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Bei einer satten Landtagsmehrheit von 60,7 Prozent war das kein schwerwiegender Verlust, auch wenn ein Sitz im Europaparlament verloren ging. Bei der Landtagswahl am 28. September 2008 stürzte die CSU jedoch um 17,3 Punkte auf 43,4 Prozent ab und fuhr damit das schlechteste Ergebnis seit 1954 ein. Bei 40 bis 41 Prozent – je nach Wahlbeteiligung – liegt die kritische Grenze: Wenn die CSU, die nur in Bayern zur Wahl antritt, darunter bleibt, erreicht sie nicht bundesweit fünf Prozent und ist im Europaparlament nicht mehr vertreten.Da die Zahl der »aussichtsreichen« Plätze auf maximal sieben zusammengeschrumpft ist, mußte sich der neue Parteivorsitzende Horst Seehofer bei der Aufstellung der Kandidatenliste alle Mühe geben, die sieben Bezirksorganisationen der Partei ebenso zufrieden zu stellen wie die Frauen-, die Arbeitnehmer-, die Mittelstands-, Bauern- und Vertriebenenunion. Um herauszufinden, was am meisten zum Absturz bei der Landtagswahl beigetragen hatte, beauftragte die Fraktionsspitze die Bamberger Politikberatungsfirma Pragma mit einer Studie. Ergebnis: Die CSU kommt mit ihrer Politik am wenigsten bei den jungen Frauen, den Konfessionslosen und den Einwohnern der Großstädte an. Jeder Versuch, bei Atheisten und sonstigen Konfessionslosen Punkte zu sammeln, dürfte Seehofer von vornherein als vergebene Liebesmüh erschienen sein. Also die Frauen – und zwar aus der Großstadt und möglichst mit bekanntem Namen. Die Schweinfurter Rechtsanwältin Anja Weisgerber (*1976), die bereits seit 2004 im Europaparlament sitzt – gut für Platz 3. Die Ebersberger Rechtsanwältin Angelika Niebler (*1963), MdEP seit 1999 – Platz 2. Auf Platz 1 wollte Seehofer Monika Hohlmeier sehen, die 46-jährige Tochter des früheren Parteivorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, die im September ihren Sitz im Landtag verloren hatte. An Bekanntheit fehlt es ihr nicht – mußte sie doch 2004 im Zusammenhang mit innerparteilichen Affären (gefälschte Mitgliedsanträge, Stimmenkauf und Einschüchterung von »Parteifreunden« durch Hinweis auf angebliche Dossiers: »Über jeden liegt etwas vor«) als Vorsitzende des CSU-Bezirks München und 2005 wegen ihrer mißglückten Schulreform als Kultusministerin zurücktreten. Als Qualifikation fürs Europaparlament führt sie an, »auf europäischer Ebene hervorragend vernetzt« zu sein. Schließlich hat sie nach dem Tode der Mutter 1984 ihren Vater bis zu dessen Tod 1988 auf etlichen Auslandsreisen begleitet und bei offiziellen Besuchen ausländischer Politiker die First Lady gegeben. Besonders gut »vernetzt« war Vater Strauß im Milieu der erzreaktionären Paneuropa-Union, deren deutsche Sektion er mit Hilfe des österreichischen Kaisersohnes Otto von Habsburg Mitte der 1970er Jahre wiederbelebte. Aber nicht einmal in der CSU wird das heute noch als ausreichende Qualifikation für den Spitzenplatz auf der Europaliste gewichtet. Markus Ferber kündigte an, er werde seinen Anspruch auf Platz 1 notfalls per Kampfkandidatur verteidigen. Der Vorstand gab nach, Ferber wurde mit 96,45 Prozent der Delegiertenstimmen zum Spitzenkandidaten gewählt. Hohlmeier landete schließlich auf Platz 6. Das wirft die Frage nach denjenigen Kandidaten auf, die bei früheren Wahlen die Plätze 1 und 6 inne hatten. An der Spitze kandidierte 1999 und 2004 Ingo Friedrich, Vizepräsident der Internationalen Paneuropa-Union (PEU), deren Ziel eine »Weltmacht Europa« ist. Friedrich ist seit 1979 Mitglied des Europaparlaments. Auf ihn ist es zurückzuführen, daß das Emblem der PEU – zwölf Sterne auf blauem Grund – zur Vorlage für die offizielle EU-Fahne wurde. Platz 6 gehörte bei beiden zurückliegenden Wahlen Bernd Posselt, unter Strauß Gründer der Paneuropa-Jugend, mittlerweile Präsident der Deutschen Sektion der PEU und Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL). Friedrich stand auf dem Wahlvorschlag des CSU-Vorstands diesmal auf Platz 5, unterlag jedoch in einer Kampfabstimmung dem Agrarpolitiker Albert Deß aus der Oberpfalz. Nur 102 der 300 Delegierten votierten für Friedrich. Vor die Alternative gestellt, nun seinerseits gegen Hohlmeier oder Posselt (Platz 6 oder Platz 7) zu kandidieren, gab der 66-Jährige auf: »Jede politische Laufbahn geht irgendwann zu Ende.« Posselt schaffte es, auf Platz 7 zu kommen, den letzten, auf dem man sich Hoffnungen machen darf, gewählt zu werden. Vorher aber mußte er die Mitglieder der Landsmannschaft zu seiner Unterstützung mobilisieren und seinem Parteichef klarmachen, daß seine Klientel noch nicht ganz irrelevant geworden sei. Um die Landsmänner und -frauen nicht allzu sehr zu vergraulen, besänftigt Seehofer sie mit teueren Geschenken – zum Beispiel soll noch in dieser Legislaturperiode in München ein Sudetendeutsches Museum eingerichtet werden – und mit verbalen Streicheleinheiten. Von der Kandidatenaufstellung eilte der »Schirmherr des vierten Stammes Bayerns«, wie er sich selber nannte, stracks zur Feier des 60. Gründungstages des SL-Landesverbandes Bayern ins Sudetendeutsche Haus. Dort versicherte er der Landsmannschaft, bei seinen Kontakten mit Prag werde er »keinen Schritt tun, ohne diesen Schritt mit Ihnen abzustimmen und diese Schritte auch gemeinsam zu gehen, lieber Bernd Posselt«. Posselt seinerseits bedankte sich zunächst für die »massive Unterstützung«, die er »im Vorfeld der Listenaufstellung aus der Volksgruppe und darüber hinaus« erfahren habe. Ausdrücklich »als Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, das heißt als Repräsentant aller Sudetendeutschen, von den sudetendeutschen Sozialdemokraten bis hin zu den Nationalkonservativen« (hiermit ist der in der Tradition der faschistischen Henlein-Partei stehende Witikobund gemeint) wandte er sich dann an den Schirmherrn: »Ich möchte mich aber auch ganz herzlich bei Horst Seehofer bedanken, und zwar nicht nur für die persönliche Unterstützung, sondern weil er heute in der Versammlung etwas gesagt hat, ... was ihn als guten Schirmherrn auszeichnet: Der Vierte Stamm ... sei ebenfalls Teil des Regionalprinzips. Und das halte ich für ganz wichtig, daß ein Schirmherr sagt, wir Sudetendeutschen sind zwar durch unser Schicksal weithin verstreut, aber wir sind ein fester Teil des bayerischen Gemeinwesens, Teil des Regionalprinzips wie die Franken, wie die Schwaben und wie die Altbayern ...« Regionalprinzip? Für welche Region Bayerns wurde Posselt aufgestellt? Offenbar gilt er als Kandidat des »Sudetenlandes«, eines Territoriums also, das zu einem anderen EU-Mitgliedsland gehört. Ein europapolitischer Skandal, der illustriert, was die Landsmannschaftsspitze meint, wenn sie von Versöhnung redet.
Erschienen in Ossietzky 5/2009 |
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