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Bemerkungen
»Abwrackprämie«
hallt es seit Wochen durch Deutschland. Und Hoffnung keimt wieder im krisengeschüttelten Land. Hauptsache, »die Wirtschaft« wächst.
Wenn alle alten Autos verschrottet sind, können wir neue Abwrack-Objekte finden: vom Rasenmäher zum Fernseher, von der Waschmaschine bis zum Wohnzimmerschrank. Hauptsache, »die Wirtschaft« wächst weiter.
Eigentlich ist jetzt höchste Zeit zum Nach- und Umdenken. Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir uns darüber klar werden, wie wir künftig arbeiten und wirtschaften wollen? Schreit diese tiefe Krise nicht nach völlig neuen Rezepten?
Statt dessen Abwrackprämien für alte Autos.
Warum nicht Abwrackprämien für veraltete Politik- und Wirtschaftsstrategien?
Wann, wenn nicht jetzt …?
Statt dessen fahren wir, immerhin steuerreduziert, der Klimakatastrophe im Neuwagen fröhlich entgegen.
Thomas Rüger
Den Börsenbetrieb schließen!
Die regierenden Fanatiker des Kapitalismus verpassen der Automobilindustrie Geldtransfusionen und glauben, damit die Krise abwenden zu können. Ein schwerer Irrtum. Zwar hat der Automobilbau in der Vergangenheit zu den Export-Erfolgen der deutschen Wirtschaft beigetragen, aber inzwischen lahmt besonders der Auto-Export. Deutsche Autobauer haben nichts Neues, ökologisch Vernünftiges zu bieten. Sie führen den Marsch in die Depression an, der laut Bundesbank in Zuständen wie 1929 enden kann.
Was wäre die Alternative? Berlin könnte die Krise als Chance begreifen, neue Wege zu gehen. Nicht Profitmacherei mit antiquierten Produkten wäre zu fördern, sondern zum Beispiel ein sozialverträgliches Verkehrssystem mit neuen Transportmitteln. Mit einer Teilverstaatlichung der Auto-Industrie ließe sich sicherstellen, daß sie das öffentliche Mobilitätsnetz adäquat mit praktischen, sparsamen Kleinfahrzeugen versorgt. Neue, ökologisch vernünftige Antriebsarten wären zu fördern, darunter Radnaben-Elektromotore und langlebige Hochleistungsbatterien, dazu die entsprechende Infrastruktur für einfachen, schnellen Batterie-Wechsel mit Auflade- und Recycling-Stationen. Für den Gütertransport müßten neue Schienenfahrzeuge und leistungsfähige Verlade-Systeme für den raschen Wechsel zwischen Straße und Schiene entwickelt werden. Das Netz der Staatsbahn – mit der Privatisierung muß Schluß sein – könnte auf die doppelte Länge ausgedehnt und ein dichtes Zubringernetz für Klein- und Straßenbahnen angelegt werden. Das würde langfristige Milliardeninvestitionen erfordern, die sich aus überschüssigem Privatvermögen abschöpfen ließen. Es brächte viele Hunderttausende Arbeitsplätze und langfristig vermehrte Staatseinnahmen.
Nicht minder sinnvoll wäre eine Verstaatlichung der Energiewirtschaft zwecks dezentraler, preiswerter und ökologisch vertretbarer Energieproduktion (Wind, Biogas, Erdwärme, Wasser-, Solar- und Tidenhubkraft), wozu auch breit verteilte kleine Gasblockkraftwerke beitragen dürften. Schon in Ortschaften mit 1000 Einwohnern könnten Fernwärmenetze angelegt werden. Die verschwenderischen und umweltbelastenden Energieverluste beim Transport über große Entfernungen würden entfallen. Soweit noch notwendig, könnte ein modernes Gleichstrom-Fernleitungsnetz die bisher üblichen Verluste vermindern, die bei Übertragung von Wechselstrom entstehen. Auf Atomkraft könnten wir verzichten.
Auch auf Großbanken, die sich jetzt mit Milliardenbeträgen subventionieren lassen. Eine Staatsbank, Genossenschaftsbanken und Sparkassen – mehr brauchen wir nicht.
Wie die inhumane und irrsinnige Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen wäre, weiß man aus Studien, die schon seit Jahren vorliegen. Dazu genügt eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 25 Stunden – bei vollem Lohnausgleich, versteht sich. Ein entsprechendes Arbeitszeitgesetz böte wirksamen Schutz vor Rezession.
Was den Regierenden einfällt, sind hauptsächlich Maßnahmen zur Lebensverlängerung des Kapitalismus durch noch massivere Umverteilung von unten nach oben. Die angemessene Reaktion auf die Krise wäre aber, den Börsenbetrieb »Marktwirtschaft« zu schließen und einen vernunft- statt profitgeleiteten Staat zu gestalten.
Volker Bräutigam
Wer oder was wird gebremst?
Horrende Beträge steckt die regierende Politik in kriselnde Banken und Unternehmen, ein Ende ist nicht abzusehen. Das bürdet den öffentlichen Etats und damit den Steuerzahlern bedrückende Lasten auf. Zu gleicher Zeit wird eine staatliche »Schuldenbremse« vorbereitet, die im Grundgesetz verankert werden soll. Wie geht das zusammen? Ist die »Schuldenbremse« nur ein propagandistisches Manöver, dazu gedacht, die BürgerInnen, die immer mehr Verschuldung auf Generationen hin fürchten, bei Laune zu halten?
Nein, die Regierenden meinen es ernst mit der Ankündigung staatlicher Sparsamkeit. In der Tat wollen sie Kreditaufnahmen der öffentlichen Hände einschränken und das heißt: staatliche Ausgaben reduzieren. Allerdings sind bei dem vorgesehenen verfassungsrechtlichen Verbot staatlicher Schuldenmacherei Ausnahmezustände vorgesehen. In »außergewöhlichen Notsituationen«, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, soll das Gebot eines ohne Kreditaufnahme ausgeglichenen Haushalts außer Kraft gesetzt werden.
Es läßt sich absehen, wohin diese geplante Verfassungsnorm führen wird: Unter Berufung auf das Verschuldungsverbot werden Sozialleistungen »gebremst«, denn sie beziehen sich ja auf gewöhnliche Nöte der arbeitenden oder arbeitsuchenden Menschen. Außergewöhnlichen Notsituationen hingegen können Kapitalverwertungsinteressen bei Banken und Großunternehmen ausgesetzt sein, wenn Pleiten drohen und Renditen gefährdet sind.
Hier walten angeblich wirtschaftliche Naturgesetze, die der Staat nicht kontrollieren könne. Dann werden die staatlichen Ausgaben und deren Kreditierung nicht gebremst, im Gegenteil, dann wird Gas gegeben.
Insofern soll die beabsichtigte Neuerung im Grundgesetz dazu dienen, ein Klasseninteresse normativ abzusichern, unter dem Vorwand, dies liege im Interesse des Gemeinwohls.
Wo auf der einen Seite viel ausgegeben wird, muß auf der anderen viel eingespart werden.
Arno Klönne
Was erforscht werden könnte
In der öffentlichen Diskussion über die Turbulenzen im Finanz- und Wirtschaftssystem hielten sich die Gewerkschaftsoberen merklich zurück, beklagt die Zeitschrift Mitbestimmung. Offenbar hätten die Repräsentanten der Arbeitnehmer »nicht alle verstanden, daß dies eine Krise historischen Ausmaßes ist«. In den Fernsehtalkshows müsse »allzu oft Norbert Blüm in die Bresche springen – wo war Michael Sommer? Wo Berthold Huber?« Anfragen habe es gegeben, heiße es bei den Fernsehsendern, »aber eben auch Absagen«.
Ja, woran mag dies liegen? Eine für die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder nicht unwichtige Frage. So schwierig dürfte es für die Leute von der Mitbestimmung nicht sein, ihr nachzugehen. Das Periodikum wird herausgegeben von der Hans-Böckler-Stiftung, dem »Forschungswerk« des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
M. W.
Wohin der Apfel fällt
Schon als der junge Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg mit dem Amt des CSU-Generalsekretärs betraut wurde, hatte ich mir das Buch seines Großvaters Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg aus dem Bücherregal geholt, das er als Bundestagabgeordneter der Christlich Sozialen Union 1964 auf Wunsch des konservativen Seewald Verlages geschrieben hat. Es trägt den Titel »Wenn der Westen will« und war mir wegen seines scharfmacherischen Inhalts im Gedächtnis geblieben. Nun, da der Enkel einen weiteren Sprung nach oben gemacht hat, blättere ich noch einmal in dem alten Schinken und bekomme wieder eine Gänsehaut. Lange vor George W. Bush predigte er den Präventivkrieg: »Gegen die sowjetische Überlegenheit an konventionellen Streitkräften gibt es nur die Androhung des Einsatzes nuklearer Waffen.« (Seite 122) Und auf der nächsten Seite bekräftigte er: »Wohlgemerkt: Um wirksam zu sein, muß die westliche Strategie der Abschreckung also auch die Bereitschaft einschließen, unter gewissen Bedingungen noch vor dem Gegner zu nuklearen Waffen zu greifen.« Zum Glück kam alles anders. Ein dumpfes Gefühl ist aber zurückgeblieben. Wie mag wohl der junge Freiherr zu Guttenberg die heutige Weltlage betrachten? Man sagt ja: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ein Glück, daß er nur das Wirtschaftsministerium und nicht das Außenministerium übernommen hat. Das bekommt er wohl nach der Bundestagswahl.
Conrad Taler
Experte gegen die Linke
Der Bund der Selbständigen mit Sitz in Dortmund nennt sich die größte Mittelstandsvereinigung. In seiner Leitung haben sich Männer zusammengefunden, die vor allem eins gemeinsam haben: eine reaktionäre Einstellung. Von Wirtschaftspolitik verstehen die meisten nicht viel, sondern nur sehr wenig. Als sich Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg im vergangenen Dezember, damals noch CSU-Generalsekretär, im Verbandsorgan ds-magazin interviewen ließ, verlor auch er kein Wort zur Wirtschaft. Heftig schimpfte er stattdessen über Politiker der Linkspartei wie Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Norman Paech – allesamt Terroristenfreunde, Antisemiten, keine Freunde der Politik Israels und der USA. Er habe Informationen, die der Verfassungsschutz leider nicht veröffentliche. Ähnlich wie über die neue »antisemitische« und »terrorfreundliche« Linkspartei zog er über die Tageszeitung junge Welt her – in einem Blatt, in dem sonst der Antisemit Martin Hohmann und der revisionistische ehemalige Bundeswehrgeneral Gerd Schultze-Rhonhof heimisch sind. So hat er sich qualifiziert..
Ulli Sander
Lipperlob
Der Politiker muß heutzutage, wenn er halbwegs prominent ist, vor allem dann, wenn er sich zu noch höheren Ämtern berufen fühlt, als Autor eines Buches auftreten. Und ein anderer Politiker, möglichst aus einer anderen Partei, muß bei der Präsentation dieses Werkes den Verfasser würdigen, was auch den Vorteil hat, daß eventuelle LeserInnen sich nicht erst selbst ein Urteil über die Qualität des Produktes bilden müssen.
Dem Stamm der Lipper wird nachgesagt, daß als höchste Tugend gilt, mit den eigenen Ressourcen streng kalkulierend umzugehen, sich von Gefühlen nicht treiben zu lassen. Frank-Walter Steinmeier (im kommenden Wahlkampf soll er, so wollen es die Werbefachleute, Frank ohne Walter heißen) ist heimatverbunden, und so machte er denn bei der Vorstellung des Buches von Guido Westerwelle kein Geheimnis daraus, weshalb er den parteipolitischen Konkurrenten lobt; persönliche Leidenschaft ist es nicht, die ihn zu diesem Ausflug in den Buchmarkt veranlaßt hat, und auch nicht literarisches Interesse. Westerwelle, so Steinmeier, sei für ihn gut vorstellbar als sein Nachfolger im Außenministerium – unter einem Kanzler Steinmeier. Das Kalkül leuchtet ein : Die führende Rolle in einer Bundesregierung nach der nächsten Wahl bekommt die SPD nur mit Hilfe der FDP, und wenn diese zur Koalition bereit ist, werden die Grünen schon mitmachen, auch wenn sie nicht wieder ins Außenministerium einrücken dürfen. Für die SPD hätte dieses Bündnis den Vorteil, daß sie gegenüber unzufriedenen Anhängern der eigenen Partei auf eine leider unvermeidliche Rücksichtnahme verweisen könnte: Die gelben (und etwas sanfter auch die grünen) Koalitionspartner verlangen eben, daß weiter privatisiert wird, daß die Arbeitslosen »gefordert« werden, daß die Gewerkschaften nicht zuviel Einfluß bekommen ...
Und die Unionsparteien in der Opposition wären mit innerparteilichem Streit über ihre Taktik beschäftigt: Hätten sie, um ein paar Prozente mehr zu erreichen, mehr den Rüttgers machen sollen oder doch besser den Merz? Marja Winken
An die Lokalpresse
Das bevorstehende Jubiläum des Mauerfalls und der 19. Jahrestag der deutschen Einheit werfen ihre Schatten voraus, und das ist auch gut so! Wie dpa berichtet, hat das Büro der Berliner Festtage bei einer französischen Theatergruppe vierzehn Meter hohe Marionetten in Auftrag gegeben, die am Brandenburger Tor eine romantische Ost-West-Liebesgeschichte darstellen sollen. Ich finde, das ist eine sehr originelle Idee! Ich begrüße es auch, daß ein französischer Hersteller den Zuschlag für die Anfertigung der Einheitsmarionetten erhält, denn der Begriff kommt ja aus dem Französischen. Dennoch bin ich etwas im Konflikt, denn nach dem Duden und dem Fremdwörterbuch sind Marionetten »durch Fäden geleitete Gliederpuppen«, »im übertragenen Sinne willenlose Figuren, die anderen als Werkzeug dienen«. Das kann zu Irritationen führen, deshalb schlage ich vor, die Verwendung des Begriffs noch mal zu überdenken, denn von hinten oder von oben gesteuerte Personen sind mir im Zusammenhang mit dem Zustandekommen der deutschen Einheit nicht bekannt. – Mario Wunderlich (50), Zeitzeuge, 54673 Zweifelscheid
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Der Berliner Kurier berichtete, daß ein Crailsheimer Bundesbürger eine Fahne gehißt hatte, die außer den deutschen Nationalfarben eine halb geschälte Banane zeigte. Die Kripo hatte die Fahne erst beschlagnahmt und den Bürger eine Stunde lang scharf verhört, der Staatsanwalt stellte die Ermittlungen jedoch mit der Begründung ein, die Flagge werde durch die Banane »nicht besonders verächtlich gemacht«. Das gibt mir allerdings zu denken, zumal auf der Fahne eine ausländische Frucht präsentiert wird. Haben wir nicht genügend nationale Gewächse, durch deren Darstellung unser Wappen verziert werden kann? Ich denke da beispielsweise an ein aufgeschnittenes Radieschen, eine Handvoll Senfkörnchen, eine abgeknickte Brenn-nessel, an die gemeine Teufelskralle, ein entzündetes Gerstenkorn oder eine vertrocknete Gürtelrose! – Karolina Knoblauch (71), Pflanzenkundlerin, 14715 Wassersuppe.
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Laut Berliner Morgenpost wird es den Insassen der Jugendstrafanstalt Plötzensee, von Insidern liebevoll »Plötze« genannt, nunmehr gestattet, in ihren Zellen fernzusehen. Ich frage mich, ob und wie diese zusätzliche Bestrafung mit den gültigen Rechtsnormen zu vereinbaren ist. Sie sind doch mit der Haft und dem Tagesablauf im Knast schon belastet genug, und nun werden sie noch zur Glotze verdonnert! Ich finde, man sollte alles vermeiden, was die psychische Konstitution der jugendlichen Inhaftierten nachteilig beeinflussen könnte. – Milli-Miriam Milbenzahn (32), Lebensberaterin, 13059 Berlin-Wartenberg
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In Wilmersdorf ereignete sich, wie die Morgenpost mitteilte, ein Überfall auf einen Getränkemarkt. Das ist an sich noch nichts Besonderes, denn Überfälle auf Kaufhallen und Märkte gehören zum Alltag, und das nicht nur in Wilmersdorf. Das Dumme daran ist nur, daß die Polizei zwar mit zwei Teams sehr schnell zur Stelle war, die Beamten sich jedoch gegenseitig festnahmen, so daß die Täter unerkannt fliehen konnten. Nachdem die Zivilpolizisten das Versehen aufgeklärt hatten, setzten sie noch eins drauf und überwältigten gemeinsam den privaten Wachschützer des Marktes, wodurch die Täter ihren Vorsprung weiter ausbauen konnten. Als der Vorfall bekannt wurde, gab es viel Häme für die Polizei. Ich finde das unberechtigt und schlage der Polizeibehörde vor, solche Abläufe in das Ausbildungsprogramm aufzunehmen, damit die Beamten lernen, schnell zu reagieren, gleichzeitig aber auch dem Täter eine faire Chance zu geben. – Ladislaus Folgenicht (56), privater Ermittler, 10961 Berlin-Kreuzberg
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Daß die Allgemeinbildung unserer Landsleute immer weiter den Bach heruntergeht, wird ja durch die PISA-Studien und die täglichen Quiz-Sendungen hinreichend belegt. Der im Berliner Kurier beschriebene Fall zeigt, daß dieser Trend auch an den Kriminellen nicht vorbeigeht. Unter der Überschrift »Panzerknacker werden immer blöder« amüsierte sich das Blatt über einen Sparkassenüberfall in Schöneiche, bei dem die Täter anstelle des Geldautomaten den Kontoauszugsdrucker aufhebelten. Damit sich solche peinlichen Irrtümer nicht wiederholen, bildete die Zeitung beide Geräte im Großformat ab und erläuterte ihre unterschiedlichen Funktionsweisen. Das zeigt, daß die Boulevardblätter außer der Berichterstattung über das Tagesgeschehen durchaus auch Bildungsaufgaben wahrnehmen können.
In derselben Ausgabe wird auch über den Brief der Berliner Schuldirektoren an den Senat über den Notstand an den hauptstädtischen Schulen berichtet und das Maßnahmepaket zur Veränderung der Situation kommentiert. Nun frage ich an, ob neben der Einweisung in die Möglichkeiten des Computers auch der Umgang mit technischen Geräten des Alltages in den Bildungsprogrammen die gebührende Berücksichtigung findet. – Allmuth Allgemach (37), Elternsprecherin, 13088 Berlin-Weißensee.
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Endlich gibt es Überlegungen, wie die Mißstände im Bildungswesen (Schulschwänzerei, Mißhandlung von Lehrern und andere) überwunden werden können. Da berichtet die Berliner Morgenpost von einer großartigen Idee, die im ganzen Bundesgebiet greifen sollte. In der bekannten Kleinstadt Oer-Erkenschwick wurde die »Elternbonuskarte« erfunden, die besonders erziehungsaktive Eltern mit einem Nebeneinkommen belohnt. »Wenn es Eltern dort gelänge«, erklärt das Jugendamt, »ihre Kinder vier Wochen lang pünktlich zu wecken, in die Schule zu schicken und ihnen vielleicht sogar ein Butterbrot zu schmieren, dann belohnt man sie künftig mit Gutscheinen im Wert bis zu 100 Euro.« Bravo! Ich habe dazu allerdings noch ein paar Fragen: Potenziert sich die Prämie, wenn mehrere Kinder zu wecken sind? Um welchen Betrag erhöht sich die Summe, wenn die Eltern auch das morgendliche Zähneputzen und die Hygienevorgänge kontrollieren? Welche weiteren Leistungen sind in welcher Höhe abrechnungsfähig? Kann das Salär auch an Großeltern oder andere Verwandte weitergereicht werden? Wie wird verfahren, wenn nur Teilleistungen (zum Beispiel Butterbrotschmieren) erbracht werden? Werden die zusätzlichen Beträge auf Hartz IV angerechnet? Sind sie lohnsteuerpflichtig? Ich erwarte, daß die zuständigen Behörden in kürzester Zeit die erforderlichen Ausführungsbestimmungen erlassen. – Anton Amtmann (48), Finanzbuchhalter, 73908 Rechberghausen
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Bei seiner Begegnung mit dem US-Präsidenten Georg W. Bush, den eine der letzten Reisen während seiner Amtszeit nach Bagdad führte, zog es dem irakischen Journalisten Muntader Al-Saidid die Schuhe aus. Er schleuderte sie spontan in die Richtung des ausweichenden Präsidenten und wurde von Ordnungskräften unsanft abgeführt. Wenige Wochen später bombardierten Mitglieder der »Aktionsgruppe gegen NATO-Gewalt« mit ihren ausgezogenen Schuhen in Bremen Ex-General Naumann, den früheren Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses. Sollte man diese Art der Meinungsäußerung nicht eher fördern als verurteilen? Sie ist im Vergleich zu anderen Protestbekundungen wie der Selbstsprengung von Oppositionellen oder dem Abfackeln von Fahrzeugen weniger lebensgefährlich und zerstörerisch und könnte der kränkelnden Schuhindustrie neue belebende Impulse geben. – André Marius Kyrieleis (29), Designer, 54349 Trittenheim
Wolfgang Helfritsch
Schwarz gemalt? Erhellend!
31 Publizisten, darunter einige Ossietzky-Autoren, schreiben gut lesbar zu 39 hochaktuellen Themen wie Bundeswehr, Energie, Gesundheitswesen, Wirtschaft und so weiter. In den vielen Fakten, die sie präsentieren, stecken immer wieder Überraschungen, die dem widersprechen, was man oft gehört und gelesen hat und daher zu wissen glaubt: Den Gesetzlichen Krankenkassen geht es in Wahrheit gut und die Ausgabensumme des Gesundheitswesens ist niemals explodiert, sondern seit Jahren stabil; die Bahn baut zielstrebig ein weltweites Logistikunternehmen aus Schiff, Flugzeug, Lastwagen und schließlich auch Schiene auf, damit deutsche Waren und Bundeswehrabteilungen ungehindert verkehren können; in der juristischen Praxis ist Deutschland kein Rechtsstaat. Das Buch kommt wie die »Faust aufs Auge« gerade recht zum Superwahljahr 2009.
Frank Schubert
Gabriele Gillen / Walter van Rossum (Hg.): »Schwarzbuch Deutschland. Handbuch der vermißten Informationen«, Rowohlt, 650 Seiten, 25.95 €
Die Lausitz und die Südsee
Einen Roman über eine deutsche Eisenbahnerfamilie vom Schrankenwärter-Urgroßvater bis zum Ingenieur-Enkel von heute stelle ich mir vor wie die triste Aneinanderreihung von Begebenheiten voller Ordnung, Pünktlichkeit, Beamtentreue und Langeweile. Reinhard Stöckel – den Namen muß man sich merken – beweist das Gegenteil und fügt scheinbar Unvereinbares zusammen. Was er erzählt, hat die Leichtigkeit von Geschichten aus 1001 Nacht. Da bringt er sogar noch die Historie des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts unter, die Tragik der Zeit und der Welt sowie das Herumgeworfensein des einzelnen auf der Suche nach seiner Perle im Meer. Sein Trick ist die Gestalt des Großvaters Hans Kaspar Brügg, dessen Schuhe der biedere Enkel aus der Lausitz erbt. Großvater, selbstverständlich ebenfalls Eisenbahner, aber eben auch Weltenbummler, Perlensucher, war ein Tabuthema in der Familie, doch nach und nach findet der Enkel Spuren und gerät in phantastische Geschichten hinein, die meist einen realistischen Kern und oft einen bitteren historischen Bezug haben, sei es die Geschichte der schönen Armenierin Siyakuu oder die vom Pferd auf dem Ozean-Floß oder gar die der königlichen Abstammung des Ahns. Manches könnte von Münchhausen erfunden sein, manches abgeguckt vom magischen Realismus südamerikanischer Literatur. Der offensichtliche Spaß des Autors beim Fabulieren steckt an: Man hört nicht auf zu lesen und staunt: Lausitz und die Südsee! Christel Berger
Reinhard Stöckel: »Der Lavagänger«, Roman, Aufbau Verlag, 379 Seiten, 19,95 €
Lyrik aus Theresienstadt
»Also werden wir nicht duschen …« lauteten die letzten Worte von Ilse Weber, einer bekannten Autorin wunderschöner Kinderbücher und Hörspiele, Märchen und bedeutender Gedichte, bevor sie in Auschwitz 1944 mit Kindern, die sie in einer Krankenstube des Konzentrationslagers Theresienstadt betreut hatte, in einer Gaskammer ermordet wurde. Überliefert hat diese Worte ein Freund der Familie, der in Auschwitz als Mitglied eines Häftlingskommandos von Leichenträgern Ilse Weber erkannte. Er riet ihr, in der Gaskammer mit den Kindern laut zu singen. Dadurch würden sie tiefer einatmen und das Gas rascher inhalieren, also schneller sterben, statt sich noch länger quälen zu müssen.
Ulrike Migdal hat Briefe und Gedichte von Ilse Weber zusammengestellt und erläutert sie kenntnisreich. Eindrucksvoll schildert sie die letzten Lebensjahre, die Entrechtung bis hin zur Ermordung, manches erinnert an Janusz Korczak. Überlebende berichten, wie Ilse Weber mit ihren Liedern anderen Verfolgten Mut machte und Kraft gab, etwa mit: » Theresienstadt, Theresienstadt, / wie bin ich deiner müd und satt, / könnt ich dich doch verlassen. / In deinen Mauern wohnt das Leid, / und grenzenloses Elend schreit / aus deinen Gassen.« Das Ende – »da frei wir in die Heimat gehn« – durfte Ilse Weber nicht mehr erleben; Willi Weber, ihr Mann, überlebte und rettete die Lyrik seiner Frau auf abenteuerlichen Wegen. Ein bewegendes Buch gegen das Verdrängen und Leugnen.
Andreas Rumler
Ilse Weber: »Wann wohl das Leid ein Ende hat – Briefe und Gedichte aus Theresienstadt«, herausgegeben von Ulrike Migdal, Hanser, 352 Seiten, 21,50 €.
Geheimtip
Wer gern Novellen in der Art von Stefan Zweig oder Joseph Roth liest und zugleich unsere Zeit darin finden will, dem sei Peter Gugisch empfohlen. Der frühere Hörspieldramaturg und Spezialist für das Metier an der Universität schildert in sieben Erzählungen Besonderheiten von Zeitgenossen, die zugleich »Zeitzeichen« sein können. Es geht um Freundlichkeit und Liebe heute, um Verweigerung und Anpassung. Da ist Weisheit, Lebenserfahrung, Respekt vor allem Menschlichen, aber auch eine Prise Witz, wenn es um die Lüge in der Schule und im Leben geht. Obwohl das Buch ein Erstling ist, merkt man, daß der Autor seit langem an der Kunst der Sprache ein Leben lang gearbeitet hat. Christel Berger
Peter Gugisch: »Die Kusine und andere Erzählungen«, Edition Schwarzdruck, 147 Seiten, 15 €, (333 gedruckte und numerierte Exemplare).
Press-Kohl
Im Magazin der Berliner Zeitung wurde dem Schauspieler Milan Peschel wie auch anderen die Frage gestellt: »Wo waren Sie, als die Berliner Mauer fiel?«
Als die Berliner Mauer fiel, war Peschel zu Hause und hörte Radio. Er teilte mit, daß er sich an folgendes erinnert: »Ich war zu Haus in der Wolliner Straße und habe im Radio gehört, daß sie angeblich irgendeinen Grenzübergang aufgemacht hätten. Ich habe einen Kumpel angerufen, Alex Vetterle, den Sohn vom alten Intendanten. Und wir sind mit seinem alten Moped zur Grenze gefahren, zur Invalidenstraße, weil das von uns aus der nächste Grenzübergang war. Das war aber der falsche. Der Übergang war zu. Die Grenzer haben uns nach Hause geschickt und gesagt, nee, hier ist nichts offen. Ich glaube, die wußten auch nicht, was los war.«
Manche Redakteure wissen manchmal auch nicht recht, was los war. Im obigen Fall, fürchte ich, hat gar nicht der Gefragte formuliert, sondern der Frager. Natürlich fuhren die jungen Männer nicht mit dem alten Moped des alten Intendanten zur Invalidenstraße, sondern mit dem alten Moped von Peschels jungem Kumpel. Und der hieß mit Zunamen genauso wie sein Vater. Denn der »alte Intendant« des Gorki-Theaters, um den es sich handelt, hieß nicht Vetterle, sondern Albert Hetterle.
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Barbara Klimke teilte in ihrem Artikel »Tomaten auf der Startbahn« in der Berliner Zeitung mit, die britische Schauspielerin Emma Thompson habe ein Grundstück in Londons Umgebung gekauft. Dessen Lage zwischen dem Flughafen Heathrow und einer Autobahn sei »alles andere als glamourös, der Lärm infernalisch und das Stück Land eher kümmerlich«. Emma Thompson erklärte, sie werde das Objekt dennoch regelmäßig besuchen. Sie formulierte ihre Erklärungen natürlich in englischer Sprache, während Frau Klimke die Thompson-Verlautbarungen in klimkescher Sprache wiedergibt:
»Zur Not, so kündigte fröhlich sie, ›ziehen wir dahin und bauen Gemüse an‹.« Vielleicht Kohl. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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