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Und auch Sozialdemokraten nahmen Anstoß. Das erinnert mich an die Entstehungszeit dieses Gesetzes. Lange, sehr lange hat es gedauert, ehe sich die Bundestagsparteien dazu aufrafften, die Überlebenden der nazideutschen Konzentrations- und Vernichtungslager vor neonazistischen Verleumdern zu schützen. Was dabei herauskam, ist alles andere als ein Ruhmesblatt. Angestoßen hatte die Diskussion der sozialdemokratische Bundesjustizminister Jürgen Schmude 1981 mit einem Gesetzentwurf zur schärferen Bekämpfung des Rechtsextremismus. Der rechtspolitische Sprecher der CSU, Benno Erhard, bestritt die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes. Es sei schwer einzusehen, meinte er, weshalb man bestimmte Bücher, wie zum Beispiel Hitlers »Mein Kampf«, im Ausland drucken dürfe »und nicht in Deutschland«. Auch Schmudes Kabinettskollegen in der sozialliberalen Bundesregierung hatten es nicht sonderlich eilig. Erst im folgenden Jahr, kurz bevor das Kabinett Schmidt auseinanderbrach und Helmut Kohl die Kanzlerschaft übernahm, machten sie sich den Entwurf des 21. Strafrechts-Änderungsgesetz – so der offizielle Name - zu eigen.Von den Oppositionsbänken aus brachte die SPD dann am 10. November 1982 den Gesetzentwurf im Bundestag ein. Der Bundesrat befaßte sich am 29. April 1983 mit der Vorlage, dann verschwand sie von der Bildfläche. Ein Jahr lang hielt die SPD still, bis einer aus ihren Reihen mit der Bemerkung Alarm schlug, der Entwurf sei im Justizministerium »spurlos verschwunden«. Daraufhin rückte der neue Amtsinhaber Hans Engelhard von den Freien Demokraten damit heraus, daß die CSU die Beratungen blockiere. Die Gründe erfuhr die Öffentlichkeit aus dem Munde des CSU-Bundestagsabgeordneten Fritz Wittmann. Er sagte, die Leugnung des Völkermordes müsse allgemein strafbar werden, auch das Leugnen der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, nannte es »unerträglich«, daß die Christlich Soziale Union versuche, »andere Faktoren« in den Gesetzentwurf zum Verbot der Auschwitzlüge einzubeziehen. Der Mord an Millionen Juden sei »derart einmalig in der Geschichte, daß jeder Hinweis auf andere Verbrechen zurückgewiesen werden« müsse. Das beeindruckte die CSU ebenso wenig wie die Klage des Justizministers, er sehe sich dem Druck einer lautstarken Minderheit ausgesetzt, die den Mord an den Juden weiterhin leugne und ihn mit Briefen und Drucksachen überschwemme. Dieser Druck habe eine »gespenstische Dimension« erreicht. Engelhard wandte sich an den Bundeskanzler, er möge von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und die Verzögerung des Gesetzes beenden. Tatsächlich billigte das Kabinett die Vorlage kurz danach mit den Stimmen der vier CSU-Minister. Auf den ersten Blick sah das nach einem Erfolg der Befürworter des Entwurfs aus, in Wirklichkeit hatten seine Gegner auf der ganzen Linie gesiegt. Verboten werden sollten nunmehr die Herstellung, der Vertrieb und die Einfuhr von Schriften, in denen die Verbrechen des NS-Gewaltregimes »oder besonders schwere Verbrechen eines anderen Gewaltregimes gegen Deutsche geleugnet, verharmlost oder gebilligt werden«. Jürgen Schmude hielt das für eine »Verschlimmbesserung«, aber es war viel mehr, nämlich die Fixierung eines Geschichtsbildes, das die von Hitler überfallenen osteuropäischen Völker auf eine Stufe stellte mit den Urhebern des Massenmordes an den Juden, also das Prinzip von Ursache und Wirkung aufhob. Das war ein Affront auch gegen die Alliierten des zweiten Weltkriegs, die 1945 der Aussiedlung der Deutschen zugestimmt hatten. Doch für Schmude war das anscheinend kein Problem. Ihn bekümmerte, daß die deutschen Richter durch die neuen Formulierungen vor unlösbare Probleme gestellt würden. Außerdem bemängelte er, daß die mündliche Leugnung des Massenmordes an den Juden von der Strafandrohung ausgenommen werde.Aus Protest gegen die sogenannte Aufrechnungsklausel legte der CSU-Abgeordnete Eicke Götz sein Amt als Berichterstatter für den Gesetzentwurf nieder. Er habe eingesehen, sagte er zur Begründung, daß der Völkermord in den Vernichtungslagern der Nazis nicht mit Vertreibungsverbrechen in einen Topf geworfen werden könne. Der Rechtsausschuß des Bundestages vertagte im März 1985 gegen heftigen Widerstand der Opposition die weiteren Beratungen. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Alfred Dregger, ging noch einen Schritt weiter. Er sprach sich dafür aus, den Entwurf ganz fallen zu lassen. Unterstützt wurde er vom Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Theo Waigel, der die Meinungsfreiheit gefährdet sah und am 13. März 1985 dazu aufrief, »den Irrweg dieses Gesetzentwurfes zu beenden«. Er griff damit eine Formulierung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom selben Tag auf, nach deren Darstellung die Übernahme des Entwurfes aus dem Kabinett Schmidt durch die Regierung Kohl »offensichtlich eine Panne« gewesen sei. Wider Erwarten tauchte der bereits totgesagte Entwurf in leicht abgewandelter Form kurz danach wieder auf. Nunmehr sollte die Staatsanwaltschaft von Amts wegen eingreifen, wenn jemand verunglimpft oder beleidigt werde, der »sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- oder Willkürherrschaft verloren hat«. Die Beleidigung könne auch im Leugnen der NS-Verbrechen bestehen. Auch dieser Text wurde noch einmal geändert. Eingefügt wurde in den Paragraphen 194 des Strafgesetzbuches schließlich in kaum zu übertreffendem Juristen-Kauderwelsch eine Passage, wonach ein Antrag auf Strafverfolgung seitens eines Betroffenen nicht mehr erforderlich ist, »wenn der Verletzte als Angehöriger einer Gruppe unter der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft verfolgt wurde, diese Gruppe Teil der Bevölkerung ist und die Beleidigung mit dieser Verfolgung zusammenhängt«.Am 25. April 1985 wurde das 21. Strafrechts-Änderungsgesetz gegen die Stimmen der SPD und der Grünen vom Bundestag verabschiedet. Gesiegt hatte eine Denkweise, die der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Helmut Leonardy, als »widerliche Aufrechnungsmentalität« bezeichnete. An dieser Denkweise hatte sich Theodor Heuss, der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland, bereits 1951 gestoßen. Er nannte sie das »Verfahren von moralisch Anspruchslosen«. All das beeindruckte die vermeintlichen Begründer eines neuen Nationalbewußtseins nicht. Sie wußten sich eins mit der deutschen Volksseele, für die auch »die anderen« Dreck am Stecken haben. Ausgestattet mit diesem »Tugendtarif« hat sich eine Mehrheit Schritt für Schritt von der Vergangenheit entfernt. Das Vergessen war 1964 bereits so weit gediehen, dass ein ahnungsloser Bundespräsident Heinrich Lübke einem in Nürnberg wegen Auschwitzverbrechen verurteilten Ruhrindustriellen das Große Bundesverdienstkreuz zuerkannte. Dieser Schwamm-drüber-Mentalität ist es letztlich auch zuzuschreiben, daß nach der Errichtung eines Mahnmals für die ermordeten europäischen Juden auch eine Dokumentationsstätte zur Erinnerung an die Vertreibung der Deutschen eingerichtet wird. Auf diesem Boden gedieh ein Gedenkstättenkonzept, das Opfer und Täter heillos vermengt, nicht zu vergessen die Parolen vom Bombenholocaust und vom Vertreibungsholocaust. Das gedankenlose Gerede von den beiden deutschen Diktaturen im Anschluß an die deutsche Vereinigung wurzelt ebenfalls in dieser unhistorischen Gleichmacherei. Die Nazivergangenheit wird zugeschüttet. Gelegentliche Festakte zur Feier des eigenen guten Gewissens, etwa am Gedenktag für die Opfer des NS-Regimes, ändern daran nichts. Angela Merkel hat zu spüren bekommen, daß man das Gedenken an die Last der Geschichte nicht zu weit treiben darf.
Erschienen in Ossietzky 5/2009 |
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