sonst geradezu terroristischen Verfahrensmodalitäten vieler Terroristenprozesse blieb. Nur eine für Terroristenprozesse typische Vereinfachung der Schuldfeststellung sei hier erwähnt: der Grundsatz der »Kollektivität«, nämlich die Unterstellung, daß allen Angehörigen einer Gruppe der RAF alle Straftaten dieser Gruppe zuzurechnen sind, auch wenn ihre unmittelbare Beteiligung nicht bewiesen werden kann. Mit Recht findet es deshalb der Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts Buback erstaunlich, daß für den Mord an seinem Vater mehrere RAF-Mitglieder verurteilt worden sind, die, wie sich jetzt herausstellt, gar nicht am Tatort gewesen sind. Sehr viel berechtigter wäre es gewesen, die in einem Vernichtungslager der Nazis tätig gewesenen Funktionäre für alle in diesem KZ verübten Morde verantwortlich zu machen, wie es der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer vergeblich gefordert hat. Der Grundsatz der Kollektivverantwortung hätte bei den organisierten Massenmorden der Naziverbrecher den oft kaum zu führenden Beweis konkreter Einzeltaten erspart. Aber Fritz Bauers Rechtsauffassung fand nicht die Billigung der konservativen Juristen im Bundesgerichtshof (BGH), die sich lieber als Erfinder von Rechtskonstruktionen hervortaten, mit denen NS-Verbrechern die Chance der Straflosigkeit eröffnet wurde. So gab es nach der Rechtsprechung des BGH für die Massenmorde der SS und der Wehrmacht nur wenige Täter, nämlich Hitler und ein paar seiner engsten Kumpane, während die unzähligen Massenmörder bis hinauf zum SS-General nur als Gehilfen ohne eigenen Täterwillen eingestuft wurden – was bei den meisten zur Straflosigkeit wegen Verjährung führte. Man fand auch Gründe, die Blutjustiz des Volksgerichtshofs, der Sondergerichte und der Kriegsgerichte ungesühnt zu lassen. Erst 1995, als diese und andere zur Begünstigung von NS-Verbrechern erfundenen Konstruktionen bei der Aburteilung von Offizieren der Nationalen Volksarmee und von Richtern der DDR-Justiz hinderlich gewesen wären, bekannte sich der BGH dazu, daß die Kritik an seiner Rechtsprechung berechtigt gewesen sei. Auch diese Seite einer mit den Angeklagten sympathisierenden politischen Justiz habe ich als Anwalt kennengelernt, nämlich als Nebenklagevertreter der Tochter des 1944 auf Befehl Hitlers im KZ Buchenwald erschossenen Vorsitzenden der KPD, Ernst Thälmann. Wolfgang Otto war als »Spieß« und rechte Hand des Lagerkommandanten für Hinrichtungen zuständig und ist nach dem Krieg von einem US-amerikanischen Militärgericht wegen der an ausländischen Häftlingen begangenen Morde als Kriegsverbrecher zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden – ein vielleicht auf Kronzeugenregelung zurückzuführendes mildes Urteil, von dem er nur sieben Jahre verbüßen mußte. Nach Zeugenaussagen ehemaliger Häftlinge und eines aussagewilligen SS-Kameraden hat Otto auch an der Ermordung Thälmanns unmittelbar mitgewirkt. Trotzdem hat sich die für die Verfolgung von Nazi-Verbrechen zuständige Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen, die von einem ehemaligen nationalsozialistischen Führungsoffizier geleitet wurde, jahrzehntelang mit wechselnden, teilweise absurden Begründungen geweigert, Otto wegen dieses Mordes anzuklagen. Es vergingen fast 40 Jahre, bis endlich ein von mir betriebenes Klageerzwingungsverfahren dazu führte, daß die Staatsanwaltschaft die vom zuständigen Oberlandesgericht verfügte Anklage erheben mußte. Überraschend kam es beim Landgericht Krefeld zu einer Verurteilung des Angeklagten: vier Jahre Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord. Ein Urteil, das in der Öffentlichkeit mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wurde und eine Wende in der justiziellen Abrechnung mit Naziverbrechen anzukündigen schien. Aber der Bundesgerichtshof fand einen Weg, auch diesem Naziverbrecher zum Freispruch zu verhelfen. Obwohl der BGH als Revisionsinstanz nur für die Korrektur von Rechtsfehlern zuständig ist, warf man in Karlsruhe die Frage auf, ob der Angeklagte Wolfgang Otto möglicherweise zum Zeitpunkt der Tat gar nicht im Lager anwesend war. Ein Verteidigungseinwand, auf den der Angeklagte selbst noch nicht gekommen war, den er sich aber bei der erneuten Hauptverhandlung prompt zu eigen machte. Obwohl es mir mit Unterstützung eines Ost-Berliner Kollegen gelang, aus Archivbeständen der DDR die Fernschreibbücher des KZ Buchenwald beizubringen, aus denen sich ergab, daß Wolfgang Otto in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 den Empfang mehrerer Fernschreiben schriftlich bestätigt hatte, sich also im Lager aufgehalten hatte, sprach das Landgericht Düsseldorf, an das der BGH die Sache verwiesen hatte, den angeklagten SS-Funktionär frei. In der Begründung hieß es, daß das Gericht nicht mit letzter Sicherheit überzeugt sei, ob Thälmanns Ermordung wirklich in der Nacht vom 17. zum 18. August 1944 erfolgt ist. Eine für uns überraschende Begründung, da wir bei rechtzeitiger Erörterung dieser Frage auch für andere Nächte den Beweis der Anwesenheit des Angeklagten hätten führen können. Otto war, obwohl er nicht verschwiegen hatte, im KZ Buchenwald an der Ermordung von 8000 wehrlosen russischen Kriegsgefangenen beteiligt gewesen zu sein, in Nordrhein-Westfalen als Lehrer eingestellt worden. Er durfte die Schüler in Religion und Geschichte unterrichten. Vielleicht sind bei ihm oder seinesgleichen auch die Juristen zur Schule gegangen, die noch im Jahr 2008 einem NPD-Funktionär zubilligten, die Farben der deutschen Bundesflagge als »schwarz-rot-senf« zu verhöhnen. Begründung: Freiheit der Meinungsäußerung. Zum Schluß will ich noch kurz auf die naheliegende Frage eingehen, ob die antikommunistische Tendenz der politischen Justiz sich mit dem Zusammenbruch des sogenannten real existierenden Sozialismus und dem Wegfall des kommunistischen Feindbildes von selbst erledigt hat. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Plötzlich war vergessen, daß es eine Zeit gegeben hat, in der für Erich Honecker in Bonn der rote Teppich ausgerollt wurde. Das alte Feindbild vom »Unrechtsstaat« DDR wurde reaktiviert, und eine große Welle der Kriminalisierung ergoß sich über DDR-Bürger, die diesem Staat in »staatsnahen« Funktionen, zum Beispiel als Richter oder Offizier, gedient hatten und bisher dank der staatlichen Souveränität der DDR der westdeutschen Strafgewalt entzogen waren. Ich selbst habe 1993 zusammen mit dem Berliner Kollegen Friedrich Wolff den vorletzten Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, beim Landgericht Dresden verteidigt, dem Mitwirkung an der Fälschung der Kommunalwahlen vom Mai 1989 vorgeworfen wurde. Daß Wahlen in der DDR gefälscht wurden, war auch schon zur Zeit des Honecker-Empfangs ein offenes Geheimnis. Die Fälschung zu verhindern oder auch nur zu veröffentlichen, war praktisch unmöglich. Das bestätigte zur Beschämung der Staatsanwälte auch ein von ihnen als Zeuge geladener Oberkirchenrat. Modrow, damals Bezirkssekretär der SED in Dresden, hat vergeblich versucht, dieses letzte Täuschungsmanöver der SED-Zentrale zu verhindern. Und das wollten die in Dresden judizierenden Richter, die sich erfolglos um eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens bemüht hatten, mit der mildesten Sanktion, die das Strafgesetzbuch kennt, der Verwarnung unter Vorbehalt einer Geldstrafe, honorieren. Aber das genügte den Herren in Karlsruhe nicht, sie wollten Modrow zu Freiheitsstrafe verurteilt sehen. Und so endete das Verfahren gegen diesen in der DDR populären und einst auch im Westen als Hoffnungsträger und Honeckers Gegenspieler gefeierten Politiker bei einer anderen Strafkammer mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Der politische Zweck war erreicht, Modrows politische Zukunft ging im Hohn und Haß seiner politischen Gegner unter. Die notleidende Rechtsstaatlichkeit der politischen Justiz in beiden deutschen Staaten hat Friedrich Wolff, der als einstiger DDR-Bürger nacheinander sowohl in der DDR als auch in der BRD Verteidigererfahrungen gesammelt hat, an konkreten Fällen aus seiner Praxis eindrucksvoll beschrieben. Sein viel zu wenig bekanntes Buch »Verlorene Prozesse« (das ich den Osietzky-Lesern früher schon vorgestellt habe) ist die notwendige Ergänzung zu meinen unter dem Titel »Die Republik vor Gericht 1954–1995« erschienenen Memoiren, in denen ich meine eigenen Prozeßerfahrungen ausführlicher dargestellt und auch einige Lichtblicke erwähnt habe, die die Hoffnung begründen, daß es sich lohnt, um eine Verwirklichung des rechtsstaatlichen Anspruchs zu kämpfen. Der erste Teil dieses Beitrags erschien in Ossietzky 8/08. Erinnert sei hier an zwei frühere Publikationen unseres Autors, von denen Impulse für den demokratischen Diskurs ausgingen: »Politische Diffamierung der Opposition im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat«, Verlag pläne 1962; »Politische Justiz 1918–1933«, Lamuv Verlag 1987.
Erschienen in Ossietzky 9/2009 |
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