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Die kleingedruckten »amtlichen Bekanntmachungen«. Spaltenweise: »Ich bestelle Herrn Karl Kusel, Wien, 6. Bez. zum Abwickler für nachbezeichnete jüdische Firma ... Der Reichsstatthalter in Niederdonau«. Eine ellenlange Kolonne »Veräußerungsaufträge«. Der Text gleichbleibend: »Ich gebe Oskar Israel und Margarethe Sara Fischer, früher in Frauenkirchen, derzeit unbekannten Aufenthaltes, auf, ihre Liegenschaft innerhalb von 14 Tagen vom Tage dieser Bekanntmachung an gerechnet zu veräußern. Eine Verlängerung der Frist ist ausgeschlossen. Ich bestelle gleichzeitig Herrn Viktor Metzl, Bahnassistent, zum Treuhänder.« Terror ganz bürokratisch. Dann gibt es gleich über dem Rundfunkprogramm die Rubrik »Vollstreckte Todesurteile« der Sondergerichte gegen »Volksschädlinge«. Oder im Vermischten: »Das Sondergericht Graz hat die in Deutschfeistritz geborene 28jährige Gelegenheitsarbeiterin Berta Eberhart zum Tode verurteilt. Sie hat zahlreiche Einschleichdiebstäle begangen und einen Kinderwagen zum Wegschaffen der Beute benutzt.« Daneben die Ankündigung des Kochkurses der NS-Frauenschaft. Eben der Alltag im Faschismus. Wem die Herrschaftsmaschinerie der Nazis eher nur in der Theorie bekannt war, der spürt sie hier in ihrer brutalen Banalität. Mich hat ein merkwürdiges Gefühl des Erinnerns beschlichen, als ich den Nachdruck der nur noch aus einem Blatt bestehenden Oberdonau-Zeitung vom 2. Mai 1945 sah, deren Original ich als Neunjähriger in der Hand gehalten hatte. Zu lesen ist da, daß »unser Führer Adolf Hitler im Kampf gegen den Bolschewismus, dem sein ganzes Leben galt, als Soldat in vorderster Front gefallen« sei. Im Kino läuft »Das sündige Dorf«, dann »Der Meineidbauer«, zwei SS-Kriegsberichter schildern nahezu poetisch »das rege Leben in der Frontstadt Passau« und die »zähe Gegenwehr der deutschen Grenadiere im Kampfraum Wienerwald«. Bekanntmachungen über die 76. Lebensmittelkartenperiode »mit Ausnahme des Fleisches« und die hämische Nachricht, daß »die Fleischrationen in Australien um 12 Prozent gesenkt worden« seien. Der Gauleiter rät der Bevölkerung, bei den Kampfhandlungen Ruhe zu bewahren. Es gibt jetzt nicht mehr nur das Sirenensignal »Fliegeralarm«, sondern auch »Feindalarm«. Man vergleiche mit den Jubelpublikationen zum »Anschluß« sieben Jahre früher. Soweit die eine Seite der Dokumentation Nach-Richten. Dazu aber: Flugblätter des Widerstandes, sowjetische Anti-Hitler-Plakate und vor allem eine Vielzahl von Exil-Zeitungen aus Argentinien, Großbritannien, Brasilien und den USA. Da schreiben Lion Feuchtwanger, Alfred Polgar, Joseph Roth, Egon Erwin Kisch, Hermann Kesten, Oskar Maria Graf ... Das legendäre, mit 32 Seiten wohl umfangreichste deutschsprachige Emigrantenblatt Aufbau (New York) vom 17. Juni 1942 trägt die Schlagzeile »Heraus zum Massenprotest« im Madison Square Garden. Rednerin: Mrs. Eleanor Roosevelt. Man erfährt auch von Auseinandersetzungen mit den Nazi-Organisationen der »Auslandsdeutschen«. Alles in allem: Zeitdokumente, wie man sie authentischer nur selten bekommt. Sollte das Projekt Zeitungszeugen ähnlich den Nach-Richten gestaltet werden – und dafür scheint mir der nahezu identische Redaktionsstab zu bürgen –, wäre es, entgegen den Befürchtungen von Martin Petersen (Ossietzky 2/09), empfehlenswert. Ich kenne leider nur die Ausgabe 1; was da zusammengetragen ist, finde ich erhellend: Goebbels‘ Angriff jubelt am 31. Januar 1933 und plaudert ungeniert aus, was kommen soll. Die – bis dahin – bürgerliche Allgemeine Deutsche Zeitung schildert wohlwollend-objektiv »die erste Sitzung des Kabinetts Hitler« (»vorläufig kein Verbot der KPD«) und den Fackelzug der SA. Auf Seite 2 ist zu lesen, daß die Polizei »kommunistische Demonstrationsversuche« unter Knüppeleinsatz »mühelos zerstreut« habe. Die SPD wirbt mit dem bekannten eindrucksvollen Plakat »Der Arbeiter im Reich des Hakenkreuzes«. Das KPD-Organ Der Kämpfer ruft zur Aktionseinheit und zum Massenstreik »gegen die Papen-Hitler-Diktatur« auf. So war es. Jede Dokumentation hat ein Problem: Sie muß auch die Texte der Verbrecher selbst bringen. Ich glaube jedoch nicht, daß irgendwer durch diese Ungeheuerlichkeiten zum Nazi wird. Eher umgekehrt. Andernfalls müßte man doch auch Michail Romms grandioses Dokumentarwerk »Der Gewöhnliche Faschismus« verbieten. Es enthält ausschließlich Filmaufnahmen von Hitlers Kameraleuten. Wenn die bayerische CSU/FDP-Staatsregierung sich plötzlich besorgt zeigt, kann das durchaus auch andere Gründe haben. Wäre es nicht denkbar, daß sich in den Blättern des dutzendjährigen Reiches lobende Erwähnungen auch heute noch prominenter Wirtschaftsbosse, Aufsätze des Pg Kiesinger aus dem Reichspropagandaministerium oder Globkes Ausführung zu den Nürnberger Rassegesetzen fänden? Oder gar ein blumiger Bericht über den Besuch des NS-Führungsoffiziers Franz-Josef Strauß in der Flakhelferschule Schongau …
Erschienen in Ossietzky 5/2009 |
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