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Von Manson zu Matisse
Monika Köhler
Stumm und starr, das Marionettentheater im Glasschrank – doch in der Mitte bewegt sich etwas. Immer wieder läuft ein Zittern durch die Hände der Figur, was sie zucken läßt wie unter Zwang. In die Stirn der Marionette ist ein Hakenkreuz geritzt. Wir befinden uns in der Ausstellung »MAN SON 1969. Vom Schrecken der Situation« in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle. Im Blickpunkt das Jahr 1969: Die Studentenbewegung fing an, sich in Grüppchen zu zersplittern. Spektakulär: die Mondlandung im Juli. »Der Schrecken«, das waren brutale Morde in den USA, verübt von der »Manson Family«, die in Hollywood in Villen einbrach und eine Form von Ritualmord praktizierte. Der Anführer Manson sitzt noch im Gefängnis– wie auch seine ihm hörigen Bewunderinnen.
Die Flower-Power-Bewegung, Love and Peace, mit psychedelischer Musik und Drogen – das war das eine. Das völlige Ausflippen, auch durch Rauschmittel, der Sog, den das Dämonische ausübte, religiöser Wahn – das andere. Nach dem friedlichen Woodstock-Festival kam das andere in Altamont. Hier erstach ein Rocker der Hells Angels einen Besucher. Dieses Umschlagen in brutale Gewalt – wie es die USA in Vietnam vormachten, My Lai wurde gerade aufgedeckt – ist Thema dieser sehr komplexen, manchmal auch mißverständlichen Ausstellung.
Die Marionette in der Vitrine stellt Charles Manson dar. Stephan Huber, 1952 im Allgäu geboren, ist der Schöpfer der Puppen. Neben Manson stehen seine Family-Girls mit Messern in den Händen. Ganz unten kann man einen kleinen Theodor W. Adorno im grauen Anzug und mit Brille entdecken – ohne eine sichtbare Waffe.
Es gibt einen Film dazu, in dem die Figuren lebendig werden. Kasper (der Erzähler) reist über Frankfurt, wo er Adorno besucht, in die USA, dort erlebt er alles mit, fasziniert zuerst, dann abgestoßen. »Love and Peace«, so der Titel des Stücks, konnte ohne politisches Engagement nichts verändern.
35 internationale Künstler und Künstlerinnen wurden eingeladen, sich in ihren Werken den Utopien von damals (und heute?) zuzuwenden. Problematisch wird die Gegenüberstellung oder gar Gleichsetzung der Extreme bis hin zu Figuren wie Manson. Es gab Träume von neuen Formen des Zusammenlebens, es gab Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg, es gab die APO. Warum die Fokussierung auf diese eine Schreckensfigur?
Die Kunsthalle bezog Kunstwerke aus ihrem Inventar mit ein. So von Meister Francke ein Bild aus dem 15. Jahrhundert, das Christus als Schmerzensmann zeigt, mit blutenden Wundmalen. Ein Gemälde von George Grosz von 1918: »John der Frauenmörder«. Beide Werke beeinflußten den amerikanischen Maler Joe Coleman, der in altmeisterlicher Manier, aber brutal-ironisch ein Bild von Manson zeigt, das an die indische Todesgöttin Kali erinnert. Diesem MAN SON (Gottessohn), wie er sich selbst nannte, hängen die grausamen Gespielinnen wie eine Schädelkette um den Hals. Links in den Wolken: Jesus, rechts: Hitler.
Der Besucher fühlt sich in Zusammenhänge hineingepreßt, die er so nicht sehen kann. Was hat die RAF mit Manson zu tun? Man sieht eine Fotoserie von Astrid Proll, die Gudrun Ensslin und Andreas Baader in Paris zeigt, wohin sie geflüchtet waren, heiter und ausgelassen als »Hans und Grete«. Und Fotos von Stefan Micheel: »Am offenen Grab von Ulrike Meinhof«. Bilder, die der Betrachter durch Löcher in einer Wand wie durch einen Spion sehen kann. Merkwürdigkeiten, die mit dem Grabstein geschahen. Der Stein einer Selbstmörderin durfte nicht in die Reihen normaler Grabmale eingeordnet werden, mußte in eine andere Richtung weisen. Später wurde er gedreht. »Offen« war das Grab, weil das Gehirn aus einer Uni-Klinik, in die es zu Untersuchungszwecken kam, nach dem Einäschern auch in das Grab gelegt wurde. Assoziationen lassen sich herstellen durch die Batiken von Rotraut Pape aus Berlin. Javanische Batiken, frei im Raum aufgehängt, setzen Kernspintomographie-Aufnahmen des menschlichen Schädels künstlerisch um. Eingebettet wie in ein Grab aus Pflanzen und kleinen Tieren in braunen Erdfarben.
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Im Hamburger Bucerius Kunst Forum: »Matisse. Menschen, Masken, Modelle«. Eine Ausstellung, die sich ausschließlich den Portraits widmet. Dem Besucher bleiben Bilder erspart, die eine Ansammlung verschiedener Tapeten- und Teppichmuster im bürgerlichen Wohnzimmer vorführen. Ein abschreckendes Beispiel im Katalog auf Seite 161: »Pianistin und Damespieler«. Ornamente, die Max Beckmann bei Matisse grauenhaft fand. Hier also Portraits vom Bruder und der Schwägerin Gertrude Steins, die selbst allerdings nicht Matisses, sondern Picassos Bilder sammelte. Sarah Stein, mit wenigen dunklen Strichen charakterisiert, hat einen Schimmer in den Augen, fast wie Tränen. Und das Gemälde »Frau auf dem Hocker« (1914), so irritierend schwebend, als würde sie sich gleich in den Himmel erheben. Hinter ihr an der Wand: das Bild eines Vogels. Das Portrait des Kunstsammlers George Besson (1918) ist winzig und wie im Mittelalter auf Holz gemalt. Besson saß viele Male Modell dafür. Sein Gesicht wirkt wie eine Maske. Afrikanische Masken hatten Matisse schon früh inspiriert. Seine Skulpturen von Jeanette, die in Hamburg ausgestellt sind, zeugen davon. Der Besucher, der Matisse zu kennen glaubt, kann noch Entdeckungen machen.
Kataloge: »MAN SON 1969«, 168 Seiten, 9 €. »Matisse. Menschen, Masken, Modelle«, 228 Seiten, 24,80 €.
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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