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Die Pröbstin Rosa Luxemburg
Matthias Biskupek
Gemeinhin sitzt ein Rezensent verdrückt auf seinem Premierensessel, notiert sich mit beleuchtetem Kugelschreiber Sätze in den Spiralblock und bemerkt Unstimmigkeiten und falsche Töne. Die Reaktion des Publikums wird im letzten Satz gewürdigt: Langanhaltender Beifall, vereinzelt: Pfui!
Kürzlich in Weimar, von der Bühne des Deutschen Nationaltheaters, war dem Rezensenten die umgekehrte Sicht vergönnt. Was bejubelt, beklatscht, verlacht ein volles Haus? Wie fühlt sich der Schauspieler, wenn er die Stimme hebt?
Die Vorgeschichte von Stück und Inszenierung: Am 6. Februar 1919 trat in Weimar die Deutsche Nationalversammlung zusammen. Zum 6. Februar 2009 sollte diese »Geburtsstunde unserer Demokratie« von heutigen Volksvertretern nachgestellt, nachgespielt, nachempfunden werden. Diese brillante Idee kam allerdings von der falschen Seite – von der Linken nämlich. Empörte Ablehnung von jenen, die sich gern »bürgerlich« nennen. So gab es nun die Kuriosität, dass am 6. Februar das DNT ganztags ausgebucht war. Zunächst mit Sicherheitsbeamten um Frank-Walter Steinmeiers geladene Gäste, denen die Politik der SPD an der Seite unserer Großen Koalition, des Weltfriedens und der Finanzkrise erläutert wurde. Am Nachmittag dann die Bundestagsfraktion der Linken, verstärkt durch gut vorlesende Kräfte aus dem wie auch immer gearteten »bürgerlichen« Lager. Dazu sogleich unsere Rezension.
Es folgte nebenan eine Ausstellungseröffnung zur Weimarer Republik mit Grußwort der Justizministerin und einem Kurzvortrag des Historikers Hans Mommsen. Der kam am Abend, wiederum im DNT nochmals und länger zu Wort, als dann die CDU, die Landesregierung und die Stadt Weimar ihre eigenständige Feier zelebrierten.
Allein diese unbarmherzige Vierteilung eines Festaktes gäbe den rechten und ultrarechten Kritikern des Weimarer Parlamentarismus Anlaß zu Spott über »die Systemrepublik«. Die bürgerliche – nein die Familienblattpresse Thüringens würdigte denn auch die Wegweisungsworte des Kanzlerkandidaten und die abendliche christdemokratische Landtagspräsidentin Schipanski. Wie abgesprochen aber teilten alle mit, daß die Veranstaltung der Linken eine Fälschung sei – schließlich fühle die sich doch mitsamt ihrer Stiftung als Erbe Rosa Luxemburgs, die bekanntlich das parlamentarische System verdammt habe. Auch sei die KPD mit ihren Führern in diesem ersten republikanischen Parlament gar nicht zu Wort gekommen. In der Tat: Liebknecht und Luxemburg waren zu diesem Zeitpunkt von jenen ultrarechten Kräften bereits ermordet worden, die im Parlament viele Sitze und eine überlaute Stimme hatten.
Gewiß: Damals wollte Luxemburg den Parlamentarismus nur bis zum kommunistischen Endziel dulden. Doch was sagten die Vorläufer heutiger »bürgerlicher« Parteien im Jahre 1919 zur Demokratie? Zum Frauenwahlrecht? Zu Schwulen oder gar zu Afrikanern? Da schweigen höflich die Familienblätter.
Rezensorisch höflich aber wenden wir uns nun dem von Luc Jochimsen und dem Regisseur Franz Sodann zusammengestellten nachmittäglichen Festakt zu. Gut zwei Dutzend Linke-Parlamentarier (Europa, Bundestag, Landtag) und zwei Handvoll Sonstige (bürgerliche, nützliche Idioten?) lasen Reden, Zeitungsnotizen, Parlamentsbeobachtungen und Briefe. Uwe Steimle, Kabarettist und Schauspieler, also überparteilicher Darsteller von Parteilichkeit, moderierte. Setzte sich auf einen parlamentarischen Stuhl, sagte »Guudn Daach« und ließ rechts und links aufmarschieren. Gregor Gysi als Friedrich Ebert und die Erfurter Pröbstin Elfriede Begrich als Rosa Luxemburg mit einem Brief aus dem Gefängnis. Die emeritierten Weimarer Lokalpolitiker Volkhard Germer und Felix Leibrock als Leser von Reichs- und Bundesverfassung. Dagmar Enkelmann u. a. gaben die erste Parlaments-Frau Marie Juchacz. Michel Friedmann war der Staatssekretär des Innern, Preuß. Peter Sodann sächselte Mühsam-, Becher- und Volker-Braun-Texte. Gregor Gysi wiederum las Norman Paechs Aufsatz über Verfassungen. Bodo Ramelow als Eduard David war der damalige Sitzungspräsident von der SPD. Katja Kipping die Frau Zietz von den Unabhängigen Sozialdemokraten. Der Kabarettist Ulf Annel durfte Gustav Noske geben, und dem Rezensenten blieb, als Abgeordneter Hugo Haase von der USPD den Mord an Liebknecht und Luxemburg anzuklagen.
Das Publikum jubelte klatschend vor allem immer dann, wenn die SPD aufs Korn genommen wurde – deren Abspaltung USPD tat dies nämlich mit Inbrunst. Kehrte die Weimarer Republik da nicht wieder? Die Hauptfeinde der KPD später waren immer gern »Sozialfaschisten«, während die SPD damals mit den »kommunistischen Handlangern Moskaus« und heute mit den »menschenverachtenden Erben der Mauerschützen« nie und nimmer zu tun haben möchte.
Nun mußten bei dieser Veranstaltung allerlei mit Einladungen Versehene draußen bleiben. Zum Beispiel der abtrünnige Weimarer SPD-Mann Edelbert Richter. Denn kaum waren die Theaterschleusen eine halbe Stunde vor Beginn geöffnet – der Rezensent aus Bühnen-Sicht kann hier seinen Beobachtungsvorteil ausspielen – kamen sie sofort herein. Mit Macht, voran und haltet Schritt. Jene Mitglieder von einstigen Kollektiven, die ihre vor zwanzig Jahren unterbrochene Parteileitungssitzung jetzt fortführten. Und im Hinterkopf noch genau wussten, wie die SPD zu bewerten war: Abweichler, Liberalisten, Handlanger und Gesundbeter des Kapitals.
Ein solches Publikum ist immer dankbar. Man spricht, ganz leicht die Stimme gehoben, den Satz von 1919 in den Saal: »Niemals sind in Berlin die Gesetze so mißachtet worden wie in dem letzten Monat.« Tosender Beifall. Merke: Der Schauspieler braucht Beifall und nimmt ihn immer gern entgegen. Für eine gute Pointe wird die Großmutter verkauft. Daß die Wirklichkeit 2009 denn doch eine andere als die vor neunzig Jahren ist, spielt keine Rolle, wenn die Bühnen-Rolle eine dankbare ist.
Und wenn man dem politischen Gegner einerseits Rosa-Luxemburg-Worte in den Mund legen kann, die diese heute nie so sagen würde, kann man andererseits doch immer die SPD des Mordes an Liebknecht und Luxemburg bezichtigen. So wird deren Kanzlerkandidat dann auch unversehens zum Erbe von Mördern. Mauermörder hie und Luxemburg-Mörder da. Als Saubermänner bleiben »bürgerliche« Parteien.
Dummerweise haben aber genau deren Vorgängerparteien – und nur diese - mit ihren christlich-liberal-demokratischen Traditionen Hitler ins Amt gehoben – und ihn dann parlamentarisch ermächtigt. Zum Endwohl des deutschen Volkes.
Erschienen in Ossietzky 4/2009
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