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Die Koalition ist groß genug, um immun gegen Erpressung einer ihrer beteiligten Parteien zu sein. Wenn einige Labour-Mitglieder die Koalitionsdisziplin brechen werden, wird Netanyahu immer noch über die Mehrheit kommandieren. Oder wenn die Rechten Probleme machen. Oder wenn ihm die Orthodoxen ein Messer in den Rücken stechen. Die Regierung hat sich auf nichts festgelegt. Seine schriftlich festgelegten »Grundsätzlichen Leitlinien« – ein Dokument, das von allen Partnern einer neuen Regierung unterschrieben wird – sind vollkommen nebulös. (Abgesehen davon sind »Grundsätzliche Leitlinien« allemal wertlos. Jede frühere israelische Regierung hat ihre »Grundsätzlichen Leitlinien«, ohne mit der Wimper zu zucken, gebrochen. Die Schecks erwiesen sich immer als ungedeckt.) All dies wurde von Netanyahu auf die billige Tour erworben – ein paar Milliarden wirtschaftlicher Versprechen, die er nicht im Traume zu erfüllen denkt. Die Staatskasse ist leer. Einer seiner Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, Levy Eshkol, sagte bekanntermaßen: »Ich versprach – aber ich habe nicht versprochen, meine Versprechen zu halten.« Er verschenkte auch Ministerien an alle und jedermann. Dieses kleine Land wird jetzt 27 Minister und sechs stellvertretende Minister haben. Na, und? Wenn nötig, würde Netanyahu jedem der 74 Mitglieder der Koalition einen Ministersessel anbieten. Seine größte Errungenschaft aber war der Erwerb der Labourpartei für seine Regierung. Mit einem Streich verwandelte er eine Regierung von Aussätzigen, die von der ganzen Welt als ein verrückter Haufen von Ultra-Nationalisten, Rassisten und Faschisten angesehen würde, in eine vernünftige und ausbalancierte Regierung der Mitte. Und all dies ohne im geringsten ihren Charakter zu verändern. Der eifrigste Unterstützer dieser Meisterleistung war Liberman, der neue Außenminister Israels. Dieser extreme Rassist, geistiger Bruder des französischen Jean-Marie Le Pen und des österreichischen Jörg Haider (ich hoffe, dass sie – der Lebende und der Verstorbene – sich nicht beleidigt fühlen) war sehr besorgt, was ihn erwarten würde. In seiner Phantasie sah er sich schon, wie er seine Hände Hillary Clinton entgegenstreckt und sein Arm in der Luft stehen bleibt; oder sich vorwärts beugt, um Angela Merkel zu küssen , um zu sehen, wie sie sich vor Schrecken zurückzieht. Sehr unangenehm. Das Hinzukommen der Labourpartei löst jedermanns Problem. Wenn sich Sozialdemokraten der Regierung anschließen, dann muß all dieses Gerede von Faschismus Unsinn sein. Offensichtlich ist Liberman mißverstanden und falsch dargestellt worden. Er ist gar kein Faschist – Gott bewahre. Er ist auch kein Rassist. Er ist nur ein traditioneller rechter Demagoge, der die primitiven Emotionen der Massen ausnützt, um Stimmen zu sammeln. Welcher gewählte Politiker wird dem widerstehen können? Tatsächlich hat Ehud Barak der ganzen Regierung ein Kosher-Zertifikat ausgestellt. Er setzt die glorreiche Tradition der Arbeiterpartei fort, die sich seit langem politisch prostituiert hat, 1977 schloß sich Moshe Dayan der neuen Regierung von Menachem Begin an und gab ihr so ein Kosher-Zertifikat, als die ganze Welt Begin für einen gefährlichen nationalistischen Abenteurer hielt. 2001 schloß sich Shimon Peres der neuen Regierung von Ariel Sharon an und gab ihm ein Kosher-Zertifikat, als die ganze Welt Sharon als den Mann ansah, der für die Massaker von Sabra und Shatila verantwortlich war. Warum verhält sich Barak ebenso? Und warum hat ihn die Mehrheit der Arbeiterpartei unterstützt? Labour ist eine Regierungspartei. Sie ist niemals etwas anderes gewesen. Schon 1933 übernahm sie die Führung der zionistischen Bewegung, und seitdem hat sie den Yishuv (die jüdische Gemeinschaft in Palästina vor 1948) und den Staat ohne Unterbrechung beherrscht, bis Begin 1977 an die Macht kam. Vierundvierzig aufeinanderfolgende Jahre hatte sie unbegrenzte Macht über die Wirtschaft, die Armee, die Polizei, die Sicherheitsdienste, das Bildungs- und Gesundheitssystem und die Histadrut, den damals allmächtigen Gewerkschaftsbund. Macht ist ein Teil des DNA der Partei. Macht ist ihr Charakter, ihre Mentalität, ihre Weltanschauung. Die Partei kann nicht opponieren. Sie weiß nicht, was Opposition ist, und noch weniger weiß sie, etwas damit anzufangen. Ich beobachtete die Labour-Abgeordneten in der Knesset während der kurzen Perioden, in denen sie in der Opposition festsaßen. Sie waren niedergeschlagen und jammerten. Dutzende von ihnen wanderten verloren in den Korridoren herum, wie Phantome, verirrte Seelen. Wenn sie zum Rednerpult gingen, klangen sie wie Regierungssprecher. Der Likud leidet am gegenteiligen Syndrom. Ihre Vorgänger waren während der Zeit des Yishuv und während der ersten neunundzwanzig Jahre des Staates in der Opposition. Opposition liegt im Blut der Likud-Anhänger. Selbst jetzt nach vielen Jahren (mit Unterbrechungen) in der Regierung benehmen sie sich, als wären sie die Opposition. Sie sind die ewig Diskriminierten, Unglücklichen und Verbitterten, Leute, die von außen reinschauen, voller Haß und Neid. Ehud Barak symbolisiert das Syndrom seiner Partei. Alles ist sein Anrecht. Die Macht ist sein Anrecht, das Verteidigungsministerium ist sein Anrecht. Ich wäre nicht überrascht, wenn er auf einer Klausel im Koalitionsabkommen bestehen würde, daß man ihn zum Verteidigungsminister auf Lebenszeit ernennt (und seinen Diener Shalom Simchon zum Landwirtschaftsminister auf Lebenszeit). Regierungen kommen und gehen, aber Ehud Barak muß Verteidigungsminister bleiben – ob die Regierung nun eine rechte oder eine linke ist, eine faschistische oder kommunistische, eine atheistische oder theokratische. Und es ist auch gleichgültig, wie er seinen Job erledigt – seine Bewertung kann immer nur perfekt sein. Was wird diese Regierung also tun? Was kann sie tun? Soweit es das Wichtigste betrifft, besteht völlige Einmütigkeit. Liberman, Netanyahu, Barak, Elli Yishai von Shas und Danny Hershkovitz von der Partei »Unser Jüdisches Haus« stimmen alle darin überein, die Errichtung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Alle stimmen darin überein, nicht mit der Hamas zu reden. Alle unterstützen das Siedlungsunternehmen. Während Baraks Amtszeit wuchsen die Siedlungen sogar schneller als unter Netanyahu. Liberman ist selbst ein Siedler. Die Partei von Hershkovitz vertritt die Siedler. Alle sind davon überzeugt, daß ein Friede nicht nötig ist, daß Frieden uns schade. (Es war schließlich Barak und nicht Netanyahu oder Liberman, der den Satz prägte: »Wir haben keinen Partner für Frieden.«) Was wird also die wirkliche Plattform dieser Regierung sein? In vier Worten: Täuschen für das Vaterland. Aber auf dem von dieser Regierung gewählten Weg liegt ein riesiger Brocken: die USA. Während Israel einen großen Sprung nach rechts machte, machten die USA einen großen Sprung nach links. Man kann sich kaum einen größeren Kontrast vorstellen als den zwischen Binyamin Netanyahu und Barack Obama oder zwischen den beiden Bara(c)ks. Netanyahu ist sich dieses Problems bewußt, vielleicht mehr als jede andere israelische Führungsperson. Er wuchs in den USA auf, nachdem sein Vater, ein Professor für Geschichte in Jerusalem, zu der Überzeugung gekommen war, daß ihm wegen seiner rechtsextremen Einstellung sein rechtmäßiger akademischer Platz verweigert würde. Die Familie zog also in die USA, wo Binyamin das Gymnasium und die Universität besuchte. Er spricht fließend das amerikanische Englisch eines Handelsreisenden. Wenn es etwas gibt, das praktisch alle Israelis von rechts bis links eint, dann ist es die Überzeugung, daß die Beziehungen zwischen Israel und den USA für die Sicherheit des Staates lebenswichtig sind. Netanyahus Hauptsorge wird es deshalb sein, einen ernsthaften Bruch zwischen den beiden Ländern zu verhindern. Barak wurde der Regierung genau deshalb hinzugefügt, um solch einen Clash zu vermeiden. Netanyahu wünscht mit Barak an seiner Seite das Weiße Haus zu besuchen, nicht mit Liberman. Der Clash scheint unvermeidlich. Obama möchte im Nahen Osten eine neue Ordnung schaffen. Er weiß, daß der israelisch-palästinensische Konflikt die Atmosphäre in der arabischen, ja in der ganzen muslimischen Welt gegen Amerika vergiftet. Er wünscht eine Lösung des Konfliktes – genau das, was Netanyahu und seine Partner um jeden Preis verhindern wollen, um jeden Preis – außer einem Bruch mit Amerika. Wie macht man das? Die Lösung findet man bei den Sprüchen Salomonis (24,6) in der Bibel: »Denn mit List sollst du Krieg führen«. Seit Beginn des Zionismus haben seine politischen Führer gewußt, daß ihre Vision ein großes Maß an Tarnung benötigt. Es ist unmöglich, ein Land zu übernehmen, das von einem anderen Volk bewohnt ist, ohne daß man das Ziel vertuscht, die Aufmerksamkeit ablenkt, seine Taten vor Ort hinter einem Schirm blumiger Worte verbirgt. Alle Staaten lügen. Vor 400 Jahren bemerkte ein britischer Diplomat, Sir Henry Wotton: »Ein Botschafter ist ein ehrlicher Mann, der ins Ausland geschickt wird, um für sein Land zu lügen.« Wegen der besonderen Umstände ihres Unterfangens müssen die Zionisten vielleicht ein bißchen mehr als üblich täuschen. Nun ist es die Aufgabe, der Welt und besonders den USA und Europa ein falsches Bild zu vermitteln, das vorgibt, unsere neue Regierung sehne sich nach Frieden, arbeite für Frieden, ja, drehe tatsächlich jeden Stein um und suche Frieden – während sie genau das Gegenteil tut. Die Welt wird von einer Flut von Erklärungen und Versprechen überschwemmt werden, begleitet von einer Menge leerer Gesten, Konferenzen und Treffen. Leute mit guten Ohren hören schon jetzt, wie Netanyahu, Liberman und Barak beginnen, mit der »Arabischen Friedensinitiative« herumzuspielen. Sie werden darüber reden, sie interpretieren, sie angeblich annehmen, während sie Bedingungen stellen, die sie jedes Inhaltes beraubt. Der große Vorteil dieser Initiative ist, daß sie nicht von den Palästinensern kommt und darum auch keine Verhandlungen mit den Palästinensern erfordert. Wie die dahingeschiedene »Jordanische Option« und andere dieser Art dient sie als Ersatz für einen Dialog mit den Palästinensern. Zur Arabischen Liga gehören zweiundzwanzig Regierungen; einige von ihnen kooperieren heimlich mit der israelischen Führung. Man kann sich darauf verlassen, daß sie über praktische Dinge untereinander nie einig sein werden. Aber zu Täuschungen gehören wie zum Tangotanz zwei: einer, der täuscht, und ein anderer, der getäuscht werden will. Netanyahu glaubt, daß Obama getäuscht werden will. Warum sollte er wünschen, sich mit Israel zu streiten, sich mit der mächtigen Pro-Israel-Lobby und dem US-Kongreß anzulegen, wenn er sich mit beruhigenden Worten aus Jerusalem zufrieden geben kann? Geschweige denn Europa, das geteilt und von Holocaustschuldgefühlen belastet ist. Ist Obama bereit – wie die meisten seiner Vorgänger –, die Rolle des betrogenen Liebhabers zu spielen? Die Biberman/Bibarak/Bibiyahu-Regierung glaubt, daß die Antwort ein schallendes Ja ist. Ich hoffe auf ein schallendes Nein. Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert
Erschienen in Ossietzky 7/2009 |
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