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Wie es um die Rechtsstaatlichkeit der politischen Justiz steht, beantwortet sich nicht nach der Regel, daß alles, was die Staatsgewalt in einem Rechtsstaat tut, rechtsstaatlich sei. Man muß den Blick auf die exemplarischen Fälle richten und dann konkret fragen, ob Verfahren und Urteil rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprochen haben. Ging es wirklich um den Schutz von Rechtsgütern oder nicht vielmehr um die justizförmige Durchsetzung einer bestimmten Regierungspolitik? Haben die Richter beachtet, daß die Freiheitsrechte des Grundgesetzes – vor allem die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit – allen Bürgern und nicht nur Aktivisten einer bestimmten politischen Richtung zustehen? Wie ist man mit den in der Strafprozeßordnung und den darin verbürgten Rechten des Angeklagten und der Verteidigung umgegangen? Wie war es um die Wahrheitsfindung bestellt? Geben die im Urteil festgestellten Tatsachen das Ergebnis der Beweisaufnahme zutreffend wieder? Wurden bei der Bewertung von Zeugenaussagen Repräsentanten der Staatsgewalt bevorzugt? Verfuhren die Richter bei der Auslegung des Gesetzes nach objektiven Maßstäben, oder ging es nur um die von jedem Juristen beherrschte Kunst, das politisch erwünschte Ergebnis juristisch zu begründen? Dies ist nur eine Auswahl aus der Fülle von Fragen, die zu klären sind, bevor gesagt werden kann, ob die politische Justiz ihren rechtsstaatlichen Anspruch erfüllt oder ob sie versagt hat. Als ich 1954 in Bremen als Rechtsanwalt zugelassen wurde, steckte ich voller rechtsstaatlicher Ideale, die mir auf der Universität beigebracht worden waren. Ich hatte gelernt, daß wir nun, nach dem Zusammenbruch des Hitler-Reichs, in einer freiheitlichen Demokratie lebten, in der alle Menschen und alle politischen Parteien und Organisationen gleichberechtigt an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken durften. Ich hatte gelernt, daß das an Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas und anderen den Nazis mißliebigen Bevölkerungsgruppen verübte Unrecht soweit wie möglich wiedergutgemacht werden mußte. Und ich glaubte, in der Justiz ein Berufsfeld vorzufinden, auf dem nach Gerechtigkeit für jeden Bürger dieses Staates gestrebt wurde. Aber meine Erfahrungen in der Berufspraxis ließen meine rechtsstaatlichen Illusionen wie eine Seifenblase zerplatzen. Schon mein erster Strafprozeß – die Pflichtverteidigung eines Kommunisten, der mit der Polizei kollidiert war – machte mir bewußt, daß in der bundesdeutschen Justiz noch das Freund-Feind-Denken der Nazizeit herrschte. Der Angeklagte hatte an einer Demonstration von Arbeitslosen teilgenommen, bei der es zu polizeilichem Knüppeleinsatz gekommen war. Mein Mandant war von einem Schlag am Auge getroffen und schwer verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft klagte nicht etwa den Polizeibeamten wegen Körperverletzung im Amt an, sondern den verletzten Kommunisten, dem die am Prügeleinsatz beteiligten Beamten zur Rechtfertigung ihres Vorgehens vorwarfen, er habe Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet. Ich hatte als Verteidiger Zeugen benannt, die den Aussagen der Polizisten widersprachen und bekundeten, daß der Angeklagte grundlos geschlagen worden war, als er gerade im Begriff war, ein heruntergefallenes Plakat aufzuheben. Mein Beweisantrag hatte lediglich zur Folge, daß die von mir benannten Zeugen, soweit sie Kommunisten waren, ebenfalls auf die Anklagebank kamen, weil sie ja offensichtlich auch an der Demonstration beteiligt waren und sich auf dreimalige polizeiliche Aufforderung nicht entfernt hatten. Dadurch wurden sie als Zeugen ausgeschaltet. Das Gericht folgte den Aussagen der schlagenden Polizeibeamten und verurteilte meinen Mandanten zu einer Gefängnisstrafe. Obwohl ich damals noch ein naiver Anfänger auf dem Gebiet des Strafprozesses war, begriff ich, daß dieses Urteil nicht auf dem Bemühen um objektive Wahrheitsfindung beruhte, sondern einer politischen Einstellung geschuldet war, die ich für überwunden gehalten hatte. Es war für mich der Beginn einer Lehrzeit in deutscher Zeitgeschichte, die mir ein anderes als das von den Herrschenden, ihren Medien und ihren Richtern erzeugte Bild vermittelte. Ich begriff, daß das fast vollständig übernommene alte Justizpersonal des Hitler-Staates wieder in seinem Element war und mit neuer ideologischer Etikettierung wiederholen durfte, was es schon unter Hitler gegen Kommunisten und andere Kriegsgegner und Antifaschisten getan hatte. Als im Juni 1955 der »Stahlhelm«, eine einst mit den Nazis verbündete reaktionäre Organisation, in Goslar eine Veranstaltung durchführte, bei der der von einem englischen Militärgericht wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilte und später im Rahmen der Remilitarisierung begnadigte und aus der Haft entlassene Generalfeldmarschall Kesselring sprechen sollte, organisierte der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Gegendemonstration. Die Polizei schützte, wie man das bis in unsere Tage kennt, die Neonazis und ging mit Schlagstöcken gegen die Gewerkschafter vor, die den militaristischen Mummenschanz durch Zwischenrufe gestört hatten. Ich hatte drei von ihnen vor Gericht zu verteidigen, denen vorgeworfen wurde, daß sie in der Absicht, eine nicht verbotene Versammlung zu verhindern oder zu sprengen, grobe Störungen verursacht hätten. Sie hatten sich an Sprechchören »Kesselring raus! Faschisten raus!« beteiligt. Vergeblich berief ich mich für meine Mandanten auf die im Grundgesetz garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Nach Ansicht der Richter standen diese Rechte nur den in Goslar versammelten Militaristen und dem von ihnen hofierten Hitler-General zu. Der Schoß, aus dem das kroch, wird nun schon seit über 50 Jahren polizeilich und gerichtlich geschützt. Aber es gibt geschichtsblinde Politiker und Publizisten, die ernstlich fragen, woher die neofaschistischen Gewalttäter und Kriegsflaggenträger kommen. Von November 1959 bis April 1960 war ich an der Verteidigung führender Persönlichkeiten des Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland beteiligt, denen die Staatsanwaltschaft vorwarf, sich als »Rädelsführer in einer verfassungsfeindlichen Organisation« betätigt zu haben. Daß es sich beim Friedenskomitee um den bundesdeutschen Teil einer über alle Kulturstaaten der Erde verbreiteten Weltfriedensbewegung handelte, die außer bei uns nur im damals faschistisch beherrschten Spanien als angebliche kommunistische Tarnorganisation verfolgt wurde, focht die bundesdeutschen Ankläger und Richter nicht an. Sie gingen von der im herrschenden Zeitgeist der Adenauer-Ära verankerten Bedrohungslegende aus, wonach die Rote Armee der Sowjetunion bereitstehe, die Bundesrepublik zu überfallen, so daß die Friedensbewegung nur den Sinn haben könne, das Abendland wehrlos gegenüber der Welt des Bösen zu machen. Alle Beweisanträge der Verteidigung, mit denen wir die Richter über die wirklichen Bedrohungen des Weltfriedens aufklären wollten, gegen die unsere Mandanten mit publizistischen Mitteln gekämpft hatten, wurden vom Gericht unter Mißachtung der bis dahin gültigen Regeln der Strafprozeßordnung zurückgewiesen. In den Augen der vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigten Düsseldorfer Richter konnten die von uns vorgebrachten Fakten und Beweismittel nur kommunistische Propaganda sein, mit der man sich nicht auseinanderzusetzen brauchte. Die westdeutsche Öffentlichkeit hat von diesem fünf Monate dauernden Großverfahren, in dem wir Verteidiger dem Gericht zahlreiche prominente Zeugen der Friedensbewegung aus aller Welt durch direkte Ladung aufgezwungen haben, so gut wie nichts erfahren. Das Schweigen der Medien funktionierte auch ohne Anweisung aus einem Propagandaministerium. Es wurde dafür gesorgt, daß dieses historisch bedeutsame Verfahren auch für nachfolgende Generationen so unbekannt wie möglich blieb. Historisch wertvolle Akten werden in der Regel nach Abschluß der Sache an das Staatsarchiv abgegeben. Mit den Akten des Friedenskomitee-Prozesses ist das nicht geschehen. Sie sind nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden. Mit ihnen etwa 600 Dokumente zum neuen Rüstungswettlauf nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die wir dem Gericht mit unseren Beweisanträgen übergeben hatten. Natürlich gab es auch Strafverfahren, die wirklich kommunistisches Propagandamaterial betrafen. Doch kein Eingriff in die politische Freiheit war in Deutschland je so unsinnig wie die Unterdrückung kommunistischer Meinungsäußerungen. Die Angst der Herrschenden vor einer Revolutionierung der Köpfe hat eine spezifisch deutsche Justiztradition hervorgebracht. Schon in der Weimarer Republik sind Buchhändler, die kommunistische Bücher verkauften, und Schauspieler, die revolutionäre Texte rezitierten, wegen Vorbereitung des Hochverrats verurteilt worden. Vieles von dem, was damals Kommunisten in der geistigen Auseinandersetzung mit dem aufkommenden Hitler-Faschismus gesagt und geschrieben haben, ist durch den Gang der Geschichte bestätigt worden. So der Satz »Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!«, den ich auf Flugblättern fand, die in alten Akten die Zeiten überdauert hatten. In der Bundesrepublik wiederholte sich die justizielle Bekämpfung kommunistischer Meinungsäußerungen, wenn auch nach anderen Paragraphen. Jetzt diente der uferlose Tatbestand des Verstoßes gegen das KPD-Verbot von 1956 als Grundlage für unzählige Urteile, die alles, was sich – ich zitiere ein BGH-Urteil – als »Unterstützung der verfassungsfeindlichen Wühlarbeit des SED-Regimes gegen die Bundesrepublik« interpretieren ließ, für strafbar erklärte. Das betraf nicht nur kommunistische Angeklagte, sondern auch Nichtkommunisten, die irrtümlich angenommen hatten, man dürfe in einer freiheitlichen Demokratie auch kommunistische Meinungsäußerungen dokumentieren. So habe ich 1961 den Inhaber eines christlichen Verlages, der ein von Walter Ulbricht unterzeichnetes Schriftstück veröffentlicht hatte, das, wie es im Urteil vorwurfsvoll heißt, »kommunistisches Gedankengut« enthielt, vergeblich gegen den Vorwurf verteidigt, er habe damit gegen das KPD-Verbot verstoßen. In einer anderen Sache hatte ich im Jahr 1965 einen Journalisten zu verteidigen, dessen Verbrechen laut Anklageschrift darin bestand, daß er die »Wühlarbeit« der verbotenen KPD unter Hafenarbeitern und Seeleuten unterstützt habe, indem er im Auftrag der Partei in verschiedenen Zeitungen Artikel veröffentlicht habe. Das Urteil des Bundesgerichtshofs räumte ein, daß die Artikel meines Mandanten inhaltlich keinen strafrechtlichen Tatbestand erfüllten, aber er hätte sie nicht im Auftrag der verbotenen Partei schreiben dürfen. Seine Artikel hätten im Interesse der verbotenen Partei gelegen, deren vordergründige Nahziele durch sie gefördert worden seien. So habe er die »Herstellung sachlicher Beziehungen zur DDR« verlangt, habe sich wiederholt gegen die Atombewaffnung des »deutschen Militarismus« sowie gegen die Notstandsgesetze ausgesprochen. Auch habe er das »hemmungslose Profitstreben« der »Monopolkapitalisten« gegeißelt. Das Urteil lautete auf zwei Jahre Gefängnis; sein Personenkraftwagen, ein Mercedes 180 D, wurde als Verbrechenswerkzeug eingezogen. Ich habe in diesem Fall Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BGH erhoben und die Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gerügt. Ich argumentierte, daß ein Kommunist nicht deshalb bestraft werden könne, weil er sich im Auftrag einer illegalen Partei legal verhalte. Die Logik des BGH-Urteils laufe doch darauf hinaus: Wenn der KPD das Nahziel einfallen würde, sich hausfrauenfreundlich zu geben, könnte ein Journalist auch dafür bestraft werden, daß er im Auftrag der Partei Kochrezepte veröffentlicht. Aber meine Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen – mit einer 14-seitigen Begründung, deren juristische Formeln in das politische Glaubensbekenntnis mündeten, daß im vorliegenden Fall die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet gewesen sei. Auch das politische Anliegen der Adenauer-Regierung, Kontakte zwischen Bürgern beider deutschen Staaten möglichst zu verhindern, wurde von der Justiz tatkräftig unterstützt. So hatte ich 1962 beim Landgericht Lüneburg einen Bremer Betriebsrat zu verteidigen, dem vorgeworfen wurde, er habe dadurch gegen das KPD-Verbot verstoßen, daß er eine Einladung zu einer Veranstaltung des FDGB, des Gewerkschaftsbundes der DDR, angenommen und dort in einem Diskussionsbeitrag die Verhinderung deutsch-deutscher Kontakte kritisiert hatte. Der Angeklagte war kein Kommunist, sondern hatte bei Kommunalwahlen für die SPD kandidiert. Aber das schützte ihn nicht vor einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten. In der Urteilsbegründung hieß es, man habe strafmildernd berücksichtigt, daß der Angeklagte im Kriege seine Pflicht erfüllt habe. Seine von bundesdeutschen Richtern als Verdienst gewürdigte Pflichterfüllung hatte darin bestanden, daß er 1941 als junger Soldat mit Hitlers Armeen in die Sowjetunion eingefallen und auf Moskau marschiert war. Und noch ein Beispiel für die Bestrafung deutsch-deutscher Kontakte. Ein Arbeiter aus Leipzig wollte Anfang der 60er Jahre seine in Hamburg lebende Mutter besuchen, die er seit Jahren nicht gesehen hatte. Zu seiner Freude hatte er endlich eine Reisegenehmigung erhalten. Die Zustimmung seiner Betriebsgewerkschaft war mit der Bitte verbunden worden, auch den X und den Y in Hamburg aufzusuchen und sie zur Leipziger Messe einzuladen. Kaum in der Bundesrepublik eingetroffen, wurde er von einem Polizisten wegen des Besitzes einer DDR-Zeitung vernommen und erzählte diesem ganz naiv auch von dem geplanten Besuch bei X und Y. Zu seiner Überraschung wurde er festgenommen und angeklagt, für einen verfassungsverräterischen Nachrichtendienst tätig geworden zu sein. Anklage und Urteil belehrten ihn darüber, daß die Betriebsgewerkschaft, die seine Reise befürwortet hatte, Teil des FDGB und diese Organisation »Transmissionsriemen« der SED für deren verfassungsfeindliche Ziele sei. Um die Diktatur des Proletariats in der Bundesrepublik einzuführen, unterhalte der FDGB eine Nachrichtenorganisation, die um Beschaffung von Nachrichten aller Art bemüht sei. Er habe sich bereit erklärt, die Nachricht zu beschaffen, ob X und Y zur Leipziger Messe kommen würden. Ich werde einen Satz aus dem Munde dieses von der Bundesrepublik enttäuschten DDR-Bürgers nicht vergessen: »Etwas anders hatte ich mir die westliche Freiheit doch vorgestellt.« Die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, da man ihm glaubte, daß er von weiteren Reisen in die BRD absehen werde. Aber es wurde dafür gesorgt, daß er zwangsweise zur Grenze gebracht wurde, ohne den X und den Y zur Leipziger Messe eingeladen zu haben. Und auch seine Mutter hat vergeblich auf ihren Sohn gewartet. Lorenz Knorr (Jahrgang 1921) hatte im Sudetenland als Sozialist gegen die Nazis gekämpft, war wiederholt verhaftet worden und hatte den Krieg nur mit viel Glück überlebt. Nach dem Krieg hatte er führende Funktionen in der SPD, die er aus Protest gegen deren Verrat sozialistischer Positionen 1960 verließ. Er gehörte dann zu den Gründern der Deutschen Friedens-Union (DFU), einer Partei, die, ebenso wie zuvor schon Gustav Heinemanns Gesamtdeutsche Volkspartei, an der üblichen antikommunistischen Diffamierung linker Parteigründungen scheitern sollte. Kaum hatte er die schützende Hand der SPD verlassen, nahm sich die politische Justiz seiner an. Eine Rede, die er im Juli 1961 in Solingen gehalten und bei der er bestimmte namentlich genannte Generale der Bundeswehr als »Nazi-Generale« und »Massenmörder« bezeichnet hatte, bot den Anlaß, ihn vor Gericht zu ziehen. Vier Generale und ein Admiral sowie der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß erstatteten Anzeige wegen Beleidigung. Ein Staatsanwalt, der an faschistischer Terrorjustiz beteiligt gewesen war, erhob die Anklage. (Zwei von ihm erwirkte Todesurteile des Sondergerichts Prag gegen tschechische Staatsangehörige, die ihrer Gegnerschaft gegen Hitlers Krieg Ausdruck gegeben hatten, sind erhalten.) Ein Richter, der im Nazi-Reich als Ankläger am Sondergericht Wuppertal gewirkt hatte, war Vorsitzender des Schöffengerichts, das als erste Instanz mit der Sache befaßt wurde. Die als Nazi-Generale und Massenmörder gekennzeichneten Offiziere hatten Hitlers Angriffskrieg in verantwortlichen Positionen mitgemacht und waren an konkreten Kriegsverbrechen aktiv beteiligt. Im Zuge der von der Adenauer-Regierung betriebenen Wiederbewaffnung waren sie wieder zu Ehren gekommen. Daß sie, ebenso wie ihr Dienstherr Franz Josef Strauß, der bekanntlich als »nationalsozialistischer Führungsoffizier« gedient hatte, nicht gern an ihre Vergangenheit erinnert wurden, fand bei den nicht minder belasteten Juristen volles Verständnis. Die von Lorenz Knorr in monatelanger Archivarbeit zusammengetragenen Dokumente wollte das Gericht nicht zur Kenntnis nehmen und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 300 DM. Der Ausdruck »Massenmörder« sei ein beleidigendes Werturteil, demgegenüber ein Wahrheitsbeweis nicht zulässig sei. Auch in der Berufungsinstanz wurden alle Beweisanträge der Verteidigung, mit denen die von den beleidigten Würdenträgern begangenen Verbrechen bewiesen werden sollten, zurückgewiesen und die Geldstrafe auf 2000 DM erhöht. Erst die Richter der Revisionsinstanz (Oberlandesgericht Düsseldorf) erkannten, daß die Beweise hätten erhoben werden müssen, und hoben die vorangegangenen Urteile auf. Zu einer erneuten Verhandlung, die nur mit Freispruch hätte enden können, kam es allerdings nicht. Man ließ die Akten beim Landgericht bis 1972 liegen und stellte dann, elf Jahre nach der »Tat«, das Verfahren ein. In einem Beschluß, der Lorenz Knorr auf den ihm entstandenen erheblichen Kosten sitzen ließ, brachten die Richter noch den Vorwurf unter, daß seine Schuld in hohem Maße wahrscheinlich sei. Also eine Schuld nicht etwa der Massenmörder, sondern des Mannes, der sie als solche bezeichnet hatte. Und dieses Ergebnis brachte man zustande, ohne daß je in öffentlicher Hauptverhandlung über die seinem Werturteil zugrundeliegenden Tatsachen Beweis erhoben worden war. (Wird fortgesetzt)
Erschienen in Ossietzky 8/2009 |
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