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Unsere zuverlässig systemtreuen Medien bekräftigten ihn, zumal die Co-Vorsitzenden der Linkspartei, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky, es ablehnten, für die DDR den Begriff »Unrechtsstaat« zu verwenden, und Bodo Ramelow, Vize-Vorsitzender ihrer Bundestagsfraktion, gar behauptete: »16 Millionen ehemaligen DDR-Bürgern heute zu sagen, sie hätten in einem Unrechtsstaat gelebt, heißt diesen Menschen ihre Erinnerung umzudeuten.« Welche Unverschämtheit! Die Berliner Zeitung, nur sie sei hier stellvertretend für das zutiefst empörte Medienecho erwähnt, entsorgte sie umgehend auf einer Mülldeponie. »Bis heute«, so ihr Autor Christian Bommarius, »ist die Linke das Müllmännchen unter den deutschen Parteien – in der Entsorgung der Geschichte, vor allem ihrer eigenen, läßt sie sich von niemandem übertreffen.« Ihr Versuch, »die Erinnerung von 16 Millionen ehemaligen DDR Bürgern in die Tonne zu treten«, sei »inakzeptabel«. Großherzig räumte er allerdings ein, daß »das Unglück vieler, in den zwei deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts gelebt zu haben, bei manchem das Bewußtsein ausgelöscht hat, überhaupt in einer Diktatur gelebt zu haben ...« Die Streiter gegen die Verklärung der DDR durch die Linkspartei erhalten nicht selten auch Beistand aus den Reihen dieser Partei selbst. Nur allzu gut in Erinnerung sind die Erklärungen von Andrè Brie, wonach die DDR nicht verbrecherischer, aber totalitärer als der Nationalsozialismus gewesen sei, und von Helmut Holter, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, für den das »SED-Regime« von »Terror, Mord und Repression« gekennzeichnet war. Im Superjubiläumsjahr springen ihnen neue DDR-Aufarbeiter zur Seite. Der ehemalige Fraktionschef der Linken im sächsischen Landtag, Peter Porsch, und andere erarbeiteten ein Thesenpapier, in dem die DDR als »Diktatur« bezeichnet wird, »in der viele ihrer Bürger Zwang, Angst, Hilflosigkeit und Unterdrückung erlebten«. Ihre Wertungen vermitteln den Eindruck, viele DDR-Bürger hätten 40 Jahre unter der Willkürherrschaft von Diktatoren wie Salazar und Franco oder von Landvögten vom Schlage eines Hermann Geßler gelitten. »Überall sind Geßlerhüte aufgestellt, die es zu grüßen gilt. Durch den Gebrauch von vorgegebenen Sprachregelungen wie ›Unrechtsstaat‹, ›zweite Diktatur‹... kann die/der Ostdeutsche Signale der Bereitschaft aussenden, sich dem offiziellen Gut-Böse-Schema ... zu unterwerfen«, erklärten anschaulich der Vorsitzende des Marxistischen Forums Sachsens, Ekkehard Lieberam, und Rechtsanwalt Roland Wötzel. Und sie sind nicht die Einzigen, die es wie einst Wilhelm Tell ablehnen, Geßlerhüte zu grüßen. Auf einer Konferenz des sächsischen Landesverbandes der Linkspartei stießen die Thesen von Porsch und anderen auf scharfe Kritik, in deren Ergebnis sie nicht angenommen, sondern zu einem »unverbindlichen Diskussionspapier« herabgestuft wurden. Das hinderte Professor Dieter Klein (Rosa-Luxemburg-Stiftung) allerdings nicht daran, die Thesen und damit auch das Wort »DDR-Diktatur« und andere krasse Bewertungen im Schlußwort wortreich zu verteidigen. »Zwang, Angst, Hilflosigkeit und Unterdrückung« gibt es sicher in jedem Staat. Die Frage ist, wie groß sie sind und ob sie zu- oder abnehmen. In der DDR, gerade in deren letzten Jahren, scheinen sie nicht allzu groß gewesen zu sein. Immerhin hielt nach offiziellen Umfragen schon 1995 eine überwiegende Mehrheit der Ostdeutschen die DDR auf sieben von neun Gebieten gegenüber der Bundesrepublik für überlegen: bei der Gewährleistung von sozialer Sicherheit und der Gleichberechtigung der Frau, in der Schulbildung, Berufsausbildung und im Gesundheitswesen, bei der Versorgung mit Wohnungen und beim Schutz vor Verbrechen. 79 Prozent hielten die Idee des Sozialismus für gut, 89 Prozent schätzten ein, daß der Zusammenhalt der Menschen untereinander stärker war als in der Bundesrepublik. Zehn Jahre später hat sich an dieser Einschätzung nichts zugunsten der Bundesrepublik verändert. Im Gegenteil, Lieberam und Wötzel weisen darauf hin, daß seit 1994 der Anteil der Ostdeutschen, die mit der praktischen Gestaltung der Demokratie in der Bundesrepublik »zufrieden« sind, von 17 auf zwölf Prozent gesunken ist. Nach ihrer Auffassung ist »das in Ostdeutschland besonders ausgeprägte kapitalismuskritische linke Alltagsbewußtsein eng mit Erfahrungen einer nichtkapitalistischen Gesellschaftsordnung verbunden«. Angesichts dieses »Alltagsbewußtseins« kann es nicht überraschen, daß auch der eingangs zitierte Autor der Berliner Zeitung, der mehr Respekt vor den Geßlerhüten à la mode fordert, auf heftigen Widerspruch stieß. Das Blatt sah sich veranlaßt, eine ganze Reihe von Briefen ihrer Leser zu veröffentlichen, die sich mit seiner »Agitation aus der Mottenkiste« auseinandersetzen. An den Autor gewandt, fragt einer von ihnen: »Wissen Sie, womit die meisten der ehemaligen DDR-Bürger vermutlich die größten Probleme haben? Daß sie aus einer Diktatur der Einmauerung in eine Diktatur des Geldes geraten sind, die ihnen nicht einmal das Recht auf Arbeit zugesteht. Anstelle der Stasi schnüffeln nun die Unternehmen ihre Mitarbeiter gleich selber aus. Gebrauch von der vielgepriesenen unabhängigen Justiz kann der am besten machen, der am längsten seinen Anwalt bezahlen kann. Es wäre besser, mit dem ewigen Gekeife über die DDR aufzuhören.« Ein anderer meint: »Die Begrifflichkeit ›zweite deutsche Diktatur‹ sucht den bewußten und unsäglichen Vergleich mit dem verbrecherischen NS-Staat ... Die DDR war ein Staat, in dem manch bürgerliche Freiheitsrechte fehlten, soziale Menschenrechte aber verwirklicht waren. Sie ... pauschal zu verurteilen, ist ebenso einfach wie falsch, ein offensichtlicher Versuch, die Linkspartei zu delegitimieren und dazu geeignet, von den heutigen Begebenheiten abzulenken.« Solche und ähnliche Auffassungen sind keinesfalls untypisch für die allgemeine Stimmungslage. Doch Porsch und seine Unterstützer, darunter die Landesvorsitzende der sächsischen Linkspartei, Cornelia Ernst, schert das einen feuchten Kehricht. Sie argumentieren munter an der Meinung eines großen Teils der Ex-DDR-Bürger vorbei. Das kann leicht zum eigenen Schaden ausschlagen, zumal in einem Jahr, in dem nicht nur viele Jubiläen, sondern auch viele Wahlen bevorstehen. Die Linken unter den DDR-Aufarbeitern sind gut beraten, sich noch einmal die »Anregungen« des Ältestenrats der Linkspartei »zum Umgang mit der Geschichte« zu Gemüte zu führen. Darin setzt sich der Rat für ein kritisches Herangehen an die Bewertung der DDR ein. Zugleich warnt er: »Die Anpassung an das heute vorherrschende und instrumentalisierte Geschichtsbild, das von Antikommunismus und Idealisierung der kapitalistischen Marktwirtschaft geprägt ist, wäre mehr denn je ein gefährlicher Irrweg für die Partei DIE LINKE.« Die Alten im Rat der Partei arbeiten allesamt ehrenamtlich. Ihr Rat ist nicht teuer, aber ihn in den Wind zu schlagen, könnte der Linkspartei teuer zu stehen kommen.
Erschienen in Ossietzky 8/2009 |
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