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Abwicklung einer SupermachtJürgen Rose In seinem Meisterwerk vom »Aufstieg und Fall der großen Mächte«, das Yale-Professor Paul Kennedy kurz vor dem Ende des Kalten Krieges veröffentlichte, adressierte er vor dem Hintergrund seiner sich über fünf Jahrhunderte erstreckenden Analyse der Geschichte von ökonomischem Wandel und militärischem Konflikt eine unzweideutige Warnung an die Regierenden der atlantischen Hegemonialmacht. »Wohlstand«, so der Gelehrte, »ist in der Regel notwendig, um militärische Macht abzustützen, und militärische Macht ist in der Regel notwendig, um Wohlstand zu erwerben und abzusichern. Wenn aber ein zu großer Teil der Ressourcen des Staates von der Schaffung des Wohlstandes abgelenkt wird und stattdessen militärischen Zwecken zufließt, führt dies wahrscheinlich langfristig zu einer Schwächung der nationalen Macht. Ähnliches gilt, wenn ein Staat sich strategisch überdehnt – zum Beispiel dadurch, daß er ausgedehnte Territorien erobert oder kostspielige Kriege führt. Er läuft dann Gefahr, daß die potentiellen Vorteile dieser äußeren Expansion von den großen Kosten der Unternehmung überschattet werden – ein Dilemma, das akut wird, wenn die betroffene Nation in eine Phase relativen wirtschaftlichen Abstiegs eintritt.« Die Präzision, mit der sich Kennedys – wohlgemerkt vor mehr als zwanzig Jahren getroffene – Prognose erfüllt, ist frappierend. Denn exakt in diese Situation hat die Bush-Junta die nach eigenem Anspruch »unverzichtbare Supermacht« manövriert, nämlich in einen Zustand maßloser strategischer Überdehnung und rapiden ökonomischen Verfalls – Irak und Afghanistan lassen ebenso grüßen wie General Motors (GM) und American International Group (AIG). Der Zeitpunkt, zu dem die Stunde der Wahrheit sich für Bush & Co. zu nähern begann, läßt sich ziemlich genau datieren. Nachdem im Vorfeld der Olympischen Spiele eine widerwärtige anti-chinesische Tibet-Propagandakampagne gestartet worden war, entschloß sich Peking offenkundig dazu, klarzustellen, wie die globalen Machtverhältnisse sich verändert haben. Von Mitte Juli bis Anfang September letzten Jahres reduzierte China Schritt für Schritt seine Beteiligung an den US-Immobilienbanken Fannie Mae und Freddie Mac. Japan schloß sich als zweitgrößter Gläubiger dem chinesischen Vorgehen an. Die US-Regierung, die Tag für Tag mindestens 1,5 Milliarden Dollar an ausländischen Krediten braucht, saß in der Schuldenfalle. Und die Chinesen drohten, noch mehr von ihren gigantischen Devisenreserven in Höhe von 2000 Milliarden Dollar in Euro umzutauschen, so daß der Kapitalzufluß, von dem die USA abhängig waren wie die Junkies von der Droge (sie sind es nach wie vor), austrocknen würde. Am 8. September 2008 war es so weit: Die Bush-Administration kapitulierte und verstaatlichte de facto durch eine 200 Milliarden Dollar teure Rettungsaktion die beiden Pleitebanken. Die Chinesen hatten den gravierendsten Eingriff des amerikanischen Staates in die Wirtschaft seit der Großen Depression in den 1930er Jahren erzwungen. »Eine westliche Niederlage von historischer Dimension«, lamentierte fassungslos das transatlantische Frontblatt vom Hamburger Speersort, Die Zeit. In der Tat hatte sich eindrucksvoll gezeigt, daß internationale Politik, wie schon von Paul Kennedy dargelegt, zuvörderst Geoökonomie ist. Doch »unconditional surrender«, bedingungslose Übergabe, welche die »einzige Weltmacht« ihren Widersachern in der Vergangenheit stets oktroyiert hatte, kam für sie selbst keinesfalls in Frage. Ihre Antwort lautete: Krieg, diesmal jedoch nicht mit militärischen Gewaltmitteln, sondern als weltweiter Währungs-, Finanz- und Wirtschaftskrieg. Den Trigger lieferte Lehman Brothers. Eiskalt und im vollen Bewußtsein der zwangsläufigen Konsequenzen ließen die Bushisten den Pleiteladen über die Klinge springen. Die Insolvenz der Investmentbank war das 9/11 für das Weltfinanzsystem. Und genau wie aus den Trümmern des World Trade Centers und des Pentagons unter dem Rubrum des »Global War on Terror« die Gelegenheit zu einer hemmungslosen militärischen Machtentfaltung erwuchs, lieferte das finanzterroristische Attentat auf die Wall Street die Chancen zur Perpetuierung einer geoökonomischen Konstellation, von der die USA seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges parasitär profitierten. Vereinfacht dargestellt basierte dieses System darauf, daß der Rest der Welt Waren, Güter und Dienstleistungen produzierte und in die USA exportierte, wo sie konsumiert wurden, und daß die Produzenten selber auch noch die Kredite für den US-Konsum, einen Konsum auf Pump, bereitstellen mußten. Zugespitzt formuliert: Die Produzenten bezahlten für ihre eigene Expropriation! Nun lassen sich zwar viele Leute auf lange Zeit für dumm verkaufen, aber nicht alle auf unbegrenzte Dauer. In den letzten Jahren begannen sich die globalen Machtverhältnisse immer schneller zu Ungunsten des Imperiums zu verschieben. Rußland trumpfte nicht nur in Georgien auf, Venezuelas Hugo Chavez verhöhnte die USA, Irans Ahmadinejad erwies sich als druckresistent, und allen voran entwickelten sich die Europäische Union mit ihrem harten Euro als alternativer Weltleitwährung sowie das bereits als zukünftige Supermacht gehandelte China mit seinen enormen Dollarreserven zu Konkurrenten, die für die hegemoniale Vormachtstellung der USA existentiell immer bedrohlicher wurden. Die gegenwärtige Krise hat dem Imperium Americanum nun eine Atempause und erhebliche Positionsgewinne verschafft. Dafür, daß der Zeitpunkt für deren Auslösung im Oval Office kühl kalkuliert worden ist, gibt es einige markante Indikatoren. Den Anfang machte »Madeleines Darling« Joseph Fischer im November 2008, als er konstatierte: »Die globale Wirtschaftskrise hat auch positive Auswirkungen auf die internationale Politik. Ein Ölpreis, der innerhalb weniger Monate von 160 Dollar für das Faß Öl auf unter 50 Dollar gefallen ist, beschneidet drastisch die Möglichkeiten ölproduzierender Rivalen und Gegner der USA wie Rußland, Venezuela und Iran.« Anfang Januar dieses Jahres legte der neokonservative US-Politologe Francis Fukuyama (»Das Ende der Geschichte«) nach, als er ausführte: »Rußland wirkte zum Beispiel sehr stark, als es im August 2008 in Georgien einmarschierte. Doch seit der Ölpreis auf unter 50 Dollar pro Barrel sackte, ist das Land nach außen wie innen geschwächt. Chinas Einfluß beruhte auf seiner zweistelligen Wachstumsrate. Die Wirtschaftskrise wird die sozialen Spannungen drastisch verschärfen. Chinas Regierung wird alle Hände voll zu tun haben, Aufstände zu unterdrücken. … Im Augenblick steckt der Westen in einer schweren Wirtschaftskrise, aber den autoritären Regimen geht es nicht besser, das beruhigt irgendwie.« Noch deutlicher wurde Ende Januar der Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, als er auf die Frage, ob denn ausgerechnet die USA die Gewinner der Krise seien, zu Protokoll gab: »Es könnte sein, daß sie die Macht der Vereinigten Staaten zumindest vorübergehend festigt. Bislang ist übrigens auch der Dollar nicht abgestürzt, sondern hat sogar an Wert gewonnen.« Und in der Tat malen derzeit Berufspessimisten in den Wirtschaftsredaktionen der Konzernmedien Schreckensszenarien vom Ende des Euros bis hin zum Auseinanderbrechen der Europäischen Union an die Wand. Doch dürfte der gegenwärtigen Freude der relativen Krisengewinnler am Potomac letztlich nur kurze Dauer beschieden sein. Der finanzpolitische Amoklauf hat dem Imperium allenfalls eine Verschnaufpause verschafft, mehr nicht. Auf Dauer lassen sich die geoökonomischen Machtverhältnisse nicht mehr umkehren – es sei denn, Washington riskierte einen selbstmörderischen Nuklearkrieg mit China (und Rußland womöglich). Angesichts phantastischer 49.000 Milliarden Dollar Schulden von Staat und Privaten in den USA wird der größte Schuldner der Welt seinen Gläubigern nicht länger das Gesetz des Handels aufzwingen können. Schon hat Barack H. Obama angekündigt, aus Kostengründen einen Teil der US-Besatzungstruppen aus dem Irak abziehen und den Rüstungshaushalt der USA um zehn Prozent reduzieren zu wollen. Es sieht demnach alles danach aus, daß der erste schwarze US-Präsident zugleich als erster Abwicklungsbeauftragter der einstmals »einzigen Weltmacht« in die Geschichte eingehen wird. Good luck, Mr. President! Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr, vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
Erschienen in Ossietzky 8/2009 |
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