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Solange das System des Kapitalismus Wirtschaft und Gesellschaft dominiert, treibt es immer wieder in Krisen kleineren und größeren Ausmaßes. Der Ökonom Schumpeter nannte sie »schöpferische Zerstörungen«; richtiger wäre es, sie als »zerstörerische Schöpfungen« zu bezeichnen. Mögen die kleineren, begrenzten Krisen auch dem sogenannten Fortschritt dienen, indem sie nicht nur zerstören, sondern auch zu Neuschöpfungen führen können, so überwiegen bei den Mega-Krisen die zerstörerischen Wirkungen. Sie vernichten unvorstellbare materielle und immaterielle Werte; Gesellschaftsordnungen können katastrophisch erschüttert, Millionen Menschen in Armut und in den Tod getrieben werden. Entdemokratisierung und die Errichtung faschistischer Diktaturen – mit dem zweiten Weltkrieg im Gefolge – waren Ergebnisse derartiger Groß-Krisen des Kapitalsystems. Wie läßt sich der endemische kapitalistische Grundfehler beschreiben? Karl Marx hat hierzu die wesentlichen Analysen geleistet, mit dem Ergebnis, daß die Menschheit Wege finden müsse, den Kapitalismus in Richtung Kommunismus zu überwinden. Spätere Forscher wie Rosa Luxemburg, Paul Mattick oder Ernest Mandel haben die Erkenntnisse aktualisiert. Selbst der britische linksliberale Ökonom John Maynard Keynes ließ sich von Marx inspirieren, wollte jedoch einen für die Kapitalherrschaft verträglicheren Weg gefunden haben. Ob die Keynesianer tatsächlich Anleitungen geben können, wie die systemimmanente Zerstörungskraft kapitalistischer Krisen gelindert und auf Dauer gebändigt werden kann, ist umstritten. Wahrscheinlich kann der Keynesianismus eine Groß-Krise auch nur hinauszögern und so ebenfalls ihr Zerstörungspotential anwachsen lassen. Die neoliberal agierenden »Reformer«, »Privatisierer« und »Deregulierer« jedenfalls haben Keynes’ ironisch-euphemistische Vision von der »Euthanasie (schöner, sanfter Tod; O.M.) des Rentiers« (das heißt vom allmählichen Aussterben der Schicht derer, die nur von den Profiten leben, ohne unternehmerisch tätig zu sein) als ernst zu nehmendes Schreckgespenst der Kapitalistenklasse vor Augen gemalt. Deshalb ließ man sie seit gut dreißig Jahren mit ihren Konterreformen und ihren Strategien zum Klassenkampf von oben die Volkswirtschaften nach ihrem Bilde des Homo oeconomicus umformen, weltweit und inzwischen ähnlich in den industriellen Zentrumsländern. Aber auch eine Wirtschaftspolitik in der Nachfolge Friedrich von Hayeks, des neoliberalen Kirchenvaters, konnte die jetzige Megakrise lediglich aufschieben und für Jahrzehnte sich aufstauen lassen, verhindern konnte sie sie nicht. Zur Lösung der Krise wäre nach Marx nur eine mächtig werdende kommunistische Bewegung in der Lage. Sie werde entstehen, meinte er, wenn die Arbeiterklasse endlich sich ihrer unfreien und elenden, weil ausgebeuteten Lage und zugleich ihrer latenten Kraft bewußt werde. Denn jedes kapitalistisch bestehende Lohnverhältnis, auch das gewerkschaftlich »mitbestimmte« und »sozial abgesicherte«, wie es heute auch bei uns nach den neoliberalen »Reformen« kaum noch zu finden ist, zwingt die Beschäftigten, mehr Werte zu schaffen, als der Kapitalist (neben den Ausgaben für Anlagen und Vorprodukte) ihnen für Löhne und Gehälter auszahlt. Diesen »Mehrwert« eignet sich allein die Klasse der Produktionsmittelbesitzer an, obwohl er eine »Schöpfung« aller am Produktionsprozeß Beteiligten ist und diese somit alle über dessen Verwendung entscheiden müßten. Die Kapitalisten verbrauchen einen Teil des Mehrwertes für den eigenen Konsum. Der größere Teil wird entweder für die Ausweitung eigener Betriebe verwandt oder dem Kapitalmarkt gegen Zins und Zinseszins zugeführt. Er wird akkumuliert und dient der Erringung besserer Positionen im Konkurrenzkampf. In der weiter anwachsenden Akkumulation liegt der Ursprung sowohl für die Expansionskraft des Kapitalsystems wie aber auch für sein zunehmendes Zerstörungspotential. Denn die Ausweitung stößt systemimmanent an Grenzen. Sie hinauszuschieben, erfordert immer größere Investitionen. Um die Profitrate zu erhalten, wird die Lohnrate (einschließlich der Allgemeinausgaben für Soziales) abgesenkt. Die Lohnabhängigen aber können nur so viel kaufen, wie sie als Lohn erhalten haben. Deshalb können die Kapitalisten einen größer werden Teil ihres Mehrwertes nur noch realisieren, indem sie untereinander Geschäfte machen. Was auch für eine Weile funktioniert: mehr Luxuskonsum, hier und da Aufbau neuer Geschäftsfelder, vorfinanziert oft durch Kredite, die aber eines Tages eingelöst werden müssen. Betrieben, die in der Konkurrenz nicht mithalten können, droht Zahlungsunfähigkeit. Es kommt zu Firmenzusammenbrüchen und Massenentlassungen – alles entsprechend dem von Marx entdeckten kapitalistischen »Gesetz vom tendenziellen Fall der Profirate«. Wenn genügend Konkurrenten in die Pleite getrieben werden, kann es für die starken und siegreichen Kapitalbesitzer mit für sie stabilisierter Profirate wieder aufwärts gehen – vorausgesetzt, daß die Bevölkerung das böse Spiel weiter erträgt. Die abhängig Beschäftigten sind durchgehend die Verlierer. Sie verlieren ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen oder müssen länger und schlechter bezahlt schuften. Auch sie werden immer weiter in gegenseitige Konkurrenz getrieben, einzeln wie in Statusgruppen, Belegschaften werden zu Kampfkollektiven, Kollegialität und gemeinsam einzusetzende Fähigkeiten werden ständig zerstört. Eine grundsätzliche Systemänderung müßte ihr Ziel sein, nämlich die Ausrichtung der Produktion nach den Bedürfnissen und nicht nach Profitinteressen der Besitzenden. Eine Arbeiterklasse, die ihre Solidarität entdeckte, auch mit all jenen, die nicht zulassen wollen, daß der Krieg aller gegen alle das gesellschaftliche Überleben regeln soll, national wie international, wäre eine ungeheure Macht. Hierzu bedürfte es einer Allianz mit der technischen, wissenschaftlichen und kulturellen Intelligenz. Der Kardinalfehler des Kapitalsystems, diese Grundtorheit seit mehreren Jahrhunderten, läßt sich überwinden. Die Potentiale einer aufgeklärten Menschheit sind unerschöpflich, auch tragfähig für die schrittweise Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft in Frieden, Freiheit und Solidarität.
Erschienen in Ossietzky 5/2009 |
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